Gladbeck. Verzweifelte Eltern, da Betreuungsplätze fehlen; überlastetes Personal durch Fachkräftemangel. Die Situation an Gladbecker Kitas ist dramatisch.
Zu wenig Kita-Plätze, zu wenig qualifiziertes Personal, weniger Mithilfe der Eltern, zu große Gruppen und vielfach gestiegene Anforderungen auch durch Kinder mit besonderem Förderbedarf – Umstände, die zu Arbeitsverdichtung und Überlastung führen. Im Jugendhilfeausschuss wurde am Dienstagnachmittag ungeschönt die Situation an Gladbecker Kitas dargestellt. Diskutiert wurde über Entlastungsmöglichkeiten. Erster Beigeordneter Rainer Weichelt kündigte an, dass die Stadt personelle Unterstützung für die Kitas finanzieren will.
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Wie hoch der Bedarf für eine Kita-Betreuung ist, machte der Abteilungsleiter Frühe Bildung und Erziehung, Michael Freudiger, zunächst deutlich. Nach dem Start ins neue Kita-Jahr schilderte er die Ist-Situation und den aktuellen Stand der Ausbaupläne, um mehr Kita-Plätze zu schaffen, auf die ein rechtlicher Anspruch besteht. „Für 792 angemeldete Kinder fehlen aktuell Plätze. Wir hoffen schnell eine Verbesserung herstellen zu können“. Konkret konnten zum Kita-Start im August 406 „Alt-“ und 386 „Neu-Fälle“, die sich über den Kita-Navigator angemeldet hatten, nicht berücksichtigt werden.
Aktuell fehlt für 792 Kinder eine Betreuung, bis 2025 sollen 373 neue Plätze entstehen
Freudiger verwies auf die laufende Ausbauplanung mit zwölf Maßnahmen und der Absicht, dass so bis zum Kita-Jahr 2024/25 nach und nach 830 Kitaplätze zur Verfügung stehen. Klingt beachtlich, muss aber deutlich relativiert werden. Denn Freudiger erinnerte, dass fünf der Maßnahmen Ersatzbauten für bestehende Kitas seien, deren räumliche Qualität sich dann freilich deutlich verbessere. Sodass letztlich unterm Strich „nur“ 373 zusätzliche Kita-Plätze (Ü3 227, U3 146) entstehen. Eine Zahl, die auch ad hoc nicht ausreichen würde, den bestehenden Fehlbedarf zu decken. Als erste neue Kita wird die im Bau befindliche viergruppige Einrichtung an der Breukerstraße (Brauck, Investor GWG) fertig, die im kommenden Jahr öffnen soll.
Diese Kitas werden erweitert oder neu gebaut
Die Stadt Gladbeck baut die neue Kita an der Berliner Straße (Sportplatzareal) in Rentfort-Nord mit zwei Gruppen für U3-Kinder (20 Plätze) und einer Gruppe für Über-Dreijährige (25 Plätze) aus, mit anvisierter Fertigstellung 2023/24. Eine weitere Kita-Erweiterung im Stadtteil ist bis 2024 für die Ev. Kleine Welt an der Schwechater Straße vorgesehen (25 Ü3-/ 10 U3-Plätze).
Komplett neue Investoren-Kitas sollen im Neubaugebiet in Butendorf am Bramsfeld (25 Ü3-/ 20 U3-Plätze) 2024 und im Neubaugebiet an der Schulstraße in Zweckel (25 Ü3-/ 40 U3- und 10 Kleinstkinder-Plätze) im Jahr 2025 fertig werden. Weiterer Plätze sollen bis 2024 ein Kita-Neubau (25/40/10) in der Stadtmitte (hier laufen enge Gesprächen, noch sei aber nichts zu 100 Prozent spruchreif) und in Brauck (25/ 40/ 10) bringen, für letzteren sei ein Grundstück fokussiert, die Erwerbung aber noch nicht geklärt.
Im Ausschuss wurde weiter deutlich, dass es eine Herausforderung sein werde, genügend Personal für die neuen Kitas zu finden, da auf dem Arbeitsmarkt qualifizierte Bewerber fehlen. Ein Fachkräftemangel, der schon seit einiger Zeit die Arbeitssituation in den bestehende Kitas belastet. Dazu berichteten drei Leiterinnen städtischer Kitas im Ausschuss und spiegelten ein Bild ihres Arbeitsalltages, das die Ausschussmitglieder sichtlich betroffen machte, gar schockierte.
Viele Kinder kommen aus Familien mit Zuwanderungshintergrund
Katrin Kröse (Kita Voßstraße) sprach zunächst über den Wandel von Familie und Gesellschaft, der die Arbeit in den Kitas strak verändert habe. Heutzutage seien oft beide Elternteile berufstätig, zudem gebe es viele Alleinerziehende, sodass hoher Betreuungsbedarf bestehe. Viele Kinder kommen aus Familien mit Zuwanderungshintergrund, sprächen teils schlecht deutsch. Viele Eltern hätten einen hohen Bedarf an Beratung und Unterstützung im erzieherischen Alltag, nähmen hier nicht sich, sondern die Kitas in die Pflicht. Zu Hause würden oft Strukturen für die Kinder fehlen. Es gebe viele Familien, wo nicht gemeinsam gegessen wird oder nur mit Medienbegleitung (Fernseher, Internet), sodass beispielsweise ein gerade Zweijähriger in der Kita ein Smartphone bedienen konnte, „dem Kind aber Sozial- und Entwicklungskompetenzen gefehlt haben“.
Elke Rütter (Kita Frochtwinkel) schilderte den zusätzlichen Aufwand bei der Übermittagsbetreuung auch von Kleinkindern, die bei Toilettengängen begleitet oder gewickelt werden müssten. In den städtischen Kitas werden mittlerweile im Schnitt 84 Prozent der Kinder verpflegt. Viele könnten noch nicht mit Messer und Gabel essen, andere würden am Tisch einschlafen, oder weinten aus Überforderung. All das bedeute und brauche zeitweise besondere Zuwendung und eine 1:1-Betreuung. Die nur geleistet werden könne, wenn genügend Zeit und Personal vorhanden seien.
Im Vorjahr war die KiTa „nicht an einem einzigen Tag vollständig personell besetzt“
Felicia Kollmann (Kita Berliner Straße) berichtete von einem zunehmenden Anteil von Kindern mit besonderem Förderbedarf. Für 39 Prozent sei Deutsch Zweit- oder völlige Fremdsprache. Fünf Prozent kämen mit einer Anerkennung für besonderen Förderbedarf (z.B. Inklusionskinder), bei 12 Prozent sei der Status oft schon auffällig, aber offiziell noch ungeklärt, weil die Eltern nicht aktiv geworden sind. Die Aufgabe von Heilpädagogen oder Logopäden werde so vom Team mitgetragen.
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Die geschilderte Situation sowie fehlende Entlastung aufgrund von Fachkräftemangel fordere die Kita-Teams oft bis über die Belastungsgrenze hinaus, so Kollmann. Im Kitajahr 2021/22 sei ihre Einrichtung „nicht an einem einzigen Tag vollständig personell besetzt gewesen“. Christine Hellebrand, Amtsleiterin Jugend- und Familie, sagte Unterstützung zu. Man wolle vier weitere Plätze für „Praxisintegrierte Ausbildung für Erziehende“ schaffen, werbe auf Ausbildungsmessen für den Beruf, versuche FSJ-ler für die Unterstützung in Kitas zu gewinnen. Rainer Weichelt kündigte zudem an, dass für die städtischen Kitas „bis 2026 zwölf Stellen für Heilpädagogen neu eingerichtet werden“. Die ersten vier Stellen für 2023, „wenn wir das Personal bekommen“.