Gladbeck. Erzieherinnen schilderten mit drastischen Worten den harten Alltag in Gladbecker Kitas. SPD-Landtagsabgeordnete sagt Unterstützung zu.

Zu wenig Personal, zu große Gruppen: „Es muss dringend etwas getan werden, das System kollabiert“, fasste eine Kita-Leiterin drastisch zusammen, wie derzeit der berufliche Alltag in vielen Gladbecker Kitas aussieht. Die Gewerkschaft Verdi hatte Kitapersonal und alle Interessierten zur öffentlichen Runde in die Stadtbücherei geladen, um auch mit der SPD-LandtagsabgeordnetenChristina Siebel zu diskutieren. Dabei wurde deutlich, wie das nach den Streiks des Sozial- und Erziehungsdienstes mit den Kommunen erzielte Tarifergebnis kontraproduktiv sein kann, wenn es nämlich zusätzlich den Kita-Alltag belastet.

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Denn ein Tarifergebnis ist, dass jede Kita-Kraft pro Jahr zwei Entlastungstage Freizeit erhält, um sich vom anstrengenden Job zu erholen. Im Ansatz gut, in der Praxis offenbar ein Dilemma. Sie habe etwa durch krankheitsbedingte Personalausfälle einen solchen Minuspegel, „dass ich schon jetzt nicht weiß, wie ich den zustehenden Urlaub geben soll“, berichtete Sabine Burdeska (52), Leiterin der viergruppigen Kindertageseinrichtung Vehrenbergstraße. Teils habe sie den Kitabetrieb mit nur sechs Kräften aufrecht halten müssen. Die wichtigste Forderung aus der Praxis sei im Arbeitskampf nicht erfüllt worden: „Wir wollten mehr Personal und dass die Gruppen verkleinert werden“.

„Es bleibt kaum Zeit zum Luftholen“

Kita-Leiterin Sabine Burdeska sagt, dass die wichtigsten Forderungen ihres Arbeitskampfes nicht erfüllt wurden: „Wir wollten mehr Personal und dass die Gruppen verkleinert werden“.
Kita-Leiterin Sabine Burdeska sagt, dass die wichtigsten Forderungen ihres Arbeitskampfes nicht erfüllt wurden: „Wir wollten mehr Personal und dass die Gruppen verkleinert werden“. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Man stehe jetzt alleine da, nach dem Motto: „Ihr wolltet Entlastung, jetzt seht zu, wie ihr es macht“, kritisierte auch Kita-Leiterin Christina Zielke (42, August-Brust-Straße, zwei Gruppen). Die Entlastungstage gingen „auf Kosten derjenigen, die dann noch da sind“. Es bleibe kaum Zeit zum Luftholen, denn der Kita-Betrieb werde ja nicht runtergefahren, müsse von 7 bis 17 Uhr laufen, „bis zum Allerletzten und bis alle umfallen“. Und diejenigen, die im Urlaub gewesen seien, kehrten angesichts der bekannten Situation weiterhin angespannt in den Job zurück, „ohne Erholungseffekt“. Man arbeite aber doch in hoher Verantwortung und gerade bei ganz kleinen Kindern unter einem Jahr familienersetzend. Der Kibiz-Personalschlüssel müsse ganz dringend an die Praxis angepasst werden, so Zielke, die zugleich die Politik einlud, „mal eine Woche in die Einrichtung zu kommen, um unseren Alltag kennenzulernen“.

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Erzieherin Iris Nadzeika (51, stellv. Leitg. Kita Voßstraße, fünf Gruppen) klagte, dass die Arbeitsverdichtung durch gewachsene administrative Aufgaben wie Statistiken, Bewertungen, Tests und weitere Anforderungen immer mehr geworden sei. Der eigentliche wichtige Kita-Inhalt bröckele weg, obgleich die Kinder in Gladbeck heutzutage bedürftiger seien, und Eltern mehr Ansprüche an die Erzieherinnen hätten. Grünen Ratsherr Bernd Borgwerth forderte einen entlastenden Sockelbetrag für die Einrichtungen, „damit sie sich mehr auf Bildungsarbeit konzentrieren können“.

Kinderpflegerin sagt, sie sei oft am Punkt totaler Erschöpfung

Gastgeberin Rebecca Wesselborg (r.) vom Verdi-Team Gladbeck moderierte die Veranstaltung. MdL Christin Siebel (SPD) sagte zu, sich für eine Änderung des Kinderbildungsgesetzes einsetzen zu wollen.
Gastgeberin Rebecca Wesselborg (r.) vom Verdi-Team Gladbeck moderierte die Veranstaltung. MdL Christin Siebel (SPD) sagte zu, sich für eine Änderung des Kinderbildungsgesetzes einsetzen zu wollen. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Kinderpflegerin Karin Gryska (55) von der Voßstraße berichtete, dass sie oft an dem Punkt totaler Erschöpfung sei. Sie denke bereits über die inklusive Öffnung aller Kitas im kommenden Jahr nach, erwarte aber schon jetzt ein Kind (3), das nicht laufen können solle, und sie sich frage: „Was mache ich jetzt? Muss ich es tragen, wickeln? Auch Freya Schmidt (stellv. Ltg. Kita Vehrenbergstraße) berichtete, dass die Betreuung von Kindern mit Behinderung (Autismus) bereits in der Kita erfolge, in voller Gruppengröße ohne Beistand. „Wir warten vergeblich auf eine Inklusionskraft.“

Förderung für Sprach-Kitas soll weiter laufen

Verdi-Gewerkschafterin Rebecca Wesselborg verwies in der Diskussion auch auf das zum Jahresende auslaufende Gute-Kita-Gesetz, mit dem in belasteten Stadtbezirken an den Kitas zusätzliche Sprachförderung personell gefördert werden könne.

Landtagsabgeordnete Christin Siebel sagt hier die Unterstützung der SPD zu. Man habe eine kleine Anfrage an die Regierung gestellt. Mit positiver Antwort, dass das GKG mit zwei Milliarden Euro fortgeführt werde, „und 421 Millionen nach NRW fließen sollen“.

Gastgeberin Rebecca Wesselborg vom Verdi-Team Gladbeck moderierte die Veranstaltung. Sie verwies auf die eingeladene Landtagsabgeordnete, die auch ein Sprachrohr sei, „um Sachverhalte aus den Bezirken mit in die Landespolitik zu nehmen“. Christin Siebel (37) unterstrich, dass sie sich dafür einsetzen wolle, „dass das Kibiz-Gesetz novelliert wird“. Kita sei nicht nur eine Betreuungs-, sondern auch eine frühkindliche Bildungseinrichtung. Ein großer Hebel sei der Personalschlüssel. In NRW gebe es gerade im Ruhrgebiet bei Städten mit knappen oder defizitären Haushalten große Bedarfe, Kinder fördern zu müssen. Die Verteilungsfrage der Personalressourcen sei somit auch eine Gerechtigkeitsfrage. Hier sehe sie das Land in der Verantwortung, die Kommunen zu entlasten.

Stadt Gladbeck will Entlastung über Freiwilligendienst ermöglichen

Sozialdezernent Rainer Weichelt verlangte, dass „die Kita-Teams multiprofessioneller aufgestellt“ werden müssten, „auch mit Heilpädagogen, die sich um Kinder mit besonderen Bedarfen kümmern“. Das Bildungsgesetz müsse geändert werden. Die Stadt Gladbeck wolle trotz klammer Kasse aber schnell „auf unterster Ebene unterstützen und zunächst vier FSJler-Stellen (Freiwilliges Soziales Jahr) für Kitas schaffen“, um in Einrichtungen zu entlasten. Zudem solle Geld bereitgestellt werden, „um sich Unterstützung durch Logopäden oder Physiotherapeuten in die Einrichtungen holen zu können“.

Verdi-Gewerkschaftssekretärin Bärbel Sumagang forderte notfalls auch zu drastischen Schritten auf, wenn die Belastung zu groß werde, um das Dilemma deutlich zu machen: „Kündigt an, eine Gruppe schließen zu müssen – und schickt die Kinder dann auch nach Hause!“