Hattingen. Ärger in Hattingen-Welper kurz vor den Baumfällungen für den Schulerweiterungsbau. Was Menschen dort von Stadt und Politik erwartet hätten.
Nur wenige Stimmen dringen aus dem geöffneten Fenster einer Gesamtschulklasse in Hattingen-Welper, Lange Horst. Vögel zwitschern am Freitag, buntes Herbstlaub fällt. Ab Montag wird es hier laut. Dann beginnen die Bauarbeiten für den Erweiterungsbau inklusive Baumfällungen. Darüber ist der Ärger groß auf dem Marktplatz und auch im neuen Markttreff im ehemaligen Gemeindeamt Welper.
Kaffeetassen stehen auf dem Tisch im Saal des Ex-Gemeindeamtes, ein Stuhl ist immer frei zwischen den Besucherinnen und Besuchern des Markttreffs – Corona ist immer noch präsent. Die Freude aber über das erste Treffen nach der langen Corona-Pause ist groß. Doch das Thema, das gerade auf den Tisch kommt, drückt die Stimmung.
Ärger über nahende Baumfällung auf dem Schulhof in Hattingen-Welper
„Die Bäume sind des Todes“, sagt Ulrike Wuttke (65) zu ihrer Sitznachbarin. Auch Nadia Khalil, die aus Syrien stammt, ist gekommen, um mit den Welperanern zu sprechen.
Initiative übergibt 4499 Unterschriften gegen Fällung
4499 Unterschriften hat die Initiative „Rettet die Bäume – Gesamtschule Hattingen-Welper“ gegen die Fällung der Bäume auf dem Schulhof Lange Horst gesammelt und sie vor der Ratssitzung am Donnerstag Bürgermeister Dirk Glaser übergeben.
Architekt Michael Schindler, der einen Gegenvorschlag zum Erweiterungsbau ins Spiel gebracht hat, ärgert sich in einem Brief an Dirk Glaser und Baudezernent Jens Hendrix’ darüber, dass sein Vorschlag abgetan wurde. Er habe den OP Bereich des Krankenhauses Blankenstein aufgestockt, die Kuppel des Ex-Satkom-Towers konstruiert und gebaut. Schindler spricht seitens der Politik von einer „typischen Machtdemonstration, es geht nicht um Sachlichkeit oder Vernunft“, sagt er niedergeschlagen.
Sie hört interessiert zu, als Anky Haarmann (59) erzählt, dass sie „da oben zur Schule gegangen ist. Es ist traurig, dass die Allee zerstört wird. Die Bäume sind nicht mehr zu retten.“
Welperanerin kritisiert: Politiker haben nicht genug auf Bürgerinnen und Bürger gehört
Hannelore Masa (86) lauscht, nickt, will gleich um 14 Uhr noch zum Bingo-Spielen bleiben. Rita Nachtigall, zuständig fürs altengerechte Quartier Welper und den Bürgertreff, bringt Genähtes im Welper-Design zum Anschauen vorbei.
„Hast Du gehört? Jetzt kommen die Bäume weg“, sagt eben Ursula Daudert (67) zu ihrer Bekannten am Rande des Marktes. „Es gab so viele Gegenvorschläge für den Bau. Aber das wird einfach gemacht. Die Bürger werden nicht gefragt. Das ist nicht richtig. Man sollte auf die Bürger hören“, findet sie.
Wolfgang Hinzmann: „In Hattingen gibt es ja auch keine Baumschutzsatzung“
Wolfgang Hinzmann (56) kommt mit seinem Hunde Herr Schröder dazu – „nicht wie der Gerhard, sondern wie der von den Peanuts“, stellt er klar. Für eine „Schande“ hält er die Baumfällung. „Alle reden von Umwelt- und Klimaschutz und dann sollen kleine Bäumchen dafür gepflanzt werden. Das ist lächerlich. Aber was soll man sagen: In Hattingen gibt es ja auch keine Baumschutzsatzung.“
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Frank Grabe (52) gesellt sich zu Hinzmann, die Damen sind schon weitergezogen. „Was an Protest von Sommer bis Oktober gelaufen ist, ist für die Katz.“ Zu spät seien die Bürger von der Politik gefragt worden. „Das war Thema im Stadtrat. Klar. Aber bei solchen Projekten müssen Politiker doch mal vorher mit einem Tisch zum Markt kommen, sagen, was sie machen wollen, was das bedeutet und müssen Bürger nach der Meinung fragen. Da werden die Pläne einfach ausgelegt und dann wird gesagt, dass jeder Zeit hatte, sich zu melden. Das ist für mich keine ehrliche Politik.“
Kritik auch an Trägheit von Bürgerinnen und Bürgern
Hinzmann ärgert aber auch, dass viele Bürger schimpfen, aber nichts unternehmen – und dass Friday for future sich die Baumfällung nicht mehr zum Thema gemacht hat.
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Ehepaar Neumann isst gerade mit dem siebenjährigen Töchterchen ein Eis. „Einfach mies ist das. Man muss jeden gesunden Baum schützen, um ihn kämpfen. Wir sind in Sorge um unsere Wälder.“ Mit Blick auf die Politik sagt der Familienvater: „Wenn die wollten, fänden sie eine andere Möglichkeit.“
Auf dem Schulhof herrscht idyllische Ruhe vor dem Arbeitssturm
Indes ist der Schulhof mit rot-weißem „Ordnungsamt“-Flatterband, das sich um Mülleimer, vorbei an Abi-Jahrgangs-Erinnerungen und Bäumen spannt, abgesperrt. Mehrere Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sind mit zwei Autos die einzigen, die den Schulhof bevölkern. In dessen Mitte steht ein gelber Generator. Auf ihm: ein Lichtmast mit acht Flutlichter. Anwohner haben sich bei der Stadt schon wegen „nächtlicher Ruhestörung“ durch das Generatorengeräusch beschwert. Viele können nachts nicht schlafen.
Platanen werden gefällt
Die Maßnahmen der Stadt sollen die Bäume vor jenen schützen, die sie schützen wollen und sollen dafür sorgen, dass die Arbeiten störungsfrei ausgeführt werden können. Die Sonne scheint durch die Kronen. Einige von ihnen sollen ab Montag weichen.