Seoul. Für die Schönheit legt sich manch einer unters Messer. In Südkorea sind zur Zeit riskante Kiefer-OPs der letzte Schrei, um ein zierliches schmales Kinn in V-Form zu bekommen. Doch die Operation birgt große Risiken und verändert das gesamte Aussehen dramatisch.
Nasenkorrekturen oder Augen-Lifts - das sind in Südkoreas boomender Schönheitsindustrie längst Standards. Der Trend geht hin zu einem wesentlich radikaleren Eingriff: Im Dienste der Schönheit werden umfassende Kiefer-OPs angeboten. Angepriesen werden schmalere Gesichter und Kinnpartien in zierlicher V-Form.
Verschwiegen wird dabei, dass dem riskanten und schweren Eingriff ein monatelanger, oft schmerzhafter Heilungsprozess folgt. Etliche Patienten klagen danach über Taubheitsgefühle, Gesichtslähmungen oder schiefe Mundpartien. Immer öfter unterziehen sich Patientinnen aus rein kosmetischen Gründen der folgenschweren Knochenchirurgie, die eigentlich für erblich bedingte Deformierungen oder Kauprobleme aufgrund von Über- oder Unterbiss entwickelt wurde. Die kosmetischen Vorzüge der Eingriffe werden auf Plakaten, in U-Bahnstationen, Zeitschriften und Internet beworben. "Außer Dir hat es jeder getan", heißt es auf einem Plakat in einem Bus. In Fernsehshows treten Prominente auf, die von einem "neuen Leben" dank der Kieferchirurgie schwärmen. Ein zartes Gesicht mit spitz zulaufendem Kinn gilt zusammen mit großen Augen und einem hohen Nasenrücken in großen Teilen Ostasiens als Inbegriff weiblicher Schönheit.
Frauen sind bereit, einen hohen Preis zu zahlen
Um dieses Ziel zu erreichen, sind viele Frauen offenbar bereit, einen hohen Preis zu zahlen. "Diese Operation verändert das Aussehen viel dramatischer als Botox oder eine Nasen-Operation, weil sie die gesamte Struktur der Gesichtsknochen verändert", sagt Choi Jin Young, Professor für Zahnmedizin an der Staatlichen Universität Seoul. "Doch es ist eine sehr komplexe, potenziell gefährliche Operation. Es ist beunruhigend, dass Leute ohne tatsächliche Zahnmängel dies auf sich nehmen, nur um ein kleines, hübsches Gesicht zu haben." Nach Angaben des Internationalen Verbands der ästhetisch-plastischen Chirurgen hat Südkorea eine der höchsten Pro-Kopf-Raten plastisch-chirurgischer Eingriffe weltweit.
Eine Studie schätzt die Zahl der Doppel-Kiefer-OPs im Land auf jährlich 5000, doch dabei wurde nicht zwischen kosmetischen und medizinisch notwendigen Operationen unterschieden. Der Studie zufolge litten rund 52 Prozent nach der unter Vollnarkose vorgenommenen Operation an sensorischen Problemen wie Taubheitsgefühlen im Gesicht. Nach Angaben der Verbraucherschutzbehörde in Seoul stieg die Zahl der registrierten Beschwerden von 29 im Jahr 2010 auf 89 im vergangenen Jahr, wobei viele weitere Fälle post-operativer Probleme wahrscheinlich nie bekannt werden. "Mein Mund bewegt sich immer nach links und die Kieferpartie ist taub", schreibt eine Patientin in einem Online-Forum.
Selbstmord nach misslungener Schönheits- OP
"Ich spüre es nicht einmal, wenn Speichel aus meinem Mund tropft." Dazu stellte sie Fotos ihrer schiefen Mundpartie. Im August beging eine 23-jährige Studentin nach einer Kiefer-OP Selbstmord. In einem Abschiedsbrief schrieb sie verzweifelt, sie könne nicht mehr kauen und müsse pausenlos weinen, weil Nerven einer Tränendrüse geschädigt worden seien. Der auf medizinische Behandlungsfehler spezialisierte Anwalt Shin Hyon Ho in Seoul berichtet von Fällen, in denen die Operation chronische Kieferschmerzen, schiefe Mundpartien, Fehlstellungen bei den Zähnen und die Unfähigkeit zu kauen oder zu lächeln zur Folge hatte.
"Die Anzahl von Fällen mit Bezug zur Schönheitschirurgie nimmt zu und die Komplikationen werden schlimmer", konstatiert Shin. Nach anonymen Angaben eines Chirurgen machte eine Zahnklinik in Seoul die Schönheits-Kieferoperation vor rund vier Jahren populär. Seither bieten auch plastische Chirurgen sie an, was sie für einen größeren Kundenkreis erschwinglich machte. "Zwar wurde es ursprünglich entwickelt, um Zahnfehlstellungen zu korrigieren, doch man kann es niemandem verübeln, dass er sich operieren lässt um gut auszusehen", sagt der Mediziner. "Vor allem an einem Ort wie hier, wo die Schönheit, vor allem bei Frauen, wichtiger ist als alles andere." (AFP)