Duisburg. David M.* hat vor 14 Monaten eine neue Hüfte bekommen – seitdem teils unerträgliche Schmerzen im Bein, die bis in den Knöchel ziehen. Schmerzen, die er vor der OP gar nicht hatte. Wenn es darum geht, zu prüfen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, beginnt für die Krankenkassen die Detektivarbeit.

Der Fall David M.*: Vor 14 Monaten eine neue Hüfte bekommen – seitdem teils unerträgliche Schmerzen im Bein, die bis in den Knöchel ziehen. „Schmerzen, die ich vor der Hüftoperation gar nicht hatte“, erinnert sich der Duisburger. Lange haderte er mit sich, bekam von seinem Hausarzt starke Schmerzmittel verschrieben, vom Orthopäden Rehamaßnahmen. Immer wieder die Gedanken, „das kann doch nicht sein, vielleicht ist bei der Operation etwas schiefgelaufen“. In seinem Leben ist er seither eingeschränkt. Kann nur kurze Strecken laufen, einzig das Fahrradfahren fällt ihm leichter. Erst eine Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt: Bandscheibenvorfall. Ein Nerv sei eingeklemmt, dieser die Ursache für den Schmerz und die Taubheitsgefühle im Finger.

Der Verdacht, dass ein Behandlungsfehler den Vorfall verursacht hat, keimt in David M. auf, als er im Fernsehen die Operation an einer Hüfte mit eigenen Augen sehen konnte. „Mit Brachialgewalt wurde da der Patient gelagert – danach dachte ich mir, wenn dabei nicht mal etwas passiert ist’.“

Keine Rechtsberatung durch Krankenkasse

Hilfe sucht der Mann bei seiner Krankenversicherung. Die Barmer GEK bietet seit mehr als 15 Jahren eine Beratung für Versicherte, die glauben Opfer eines Behandlungsfehlers zu sein. Der Hauptsitz des neunköpfigen Teams ist in Köln, Fälle aus den regionalen Niederlassungen laufen dort zusammen. Einer der Experten für Behandlungsfehler ist der Jurist Michael Schlotjunker. Einmal im Jahr fährt er persönlich in die Niederlassungen, um den Versicherten gegenüber zu sitzen. Zuletzt in der Duisburger Niederlassung auf der Neudorfer Straße. Die Termine sind rein beratend, um ein Gutachten einzuleiten. „Wir dürfen keine Rechtsberatung machen, nur Empfehlungen geben, im Falle eines durch Gutachter ermittelten Behandlungsfehlers, einen Anwalt zu konsultieren“, sagt Schlotjunker.

ärzte duisburg.jpg

Ob das Sprichwort „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ in der Medizinbranche noch gelte? „Es hat sich viel getan – sonst säßen wir nicht hier.“ Gleichwohl wäre es wünschenswert, wenn die Fehlerkultur in der Branche sich weiterhin wandle. Patientenrechte wären durch das Ende Februar in Kraft getretene Patientenrechtegesetz gestärkt worden. „Als ich früher in der Uni in Bonn saß, hörte ich noch den Satz ,es gibt keine Behandlungsfehler’.“

Erwartungen werden oft enttäuscht

Letztes Jahr hätte es allein für die Barmer GEK Nordrhein zweieinhalb Mio Euro an Regress für Behandlungsfehler gegeben. „Und dieses Jahr werden wir die Zahl garantiert auch wieder erreichen“, prognostiziert Schlotjunker. Jeder Fall sei anders, jeder Fall bringe andere Schwierigkeiten mit sich. Im Monat kämen rund 30 bis 45 Fälle rein. Überwiegend Patienten, die chirurgisch behandelt wurden. „Dankbar sind immer Fälle, wie zum Beispiel Lagerungsschäden nach einer OP.“ Die Operation an sich verlief ohne Komplikationen, durch anschließend falsche Lagerung kommt es dann zu Paresen, also Lähmungserscheinungen. „Im Juristenjargon ein vollbeherrschbares Risiko.“

Schwer nachzuweisen hingegen seien u.a. Infektionen, die nach Prothesenwechsel auftreten. So mancher Fall geht ihm nahe. „Vor allem, wenn es um Geburtsschäden geht, und ich den Eltern gegenüber sitze, deren Kind nun mit Pflegestufe drei lebt.“ Viele Patienten kämen mit einer großen Erwartungshaltung – „der können wir nicht immer gerecht werden“.

*Name von der Redaktion geändert

Gutachten kann 12 bis 14 Monate in Anspruch nehmen 

David M. entschließt sich nach dem Gespräch ein Gutachten erstellen zu lassen. Er ist in der Beweispflicht. Michael Schlotjunker stellt ihn vor die Wahl: Er kann das Gutachten von der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein erstellen lassen, oder durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK). „Beide Verfahren sind für Sie kostenlos“, betont der Jurist. Die Vor- und Nachteile sind Schlotjunker bekannt: „Die Gutachterkommission der Ärztekammer genießt eine höhere Akzeptanz und man hat gute Chancen auf eine außergerichtliche Einigung.“

Auch interessant

Dafür dauert das Prozedere länger. Mit 12 bis 14 Monaten müsse der Patient rechnen. „Der Medizinische Dienst kann schneller arbeiten (etwa 6 Monate) – da wir, die Krankenkasse, in dem Fall aber Auftraggeber sind, kann die Gegenseite jedoch behaupten, dass Gutachten zu unserem Gunsten erstellt wurden.“ David M. entscheidet sich für die Gutachterkommission. Mit der „Brechstange“ wolle er nicht vorgehen. „Es geht mir nicht darum, den Arzt persönlich anzugreifen.“ Hauptsache er könne auch anderen Patienten damit helfen.

Meiste Vorwürfe aus der Chirurgie, Orthopädie und inneren Medizin

Die Gutachterkommission Nordrhein stufte zwischen dem 1. Oktober 2011 und 30. September 2012 von 1935 erledigten Anträgen 30,94 % als Behandlungsfehler ein. (Quelle: Ärztekammer Nordrhein). 2012 hat der MDK Nordrhein über 1650 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt (10% mehr als 2011). In etwa einem Viertel der Fälle stellten die Gutachter einen ärztlichen Behandlungsfehler fest. Die meisten Vorwürfe kommen aus den großen operativen Fachgebieten Chirurgie und Orthopädie sowie aus der Inneren Medizin. (Quelle: MDK Nordrhein, Jahresbericht 2012).