Herne. Mappe mit Lebenslauf und Anschreiben? Nicht mehr nötig. Unternehmen akzeptieren heute Whatsapp und Sprachnachrichten als Bewerbung
Zwei Minuten - also 120 Sekunden könnte es bis zu einem Ausbildungsplatz bei der Bäckerei Büsch dauern. Das Unternehmen aus Kamp-Lintfort, das auch Filialen in Herne hat, legt die Latte für potenzielle Bewerber sehr tief. Alles, was sie tun müssen: Mit ihrem Smartphone einen QR-Code scannen und eine Sprachnachricht senden. Dann könnte es klappen mit einer Stelle. Büsch jedenfalls setzt auf die Gleichung „Scannen. Sprechen - Job.“
Das Beispiel Büsch spiegelt zwei Entwicklungen wider: Einerseits suchen Firmen inzwischen geradezu verzweifelt Nachwuchs - und dafür kommen sie Jugendlichen beim Thema Bewerbungen sehr weit entgegen. Das offenbarte auch die Ausbildungsmesse für das Handwerk, die die Agentur für Arbeit und die Stadt Herne am Dienstag in und rund um die Flottmann-Hallen veranstalteten.
Bei Fresh Cars können Bewerber quasi mit der Tür ins Haus fallen
Völlig abseits jeglicher Formalien agieren Fresh-Cars-Inhaber Vedat Ergün und sein Betriebsleiter Ronny Gonzalez Lombardero. „Die erste Kontaktaufnahme kann auch über Instagram erfolgen, auch handgeschriebene Bewerbungen sind für uns überhaupt kein Problem“, so Lombardero. Doch die beste Variante sei es, quasi mit der Tür ins Unternehmen zu fallen. „Die persönliche Begegnung ist immer noch am besten. Wir sind ein familiärer Betrieb mit 15 Mitarbeitern, da ist es wichtig, dass es menschlich passt.“ Pünktlich, Ehrlichkeit und die Lust an der Arbeit setzen die beiden schlicht voraus.
So geht auch Mark Eckardt vor, der Ausbilder beim Garten- und Landschaftsbauunternehmen Wolfgang Stiller ist. Egal, ob noch Bewerbungsmappe oder E-Mail - letztere machen bei Stiller inzwischen 90 Prozent aus: „Wir laden alle erstmal ein, um einen Eindruck vom Menschen zu bekommen.“ Auch bei Klimatechnik Thomas stehe das persönliche Kennenlernen im Vordergrund.
Vorteil, aber auch Gefahr: Vorgefertigte Anschreiben aus dem Internet oder von ChatGPT
Jan Banken, Malermeister beim Sanierungsunternehmen Zoremba, hat bei Bewerbungsschreiben eine andere Feststellung gemacht. „98 Prozent der Bewerber googeln sich was aus dem Internet zusammen, da bekomme ich dann Bewerbungen, die ich schon dutzendfach gelesen habe.“ Diesen Trend kann auch Ulrike Sorge von der städtischen Stabsstelle für Arbeit bestätigen. Die Internet-Jobportale würden fertige Vorlagen bieten, mit denen man Anschreiben generieren könne. Auch ChatGPT spiele eine immer größere Rolle. Das sei zwar ein Vorteil für die jungen Menschen, können sich aber in einen Nachteil verkehren, wenn diese vorgefertigten Schreiben nicht individualisiert würden. „Da steht dann oft der gleiche Satz am Anfang“, so Sorge. Und so bot sie bei der Messe einen besonderen Service: Sie checkte bei Bedarf die Bewerbungen von jungen Menschen.
Beim Bochumer Maschinenbau-Unternehmen Eickhoff sind traditionelle Bewerbungen auf Papier mittlerweile unerwünscht. Kommen in Ausnahmefällen dennoch welche, würden die Unterlagen eingescannt. „Wir haben ein eigenes Karriereportal, unsere komplette Mitarbeitergewinnung läuft digital“, so Linda Müller aus der Personalabteilung. Das Karriereportal erreichen die Schülerinnen und Schüler durch das Scannen des QR-Codes - ein Hilfsmittel, das übrigens die meisten Firmen bei der Messe nutzen.
Der Familien- und Krankenpflege: Telefonnummer reicht, wir rufen dann zurück
Mike Imminger, Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege (FuK) in Herne, denkt im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion an seine eigene Bewerbung bei der FuK vor 13 Jahren zurück. Eine umfangreiche Papiermappe mit Anschreiben, tabellarischem Lebenslauf und Zeugnis. Plus Porträtfoto selbstverständlich. Ihm selbst reicht heute eine formlose E-Mail mit einer Telefonnummer, damit er Kontakt aufnehmen und eine Kennenlerngespräch vereinbaren kann. Den Begriff Vorstellungsgespräch verwendet er gar nicht mehr - zumal die Frage wäre, wer sich bei wem vorstellt und bewirbt. „Als Arbeitgeber müssen wir uns bemühen, sonst bekommen wir keine Azubis“, so Imminger. Dazu gehöre auch, sehr schnell auf E-Mails von potenziellen Auszubildenden zu antworten. „Sonst sind die weg.“
Firmen blicken nicht mehr nur auf Noten, sondern auf unentschuldigte Fehlstunden
Auch etwas anderes hat sich im Laufe der Jahre verändert - der Blick der Unternehmen auf Zeugnisse. Gerade im Handwerk sollte bei Mathe, Physik oder Chemie keine 5 oder 6 stehen, doch inzwischen spielt eine Kategorie eine Rolle, die bei den Noten gar nicht vorkommt: unentschuldigte Fehlstunden. Bei Eickhoff seien sie genauso wichtig wie die Noten, so Linda Müller. Für Anke Royczyk, Chefin der Bauunternehmung Malic, schaut sogar gar nicht mehr auf die Noten. „Unentschuldigte Fehlstunden sind ein Ausschlusskriterium“, sagt sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.
Peter Köhler, Geschäftsführer des Herner Unternehmens Lauing Plastic Technology, hat vor einiger Zeit eine extreme Entscheidung getroffen. Er habe eine Bewerbung auf den Tisch bekommen, bei der das Zeugnis nur aus Mangelhaft und Ungenügend bestanden habe. „Den schaue ich mir an“, erinnert er sich. Der junge Mann müsse mutig sein, sich mit diesem Zeugnis zu bewerben. Köhler war so mutig, ihn einzustellen - mit Erfolg. Der Azubi war so gut, dass er seine Gesellenprüfung habe vorziehen können.