Gladbeck. Hunderte Gladbecker Kinder haben keinen Kita-Platz, trotz Rechtsanspruch. Die Zahl schockiert vor allem mit Blick auf Nachbarstädte.

Am 1. August hat das neue Kindergartenjahr begonnen, und 871 Gladbecker Kinder haben keinen Betreuungsplatz in einer Kita. Das klingt schlimm, ist es auch. Bedrohlicher wird das Szenario noch, wenn man sich anschaut, wie die Zahl zustande kommt, die 871 Kinder sind nämlich keineswegs nur die, die zum August 2023 in den Kindergarten gehen wollten und nicht konnten. Das Dilemma reicht weiter zurück.

„Diese Summe umfasst die vorgemerkten und noch unversorgten Kinder“, erklärt Stadtsprecher David Hennig, wohlgemerkt aus den Kindergartenjahren seit 2021/2022. Noch immer sind Kinder von damals ohne Betreuungsplatz, warten also mittlerweile geschlagene zwei Jahre und haben auch in diesem Jahr keinen Platz bekommen. Aus dem Kita-Jahr 2021/2022 sind das 53 Kinder, davon heute 16 Kinder unter drei Jahren und 37 Kinder über drei Jahren.

Hunderte Gladbecker Kinder mit Rechtsanspruch, kaum Klagen

Auch zum Start des abgelaufenen Kita-Jahres 2022/2023 sind junge Gladbecker auf der Strecke geblieben, 262 an der Zahl, 115 U3-Kinder und 147 Ü3-Kinder. Komplettiert wird das Ensemble der Unbetreuten mit den Zahlen aus dem aktuellen Jahr 2023/2024, da sind 556 Kinder ohne Kita-Platz geblieben, 451 U3 und 105 Ü3. Diese Gruppe lässt sich nochmals teilen: in 269 Kinder mit einem Aufnahmewunsch zum August (183 U3, 86 Ü3) und 287 mit Aufnahmewunsch zum September oder später (268 U3, 19 Ü3).

Das macht in der Summe eben jene 871 Kinder, für die sich ihre Eltern nun alternative Betreuungen ausdenken müssen – oder schon ausgedacht haben. Soweit zu den nackten Zahlen, wobei es noch zwei gibt, die besonders stutzig machen: 289 und 3. Betrachtet man die vergangenen zwei und das aktuelle Kindergartenjahr, sind 289 Ü3-Kinder ohne Kitaplatz, und das, obwohl deren Eltern den Rechtsanspruch auf einen Platz haben. Bekommen sie ihn nicht, können sie klagen. Drei, das ist die Zahl der Klagen, die für die drei Kitajahre bei der Stadt Gladbeck eingegangen sind.

Wie die Stadt dem Kita-Mangel begegnen will

Woher die Diskrepanz zwischen unbetreuten Ü3-Kindern und Klagen kommt, es lässt sich bestenfalls spekulieren. Nahe liegt die Unwissenheit darum, dass der Rechtsweg möglich ist, vielleicht ist es auch die Angst, ihn zu beschreiten. Oder aber die Angst vor dessen Erfolg. Nur weil die Stadt der Familie in Zweckel von Rechts wegen einen Ü3-Platz zugestehen muss, heißt das nicht, dass der auch in Zweckel ist. Sondern vielleicht in Brauck.

Die Stadt jedenfalls will dieser Betreuungsmisere Herr werden. „Uns ist die Problematik durchaus bewusst“, sagt Stadtsprecher Hennig, „die Verwaltung arbeitet daran, aber dies braucht seine Zeit.“ Für Kinder, die schon länger ohne Betreuungsplatz sind, gibt es „Brückenangebote“, 150 Plätze als Übergang zur Grundschule für diejenigen, die keine Kita besucht haben. „Ein Kita-Gipfel am 15. September soll im Austausch mit den Akteuren ebenfalls das Thema aufgreifen.“

So ist die Situation in den Nachbarstädten

Was Handfestes angeht, verfolge die Stadt derzeit zwölf Maßnahmen für den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Ersatzbauten, Neubauten und Erweiterungen sollen 835 Plätze schaffen, „langfristig“, das heißt aktuell bis 2028. Ein Großteil dieser Plätze soll den Ü3-Kindern zukommen, 651 insgesamt, und noch einmal 184 für U3-Kinder. Allerdings sagt David Hennig: „Parallel der Baumaßnahmen zur Schaffung neuer Plätze werden jedoch auch Plätze wegfallen, unter anderem durch Aufgabe und Schließungen von Kitas durch die Träger und qualitätsbedingte Veränderungen in den Einrichtungsstrukturen.“ Details dazu sollen in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 22. August berichtet werden.

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Wenn ihre Kinder aber genau jetzt keinen Kita-Platz haben, dürfte Eltern eine langfristige Planung bis 2028 herzlich egal sein. Für diese Familien hat die Kitabedarfsplanung der Stadt versagt. Das geht auch anders, wenn man etwa in die Nachbarstädte schaut. Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen: „Wir haben keinen Stichtag in Gelsenkirchen, das Vergabeverfahren läuft das ganze Jahr durch.“ Für Kinder, die erstmal keinen Kitaplatz bekommen, gebe es Ausweichmöglichkeiten, etwa Großpflegestätten. „Natürlich fühlen sich einzelne Eltern mal unversorgt, was den Kita-Platz angeht, aber eigentlich haben wir keine Kinder ohne Kita-Platz oder eine Alternative.“

Wie schlecht es um Gladbeck steht, sieht man mit Blick auf Bottrop

Die Zahlen in Gladbeck sind schlimm. Wie schlimm tatsächlich, wird beim Blick über die Stadtgrenze nach Bottrop klar. Zum Stichtag 1. August 2023 sind dort 88 Kinder unversorgt, 66 unter drei Jahren und 22 über drei Jahren. Allerdings, sagt die Bottroper Amtsleiterin Nadine Granow-Kaysers, könnten einige dieser Kinder mittlerweile schon in Tagespflegen oder „Flüchtlings-Welcome-Gruppen“ untergekommen sein. Der Abgleich dazu werde erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen.