Gladbeck. Ralf Ahmann leidet unter Panikattacken. Er sagt, mentale Krankheiten gehörten in die Mitte der Gesellschaft. Wie er lernte, damit zu leben.

Ein Mann wie ein Baum, zwei Meter groß, durchtrainiert, selbstbewusst. Wer es nicht weiß, käme nie darauf, dass Ralf Ahmann unter Angststörungen leidet. Die Krankheit ist seit sechs Jahren Teil seines Lebens, und der 52-Jährige macht daraus kein Geheimnis. „Ich habe gelernt, die Erkrankung zu akzeptieren und damit zu leben.“

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Der Weg dahin war nicht leicht. Die erste Panikattacke kam wie aus dem Nichts. Der Außendienstler in der Baubranche war auf dem Weg zu einem Kunden in Frankfurt. Auf dem linken Fahrsteifen der Autobahn, rechts neben ihm ein Lkw, überfiel ihn plötzlich eine „vernichtende Angst“: „Mein Herz raste, es kribbelte in den Armen und Beinen, mein Blickfeld verengte sich, ich hatte das Gefühl, gleich umzukippen. Ich habe an meine Frau und Tochter gedacht und wollte noch nicht sterben.“ Die große Lücke hinter seinem Auto nutzte er, um das Tempo zu reduzieren, hinter den Lkw zu gelangen und schließlich auf dem Standstreifen anzuhalten. „Gefühlt 20 Zigaretten später war die Panikattacke vorüber.“

Panikattacken kamen auf einer Party, im Aufzug und im Auto

Es blieb nicht die einzige. Sie kamen in unterschiedlichen Situationen: auf einer Gartenparty, in engen Aufzügen, in Menschenmengen und immer wieder im Auto. Ralf Ahmann verlor seinen Job, weil er nicht mehr fahren wollte und konnte, sein Interesse am Sport schwand. „Ich fühle mich aus meinem Leben katapultiert.“ Er lief von Arzt zu Arzt in der „Hoffnung“ auf eine körperliche Ursache. „Ich wollte einfach nicht glauben, dass ich einen an der Waffel habe“, sagt er frei heraus.

Wir können nach Siegmund Freud in Ihrer Kindheit wühlen, um vielleicht eine Ursache zu finden, oder wir lernen gemeinsam, mit Ihrer Krankheit zu leben
Therapeut

Monate später musste er die mentale Erkrankung doch akzeptieren. Sein Neurologe verschrieb ihm ein Antidepressivum. „Davon wurde ich gleichmütiger, sanfter, die Emotionen waren gedämpfter.“ In der Reha-Klinik stellte ein Therapeut ihn vor die Wahl: „Wir können nach Siegmund Freud in Ihrer Kindheit wühlen, um vielleicht eine Ursache zu finden, oder wir lernen gemeinsam, mit Ihrer Krankheit zu leben.“

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Ralf Ahmann entschied sich für die zweite Möglichkeit – und ist heute froh darüber. Seit sechs Wochen nimmt er das Medikament nicht mehr, auch die Besuche beim Therapeuten gehören der Vergangenheit an.

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„Ich habe so viele Techniken gelernt, dass ich die Attacken bewältigen kann“, sagt er. Neben autogenem Training, Atem-, Entspannungsübungen und Co. gehört zu seiner Strategie, viel über sich nachzudenken und offen über die Krankheit zu reden. Der Kabarettist Torsten Sträter, der unter Depressionen leidet und keinen Hehl daraus macht, sei ihm da ein Vorbild. „Mentale Erkrankungen gehören in die Mitte der Gesellschaft.“

Ralf Ahmann aus Gladbeck meint: „Mentale Erkrankungen gehören in die Mitte der Gesellschaft.“
Ralf Ahmann aus Gladbeck meint: „Mentale Erkrankungen gehören in die Mitte der Gesellschaft.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Und genau dorthin zurück trieb es ihn auch: „Job, Verdienst, Sport, Autofahren. Das wollte ich auch wieder.“ Motiviert habe ihn auch der Klinikaufenthalt, bei dem er Menschen mit deutlich schlimmeren Erkrankungen getroffen habe, und ein Satz des Therapeuten: „Ihre Krankheit ist der kleinste Kratzer im Lack.“

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Zuerst nahm er das Berufliche in den Blick. Bei der IHK absolvierte er eine Weiterbildung zum Wirtschaftsfachwirt. Die Prüfung bestand er als einziger von 16 Teilnehmern und fand sehr schnell wieder eine Anstellung – erneut im Außendienst. Jede Autofahrt sei für ihn ein Erfolg und befeuere ihn, sagt er.

Ich sehe meine Krankheit jetzt als meine geheime Superkraft
Ralf Ahmann (52)

Und wenn ihn, wie kürzlich auf dem Weg nach Rheinland-Pfalz, doch wieder ein Unwohlsein befällt, nimmt er es hin. „Ich habe gelernt: Wenn man die Panik zulässt, sich nicht dagegen wehrt, merkt sie, dass sie einem nichts mehr anhaben kann und klingt ab.“

Unterstützung in der Selbsthilfegruppe

Seit einigen Jahren ist Ralf Ahmann Mitglied der Selbsthilfegruppe „Unsinkbar Gladbeck“, die jeden Mittwoch nachmittags im Bürgerhaus Ost an der Bülser Straße zusammenkommt. Dort treffen sich Männer und Frauen, die an Depressionen, Panik- und Angststörungen leiden (www.unsinkbar-gladbeck.de; Mail: info@unsinkbar-gladbeck.de)

Der 52-Jährige will dabeibleiben, obwohl es ihm besser geht. „Ich gehe weiter in diese Gruppe, vor allem, um anderen etwas zu geben.“ Und, um ihnen immer wieder klarzumachen: „Der Weg, den ich gegangen bin und gehe, ist meine persönliche Strategie, hat keine Allgemeingültigkeit. Jeder kämpft seinen eigenen Kampf.“

Ralf Ahmanns Leben hat sich verändert, so sehr, dass er sagt: „Der Ralf heute gefällt mir besser als der vor der Erkrankung.“ Das liege nicht nur daran, dass er sich, dank regelmäßiger Besuche im Fitnessstudio und im Schwimmbad, äußerlich zum Positiven verändert habe, sondern auch an seiner gewachsenen Energie. Er sucht neue Herausforderungen, macht zum Beispiel gerade den Motorradführerschein und möchte Saxophon-Unterricht nehmen. „Und das alles, obwohl ich diesen Rucksack trage.“

Fast möchte man sagen: weil er diesen Rucksack trägt. Denn Ralf Ahmanns letzter Satz unseres Gesprächs lautet: „Ich sehe meine Krankheit jetzt als meine geheime Superkraft.“