Mülheim. Familien, die Sozialleistungen erhalten, bekommen extra Geld für digitale Geräte. Es drängt. Eine fünffache Mutter aus Mülheim über ihre Sorgen.

Würde Homeschooling nur Eltern mit jüngeren Kindern belasten, dann hätte Elmas U. gar kein Problem. Sie ist Mutter von fünf Jugendlichen, teils schon jungen Erwachsenen, im Alter zwischen zwölf und 21 Jahren. Allerdings: Alle wohnen noch zu Hause, alle sind noch Schüler*innen, alle haben seit Monaten Distanzunterricht. Die Familie bezieht Sozialleistungen, das Geld ist knapp.

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Die beiden Jüngsten besuchen ein Mülheimer Gymnasium, die Zwillinge (20) ein Berufskolleg beziehungsweise die Berufsschule, der Älteste ist nach Abschluss der Förderschule bei einem Berufsbildungswerk untergekommen. Frau U. macht sich große Sorgen um ihre Kinder, besonders um zwei ihrer Söhne. Wir telefonieren an einem normalen Werktag, also Schultag.

Es ist 10.25 Uhr: Sind Ihre Kinder gerade alle zu Hause?

Elmas U.: Alle, bis auf eine Tochter. Sie kann heute bei einer Freundin lernen.

Hat jeder ein eigenes Zimmer?

Nein, um Gottes Willen! Das wäre schön. Sie haben sich auf die ganze Wohnung verteilt, sitzen im Esszimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer. Teilweise auch zu zweit, das gibt öfter mal Streit.

Welche Technik haben Ihre Söhne und Töchter für den Online-Unterricht zur Verfügung?

Nur ihre Handys. Mit Ausnahme meiner 20-jährigen Tochter, die eine Ausbildung in einer Apotheke macht: Sie hat sich ein Laptop auf Ratenzahlung gekauft, das stottert sie jetzt jeden Monat ab.

Umfrage: Gymnasien verleihen häufiger Geräte

Ungleichheiten beim Distanzunterricht dokumentiert auch eine Umfrage, die die Landeselternkonferenz NRW kürzlich veröffentlicht hat. Rund 22.000 Eltern aus ganz Nordrhein-Westfalen haben sich online daran beteiligt.

Ein Ergebnis: Ungleichheiten bei der Bereitstellung von Hardware. Während nach dieser Umfrage rund 60 Prozent der Gymnasien den Schülern digitale Endgeräte zur Verfügung stellen, sind es bei den Gesamtschulen 44 Prozent, bei Haupt- oder Realschulen lediglich 30 Prozent.

Die Bildungsungleichheit wächst durch den Distanzunterricht, resümiert die Landeselternkonferenz. Ähnliche Stimmen gibt es auch aus Mülheim.

Was ist mit Leihgeräten der Schulen?

Mein 14-jähriger Sohn hat am Tag der Zeugnisausgabe Geräte bekommen, nachdem ich mich bei der Schulleitung beschwert hatte: PC, großer Monitor und Tastatur. Leider funktionieren die Sachen nicht richtig und setzen immer wieder aus. Mein Sohn sagt, dann arbeitet er lieber weiter am Handy, obwohl da nicht alles läuft.

Wer von den Fünfen hat die größten Schwierigkeiten?

Mein ältester Sohn, der vorher auf einer Förderschule war, hat die größten Probleme, aber auch der 14-Jährige. Er hat seine Materialien für den Unterricht nicht bekommen, konnte seine Hausaufgaben nicht schicken und ist mit seinen Noten völlig abgesackt. Dabei war er sonst immer ein ganz guter Schüler. Die Zwillinge kommen internetmäßig ganz gut zurecht, aber sie haben auch keine Zeit, ihren Geschwistern dauernd zu helfen.

Können Sie als Mutter denn helfen?

Ich frage zum Beispiel Freunde, ob sie uns etwas kopieren können. Einen Drucker hab ich jetzt gerade auch besorgt. Und mit einer Lehrerin, die ich privat kenne, will ich sprechen, ob sie vielleicht Nachhilfe geben kann. Bei vielen Sachen hilft auch mein Mann.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre Kinder?

Ja, sehr. Sie sind eigentlich wissbegierig und fleißig. Mit einem Schlag haben sich die Noten jetzt aber deutlich verschlechtert. Ich bin echt sauer.

Auf wen?

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Auf die Schule. Sie sollten rechtzeitig anrufen, wenn sie feststellen, dass die Kinder nicht mehr mitkommen. Angeblich haben sie uns Mails geschrieben, aber wir haben alles gecheckt. Da ist nichts angekommen.

Es gibt ja auch eine Notbetreuung für Kinder und Jugendliche, die zu Hause nicht richtig lernen können. Sie bekommen Arbeitsplätze in der Schule. Offenbar wurde Ihrer Familie das noch nicht angeboten.

Davon habe ich jetzt auch gehört. Aber nein, überhaupt nicht. Dabei wissen die, wie viele Kinder ich habe.

Caritas: Finanzschwache Familien werden nur schleppend über Schulen versorgt

Die Caritas-Sozialdienste, bei denen auch Familie U. um Unterstützung gebeten hat, stellen Nöte bei der digitalen Ausrüstung vieler Schulkinder in Mülheim fest. In den Beratungsstellen werden Familien mit geringem Einkommen und/oder mit mehreren Kindern betreut.

Die Versorgung über die Schulen oder das Sozialamt laufe nur sehr schleppend, so die Erfahrung der Caritas-Sozialdienste. „Besonders Kinder aus benachteiligten und einkommensschwachen Familien sind mit digitalen Kommunikationsmedien schlecht ausgestattet und werden somit als erste aus der Bildungsschiene herausgeworfen.“

Mülheimer Unternehmen werden um Laptop-Spenden gebeten

Dass bedürftige Familien jetzt extra Geld vom Jobcenter bekommen sollen, um ihre Kinder mit digitaler Technik auszustatten, begrüßt auch Caritas-Beraterin Elke Hüttenhoff. „Im vergangenen Jahr wurden alle Anträge, die wir gestellt haben, abgelehnt: ,Gibt es nicht.’“ Nun rät sie den Familien, für einen erneuten Antrag schon einmal Schulbescheinigungen zu besorgen und Nachweise, dass die Schule keine Geräte ausleihen kann.

Familien, die Hartz IV beziehen, werden mit maximal 350 Euro pro Kind bezuschusst. Das Geld wird rückwirkend zum 1. Januar 2021 gezahlt, für Geräte wie Laptops, Tablets und Drucker. Auch Geringverdiener sollen davon profitieren. Die Wohlfahrtsverbände hatten gefordert, dass die Corona-Hilfen aufgestockt werden.

Weiterhin bittet die Caritas Mülheim örtliche Unternehmen, ausrangierte, aber noch brauchbare Laptops, Tablets oder Drucker zu spenden - „damit möglichst kein Kind den Anschluss verliert“.

Kontakt und weitere Infos per Mail an monika.schick-joeres@caritas-muelheim.de oder telefonisch unter 0208-30008-40.