Recklinghausen/Gladbeck. Jugendliche, die straffällig werden: Die Anzahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren ist gestiegen. Wie die Polizei die Entwicklung einschätzt.
Warum werden so viele Kinder und Jugendliche kriminell? Die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen unter 21 Jahren ist im vergangenen Jahr im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen – und somit auch in Gladbeck – jedenfalls um rund 32 Prozent gestiegen. Von 3527 auf 4650. Was besonders Sorge bereitet: Die Gewaltbereitschaft bei jungen Menschen steigt. Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist aktuell der Mord an der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg in NRW – begangen höchstwahrscheinlich von zwei Schulkameradinnen (12 und 13 Jahre).
Dass mehr straffällig gewordene junge Menschen insbesondere durch „Rohheitsdelikte“ auffallen, thematisiert jetzt auch Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen. „Offensichtlich werden Meinungsverschiedenheiten nicht mehr mit Worten, sondern mit Fäusten gelöst. Kompromissbereitschaft und Rücksichtnahme sind leider Tugenden, die bei diesen Menschen auf dem Rückzug sind“, sagt die Präsidentin. Auch beim Straßenraub tut sich diese Altersgruppe hervor.
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In der Corona-Pandemie gab es historische Tiefstände bei der Kriminalität
Nach den Corona-Jahren 2020 und 2021 mit historischen Tiefständen in puncto Kriminalität ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr insgesamt wieder angestiegen. Um die Entwicklung der Jugendkriminalität zu bewerten, schaut der Leitende Kriminaldirektor Jürgen Häusler vor allem auf einen Parameter: den Anteil der jugendlichen Tatverdächtigen an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen, die 2022 ebenfalls deutlich, um 20 Prozent, zugenommen hat. Dieser Anteil bewegt sich seit Jahren um die 20 Prozent. 2022 stieg der Wert von 19,46 auf 21,3 Prozent, liegt damit aber immer noch unter dem Wert des Vor-Corona-Jahres 2019 (22,36 Prozent). Den Eindruck, dass die Jugendkriminalität im Vest auf dem Vormarsch sei, will Jürgen Häusler vor dem Hintergrund dieser Zahlen nicht bestätigen. Zumal die Quote im Jahr 2007 noch bei mehr als 30 Prozent lag, wie der Kripochef betont.
2007 war das Jahr, in dem die Kreispolizeibehörde Recklinghausen ihr eigenes Konzept zur „Bekämpfung der Kriminalität durch Mehrfach- und Intensivtäter/innen“ eingeführt hat. Denn in diesen Personen sieht die Polizei das eigentliche Problem der Jugendkriminalität. Ein Jugendlicher oder Heranwachsender, der kriminell besonders auffällig geworden ist, stößt bei der Recklinghäuser Polizei auf einen extra geschulten Sachbearbeiter, der sich um alle Straftaten seines Klienten kümmert, Kontakt zum Jugendamt hält und begleitende Maßnahmen initiiert. Das Intensivtäter-Konzept habe neben der Strafverfolgung auch einen präventiven Ansatz, sagt Häusler. Es gehe darum, die jungen Leute wieder in die Spur zu bekommen.
Aktuell befinden sich fünf Jugendliche und sechs Heranwachsende in der Intensiv-Betreuung
Seit die Polizei mit der Umsetzung des Intensivtäter-Konzepts begonnen hat, sind nach Angaben des Präsidiums insgesamt 391 Personen, die zuvor in großer Zahl Straftaten begangen hatten, nicht mehr auffällig geworden. 215 Personen, die nicht auf den geraden Weg zurückfanden und kriminell blieben, gingen längerfristig in Haft. Weil sie dort keinen Schaden mehr anrichten konnten, trugen sie ebenfalls zu einer Reduzierung der Fallzahlen bei. Aktuell befinden sich fünf Jugendliche und sechs Heranwachsende in der Intensiv-Betreuung.
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Ein wichtiger Parameter für die Bewertung der Jugendkriminalität ist aus der Sicht Häuslers auch die Zahl der Mehrfachtäter (mit fünf oder mehr Straftaten pro Jahr) je 100.000 Einwohner. 2019 lag die Zahl noch bei 25,2022 erreichte sie mit 18 einen Tiefstand. „Unser Problem sind nicht die Jugendlichen, die beim Ladendiebstahl erwischt werden“, betont der Kripochef. Vielmehr seien es diejenigen, die durch Aggressionen und Gewalt auffielen.
1128 Kinder wurden im Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörde als Tatverdächtige ermittelt
Die Anzahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren sei gegenüber dem Vorjahr um 41 Prozent auf fast 21.000 gestiegen. Im Kreispolizeibezirk Recklinghausen beträgt der Anstieg sogar 45 Prozent. 1128 Kinder wurden im Kreis RE und in Bottrop als Tatverdächtige ermittelt. „Möglicherweise haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie –insbesondere die Phasen der Lockdowns mit den Schließungen von Schulen und Kitas – bei den Kindern negative Auswirkungen entfaltet“, heißt es in einem Bericht von NRW-Innenminister Reul für den Innenausschuss des Landtags. Kriminaldirektor Jürgen Häusler sagt, dass die Polizei sehr viel Präventionsarbeit an Schulen leiste. Hetze im Internet und Cybermobbing seien hierbei zum Beispiel wichtige Themen. „Aber die Polizei wird das Problem alleine nichtlösen können“, betont der Kripochef.