Bielefeld. Ein Gericht verurteilt in zweiter Instanz einen Mediziner, weil er als Student im Praktischen Jahr mit einer Spritze den Tod eines Babys verschuldet hat. Der Chefarzt habe glaubhaft ausgesagt, der Student habe von einem “Blackout“ gesprochen. Das Landgericht Bielefeld sieht auch Versäumnisse bei der Klinik.
Zwei Jahre nach dem Tod eines Babys durch eine Spritze hat das Landgericht Bielefeld einen Mediziner auch in zweiter Instanz wegen
fahrlässiger Tötung verurteilt. Der damals 29 Jahre alte Student im Praktischen
Jahr (PJ) hätte das Unglück mit einer Nachfrage verhindern können, sagte Richter
Wolfgang Lerch am Mittwoch in der Urteilsbegründung. Das Baby war durch eine
irrtümlich intravenös gegebene Spritze gestorben. (Az.: 18 Js 279/11)
Das Gericht reduzierte zugleich die in erster Instanz verhängte
Geldstrafe von 120 auf 90 Tagessätze. Der Betrag bleibt zwar gleich bei 1800
Euro - durch die geringere Tagessatzanzahl taucht die Verurteilung aber nicht
mehr im Führungszeugnis des Arztes auf, die sonst ab 91 Tagessätzen vermerkt
wird.
"Organisationsproblematik" in Bielefelder Krankenhaus
In der Bielefelder Klinik seien für die orale und die intravenöse
Gabe von Medikamenten die gleichen Spritzen verwendet worden, stellte das
Gericht fest. Dabei sei damals auch in Deutschland schon bekanntgewesen, dass es
in Amerika in Dutzenden von Fällen zu Verwechslungen gekommen sei. Dennoch habe
das Evangelische Krankenhaus Bielefeld sein
Spritzensystem in der Kinderkrebsstation erst am Tag nach dem Unglück auf
unverwechselbare Spritzen umgestellt. Diese "Organisationsproblematik" habe das
Gericht in sein Urteil einbezogen.
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Der Angeklagte nahm das Urteil scheinbar regungslos auf. Die Eltern
des Opfers, die oft mit den Tränen kämpfend als Nebenkläger die Verhandlung
verfolgt hatten, verließen noch während der Urteilsbegründung empört den
Saal.
Das PJ ist der praktische Abschluss des Medizinstudiums. Der zehn
Monate alte Junge war im August 2011 wegen Leukämie zur Behandlung in der Klinik
gewesen. Am 22. August, der Student war gerade eine Woche auf der Station, kam
es zu dem Unglück. Er sollte eigentlich dem Kind nur Blut abnehmen, sagte der
Richter. Der Student habe die Krankenschwester aber so verstanden, dass er auch
ein Antibiotikum verabreichen sollte.
Student habe von "Blackout" gesprochen
Die Schwester hatte der Mutter des Jungen, die ihr Kind im
Patientenzimmer auf dem Arm hielt, eine Spritze auf den Nachttisch gelegt. Die
Mutter sollte das Antibiotikum in den Mund träufeln. Der Student nahm die
Spritze und leitete das Medikament per Venenkatheter intravenös in den Körper.
Dreieinhalb Stunden später war der Junge tot.
Der ausgebildete Rettungssanitäter und Medizinstudent habe die
Krankenakte des Jungen nicht gekannt und auch die Morgenübergabe auf der Station
verpasst. Zudem sei die Spritze entgegen der sonst üblichen Praxis für
intravenöse Gabe nicht beschriftet gewesen, betonte Richter Lerch. Der Chefarzt
habe vor Gericht glaubhaft ausgesagt, der Student habe von einem "Blackout"
gesprochen. "Bei den Fähigkeiten und den Erfahrungen des Angeklagten ist sein
Handeln nur mit einem Blackout zu erklären", sagte der Richter.
Die Verteidiger hatten Freispruch gefordert. Die Klinik treffe durch
die schlechte Organisation eine Mitschuld. Die Staatsanwaltschaft plädierte
dafür, dennoch das Urteil der ersten Instanz wegen fahrlässiger Tötung zu
bestätigen. Beide Seiten wollen jetzt zunächst die schriftliche
Urteilsbegründung abwarten, bevor sie sich dazu äußern, ob sie das Urteil
anfechten wollen. (dpa)