Mülheim. Bis zu den Ferien sollen Mülheims Schüler aller weiterführenden Schulen einen Corona-Selbsttest durchführen. Schulchefs sehen die Sache kritisch.
Das Land NRW verteilt noch vor den Osterferien rund 1,8 Millionen Corona-Selbsttests an den weiterführenden Schulen. Jeder Jugendliche soll sich vor der zweiwöchigen Pause möglichst einmal testen. Generell sei jedes Engagement im Kampf gegen die Pandemie zu begrüßen, sagen Mülheimer Schulleiter – doch daran, dass die (freiwilligen) Testungen wie vorgesehen klappen, glauben sie eher nicht. Gerade für jüngere Kinder seien sie eine kaum zu bewältigende Aufgabe, sagt Angela Huestegge, Leiterin des Gymnasiums Broich. Es fehlten viele Informationen, das Ganze sei nicht zu Ende gedacht. „So wie nun geplant, hat es mit unserer Schulrealität wenig zu tun.“
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Das Problem beginne schon damit, dass alle Klassenkameraden gleichzeitig die Masken abnehmen müssten – „das widerspricht allem, was wir ihnen seit Monaten sagen“, so Huestegge, selbst wenn Fenster geöffnet seien. Man müsse die aufgeregten Jugendlichen auch irgendwie beschäftigten, wenn sie 15 bis 30 Minuten kollektiv aufs Testergebnis warten. „An normalen Unterricht ist dann wohl kaum zu denken.“
Es bestehe die Gefahr, dass Schüler vor der Klasse „bloßgestellt“ werden
Und was, wenn einzelne Tests positiv sind? Zum einen liege dann vielleicht kontaminiertes Material offen in der Klasse herum und müsse vernünftig entsorgt werden, „es wird jede Menge Müll anfallen“. Zum anderen müsse jeder Schüler laut den Vorgaben des Landes sofort separiert werden. Er werde vor der Klasse womöglich „bloßgestellt“. Die Lehrkraft müsse sich intensiv um ihn kümmern, zum Beispiel mit ihm die Eltern anrufen – doch auch der Rest der Klasse müsse weiter beaufsichtigt werden. „Soll ich den Schüler dann allein losschicken? Mit dem Gedanken im Kopf: Oh weh, ich habe Corona – ich muss vielleicht sterben?!“
Auch Mitschüler hätten womöglich Angst. Etwa davor, sich angesteckt zu haben. Was das für den weiteren Kontakt mit Menschen bedeutet – für die nächste Pause auf dem Schulhof, für die Heimfahrt mit dem Nahverkehr –, all das sind Fragen, die sich Huestegge stellt. Sie sieht auch die Gefahr von Beschimpfungen des Schülers, von Vorwürfen wie: „Das hast du uns eingebrockt, dass wir jetzt 14 Tage in Quarantäne müssen.“ Die Schulleiterin spricht von einer „schwierigen Situation mit großem Konfliktpotenzial“. Im Einzelfall bräuchten Schüler wohl „eine Menge Selbstdisziplin, um nicht auszurasten“.
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Bis Mittwochnachmittag waren Tests noch nicht eingegangen
Noch ist es nicht soweit – am Mittwochnachmittag waren in der Schule an der Ritterstraße noch keine Sets eingegangen. Auch Thomas Ratz, Chef der Gustav-Heinemann-Schule, wartete noch auf Lieferung. „Wir wissen nicht einmal, welchen konkreten Test wir kriegen.“ Mit der Testung stünden die Schulen ein weiteres Mal vor einer Herausforderung – „dabei sind wir durch die anderen Anweisungen schon gebeutelt genug“. Klar ist für Ratz, dass es ohne Hilfe nicht geht. Das Durchführen des Tests erfordere Geschick, gerade jüngere Schüler könnten Probleme bekommen. Ein Biologielehrer habe ihm gerade erst wieder erzählt, wie schwer es manchem falle, mit einer Pinzette umzugehen.
Schulschließungen? Mülheim wartet ab
Eigenmächtige Schulschließungen, wie sie die Stadt Dortmund im Streit mit dem Land NRW anstrebt, kommen in Mülheim nicht in Frage.
Auf eine entsprechende Anfrage im Gesundheitsausschuss erklärte Frank Mendack, zuständiger Dezernent und stellvertretender Krisenstabsleiter, man wolle abwarten, wie das Land NRW reagiert.
Derzeit gebe es solche Pläne in Mülheim nicht und auch keine Empfehlung des Robert-Koch-Institutes, die Schulen zu schließen.
Der stellvertretende Gesundheitsamtsleiter Thomas Hecker ergänzte, dass Corona-Infektionen in Mülheimer Schulen aktuell Einzelfälle seien, „aber es gibt keine große Verbreitung“.
Damit alles klappt, fordert Ratz mehr Anleitung für die Lehrkräfte und gegebenenfalls Fachpersonal vor Ort. Durch den Wechselunterricht rechnet er mit bis zu vier Tagen, bis alle 1600 Gustav-Heinemann-Schüler überprüft sind. Über Details will er sich mit dem Kollegium austauschen – wobei noch unklar ist, ob überhaupt alle Lehrer mitmachen. Wichtig sei, offen an das Thema heranzugehen und betroffene Schüler aufzufangen. „Es ist ja keine Schande, positiv zu sein.“ Die Tests seien zum Nutzen aller da, betont Ratz. „Alles, was uns mehr Sicherheit gibt, ist gut.“ Im Kollegium sei der Vorgang längst Normalität: Zweimal in der Woche komme eine Ärztin vorbei und viele Kollegen würden sich dann dankbar testen lassen.
Schulleiter hofft auf neue Erkenntnisse über Corona
Der Schulleiter ist gespannt, was die massenhaften Überprüfungen ergeben, ob sich vielleicht zeigt, dass Kinder und Jugendliche doch gefährdeter sind als angenommen. Er glaubt, dass die vom Land angestoßene Maßnahme „neue Erkenntnisse und Transparenz“ bringen wird.
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An Grundschulen wird frühestens nach den Ferien getestet. Für Andreas Illigen, Leiter der Schildbergschule und Sprecher der Mülheimer Schulleitervertretung, muss sich das Land vorab alternative Wege ausdenken. Auf der Seite des Schulministeriums habe er sich – für jedermann zugängliche – Videos angesehen, die zeigen, wie komplex das Handling ist. „Ohne Hilfestellung sind die Tests an Grundschulen unmöglich.“ Zumal die Lehrkraft dem Kind am Platz keine Hilfestellung leisten, nur erklären und vormachen dürfe. Das reiche keinesfalls aus. „Wir brauchen qualifizierte Leute, die uns unterstützen.“ Andernfalls, so fürchtet Illigen, könnten die Jungen und Mädchen reihenweise ungültige Ergebnisse produzieren. Kollegin Huestegge hofft ebenfalls auf externe Helfer, „zum Beispiel die Johanniter“. Sie will beim Ministerium und beim Schulträger nachfragen.
Vorsitzende der neuen Stadtschulpflegschaft versteht Protest der Schulen
Auch Julia Othlinghaus-Wulhorst, Vorsitzende der jüngst an den Start gegangenen Stadtschulpflegschaft, hält es für falsch, „die Verantwortung für die korrekte Durchführung der Tests auf die Lehrer abzuwälzen – ich kann verstehen, wenn es dagegen von Seiten der Schulen Protest gibt“.