Herne. Hunderte Herner Kinder haben wieder am Girls‘ Day und Boys‘ Day teilgenommen. Doch hilft er Unternehmen bei der Nachwuchssuche? Das sagen Firmen.
Nach über als einer Stunde ist es soweit: Die vier Mädchen hängen in den Seilen. Das ist gar nicht abwertend gemeint, die Schülerinnen sind am Donnerstagmorgen zum ersten Mal als Industriekletterinnen vom Boden abgehoben. Möglich gemacht hat das Unternehmen Bilfinger Arnholdt, das in Eickel einen großen Standort hat - und sich wieder am Girls‘ Day beteiligt hat.
Der Girls‘ Day findet seit über 20 Jahren statt (und wird längst vom Boys‘ Day ergänzt). So sollen Mädchen und Jungen früh die Möglichkeit erhalten, in ein Berufsfeld hineinzuschnuppern, in dem das eigene Geschlecht in der Minderheit ist - um später vielleicht dort einzusteigen. Bei Industriekletterern sind Frauen tatsächlich in der Minderheit - zu den Ausnahmen zählt Franziska Herwig. Die 35-Jährige ist nach einigen anderen beruflichen Stationen quer eingestiegen. Sie liebt das Klettern, weil die Aufgaben immer wieder andere seien - und manchmal sei die Aussicht in luftiger Höhe auch sehr schön.
An diesem Morgen zeigen sie und Michael Bartalov den vier Schülerinnen, was Industriekletterer alles für ihren Job benötigen - eine Menge: Allein die Grundausrüstung wiegt 15 Kilogramm, man muss auf jede Menge Seile und Karabiner achten. Und der Job ist körperlich anstrengend. Henriette hatte vor dem Girls‘ Day keine Vorstellung, was sich alles hinter dem Begriff Industriekletterer verbirgt und hat sich deshalb beworben. Es sei cool gewesen und habe Spaß gemacht, sagt die 15-jährige Gymnasiastin. Kann sie sich das als Beruf vorstellen? „Vielleicht.“
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Henriette sich für etwas anderes entscheidet, Studien deuten darauf hin, dass der Girls‘ Day kaum dazu beiträgt, dass Mädchen in den MINT-Bereich streben. In Herne bestätigt der Lebensmittellogistiker Dachser diese Diagnose. „Wir nehmen zwar immer noch an dem Girls‘ Day teil, aber dass wir aus dieser Veranstaltung später Azubis ziehen, ist leider eher nicht der Fall“, heißt es auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion.
„Es geht nicht um die unmittelbare Berufswahl, sondern darum, Stereotypen zu durchbrechen“
Dennoch halten Dachser und andere Unternehmen an einer Teilnahme fest. Bilfinger unterstützt den Girls‘ Day, „weil wir davon überzeugt sind, dass es entscheidend ist, die Fachkräfte von morgen frühzeitig für diese wichtigen Berufe zu begeistern. Auch wenn sich später nur ein gewisser Prozentsatz für einen MINT-Beruf entscheidet, ist jeder Schritt in diese Richtung wertvoll. Es geht nicht nur um die unmittelbare Berufswahl, sondern auch darum, langfristig Stereotypen in unserer Gesellschaft zu durchbrechen.“
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Auch bei Adams Armaturen will man Stereotypen durchbrechen. „2024 sollte es eigentlich so sein, dass Berufe geschlechtsneutral sind, leider sind wir noch nicht an diesem Punkt angelangt. Wir denken, dass der Girls‘ Day dabei helfen könnte“, so Sprecherin Lisa Boretzki. In der Produktion arbeiteten immer noch nur Männer, doch Adams ist auf den Wandel vorbereitet: „Wir haben separate Umkleiden für Frauen, damit wir jedem die Arbeit in unserem Werk ermöglichen können.“
Vulkan nutzt den Girls‘ Day, um sich als vielseitiger Ausbildungsbetrieb zu präsentieren
Darüber hinaus trägt der allgemeine Nachwuchsmangel dazu bei, dass Unternehmen den Girls‘ & Boys‘ Day dazu nutzen, um schon mal auf sich aufmerksam zu machen. So sagt Sebastian Meise, Geschäftsführer Vulkan: „Für unser Unternehmen ist das immer eine gute Gelegenheit, uns als vielseitiger Ausbildungsbetrieb zu präsentieren und potenzielle zukünftige Auszubildende bereits kennenzulernen.“ Außerdem sei man bei Vulkan davon überzeugt, dass gerade das praktische Erleben und die Einblicke in die Arbeitswelt von Unternehmen für junge Menschen auf dem Weg der Berufs- und Lebensplanung essenziell seien.
Stadtentwässerung eins der ersten Unternehmen, die eine Kanalbauerin ausgebildet haben
Bei den Stadtwerken, die seit Jahren teilnehmen, ist man sich bewusst, dass Mädchen nicht unbedingt in den Beruf gehen, den sie beim Girls‘ Day kennenlernen. Dazu sei die Zeitspanne bis zu einem potenziellen Ausbildungsbeginn zu lang. „Es wäre utopisch zu sagen, dass die Mädchen nach dem Girls‘ Day genau wissen, was sie nach der Schule machen möchten“, so Georg Bohmke aus der Personalabteilung. Es sei nicht in erster Linie das Ziel, dass die Stadtwerke positiv dastehen, sondern dass Mädchen die MINT-Berufe kennenlernen. Allerdings tut sich auch etwas bei den Stadtwerken: Die erste Auszubildende im technischen Bereich sei vor sechs Jahren eingestellt worden, seitdem gebe es dauerhaft Mädchen, die eine Ausbildung in diesem Bereich begännen. „Wenn auch nicht unmittelbar, doch der Girls‘ Day trägt Früchte.“ Die Stadtentwässerung habe als eins der ersten Unternehmen in Deutschland eine Kanalbauerin ausgebildet.
Auch Christopher Meier, Chef der Herner Arbeitsagentur, hält Girls‘ Day und Boys‘ Day weiter für zeitgemäß. Man könne nicht nach einem Tag erwarten, dass Mädchen plötzlich alle in technische Berufe gehen, aber so erhielten sie die Chance hineinzuschnuppern. Und wenn dies Schnuppern dazu führe, dass ein Kind weiß, dass es diesen Beruf auf keinen Fall machen wolle, sei der Tag auch wertvoll gewesen. Darüber hinaus müssen man bedenken, dass Girls‘ Day und Boys‘ Day Teil des Systems „Kein Abschluss ohne Anschluss“ seien und nicht isoliert zu betrachten seien.