Heiligenhaus. . Mit Nackenschmerzen fängt die viermonatige Leidenszeit an: Nach dem Besuch bei einer Akupunkteurin kommt die 49 Jahre alte Heiligenhauserin Silvia Wönnemann in die Uniklinik und springt dort dem Tod gleich mehrfach von der Schippe. Im Juli dann beginnt ihr zweites Leben.
Die dreieinhalb Wochen im Koma? Silvia Wönnemann schmunzelt immer wieder, wenn sie davon berichtet. Die Hirnhautentzündung, der Herzinfarkt und die Not-OPs? Och ja, halt irgendwie überstanden, erzählt sie mit einer erstaunlichen Lockerheit. Wer der 49 Jahre alten Heiligenhauserin bei ihrer Krankengeschichte zuhört, reißt jedes Mal vor Staunen die Augen auf, während Silvia Wönnemann lacht. „Meinen Humor habe ich nicht verloren.“ Dabei hätte Silvia Wönnemann dazu allen Grund gehabt, bevor am 3. Juli ihr zweites Leben begann.
Es ist Anfang März, ein paar Tage vor ihrem Geburtstag plagen die Heiligenhauserin Nackenschmerzen. Als sie nicht besser werden, fährt sie ins Klinikum Niederberg. Doch in der Notfallpraxis nimmt man ihre Beschwerden scheinbar nicht ernst. „Die haben sich das angeguckt und gesagt, das sei nicht so schlimm“, sagt sie und wird nach Hause geschickt. Ist es aber doch, so sehr sogar, dass Silvia Wönnemann am Abend erneut nach Velbert fährt – aber wieder nicht richtig untersucht wird. „Ich habe nur einen Schmerztropf bekommen.“
Entscheidung erweist sich als fatal
Von einer Besserung ist aber auch in den nächsten Tagen nichts zu spüren. Silvia Wönnemann weiß nicht weiter vor Schmerzen und fasst den Entschluss, der sich als fatal erweisen soll: Sie geht in Velbert zu einer Akupunkteurin. „Aus reiner Verzweiflung.“ Es ist der Beginn einer viermonatigen Leidenszeit, in der nicht klar ist, ob und wie Silvia Wönnemann überleben wird.
Beim ersten Termin geht noch alles gut, die Heiligenhauserin bekommt Nadeln in den Nacken, die Hand und ins Brustbein. Drei Tage später wird Strom an die Nadeln angeschlossen. „Das machte richtig Bumm in meinem Körper“, erinnert sie sich. 45 Minuten liegt sie anschließend auf einer Pritsche, kann kaum sprechen, die Beine schmerzen. „Aber“, sagt Wönnemann, „ich dachte, das wird wieder.“
Abszesse an der Hand
Zwei Tage später: Es wird wohl doch nicht. Aber diesmal fährt Wönnemann in die Essener Uniklinik. Im Nacken und an der Hand, also genau dort, wo die Akupunkturnadeln gesetzt worden sind, haben sich Abszesse gebildet. Das im Nacken ist geplatzt, der Eiter hat zwei Wirbel zersetzt, verteilt sich im ganzen Körper – die Lage ist bedrohlich, vier Monate kämpft sie um ihr Leben. Sie liegt im Koma, auf der Intensivstation und der Neurochirurgie. Hirn- und Knochenhaut haben sich entzündet, sie trägt den multiresistenten Erreger 4MRGN in sich, hat eine Lungenentzündung und Blutvergiftung, wird zwölfmal an der Hand und am Hals operiert.
Inzwischen ist Wönnemann wieder zu Hause, aber der Nacken ist versteift. „Das oder querschnittsgelähmt“ waren die Alternativen, durch die fehlenden Wirbel hätte es sonst zu einem Genickbruch kommen können. Den Kopf drehen kann sie nur, wenn sich der komplette Oberkörper mitbewegt. An die vier Monate erinnern zwei Narben – eine vom Hinterkopf bis zwischen die Schulterblätter ;die andere von Ohr zu Ohr den Hals entlang. „Ich bin froh, dass ich lebe“, sagt Wönnemann, „die Ärzte haben nicht geglaubt, mich noch mal auf meinen Beinen stehen zu sehen.“
Anzeige gegen Akupunkteurin gestellt
Silvia Wönnemanns Krankengeschichte hat zwei Nachspiele. Eines für die Heiligenhauserin selbst: Je zweimal in der Woche kommen Ergo- und Physiotherapeuten zu ihr nach Hause. „Mit der Hand ist es schwierig, ein Messer zu halten“, sagt sie. Ihren Job in einer Kantine kann die 49-Jährige auch nicht mehr ausüben, sie hat einen Schwerbehindertenpass beantragt. Immerhin: „Ich bin mit 47 Kilogramm aus dem Krankenhaus rausgekommen – bei 1,75 Metern Körpergröße. Ich habe jetzt aber schon wieder 54…“
Das andere Nachspiel droht der Akupunkteurin, die ihre Praxis inzwischen in Heiligenhaus aufgeschlagen hat. „Die Ärzte gehen davon aus, dass die Nadeln verdreckt waren und haben gleich nach meiner Einlieferung Strafanzeige gestellt.“ Auch Silvia Wönnemanns Mann hat während ihrer Zeit im Krankenhaus Anzeige erstattet.
Behandelt habe die Frau damals in Velbert in zwei Kellerräumen, „nie gegen Quittung oder Rechnung, die Nadeln waren nicht eingeschweißt, sondern in Papier, sie trug Räuberzivil. Aber ich habe gehört, dass sie jetzt Hand- und Mundschutz hat und einen Kittel trägt.“ Ein Wort der Entschuldigung habe es nie gegeben: „Als ich im Koma war, hat sie meinen mal angerufen, wollte mich sprechen. Das war, als ermittelt wurde. Ansonsten ist sie nicht auf mich zu gegangen.“