Düsseldorf. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) über Probleme mit der Jugend-Kriminalität. Als Ursache für den Anstieg sieht er die Corona-Pandemie.

Der offenbar von zwei minderjährigen Mädchen verursachte Tod einer Zwölfjährigen aus Freudenberg löst eine Diskussion über die Frage aus, ob die Strafmündigkeit ab 14 Jahren bei besonders schweren Straftaten noch zeitgemäß sei. Daneben taucht aber eine zweite Frage auf, die Politik und Gesellschaft beantworten müssen: Was ist eigentlich mit unserer Jugend los?

NRW-Innenminister Herbert Reul besorgt über Jugendkriminalität

Drei Wochen vor dem Tod des zwölfjährigen Mädchens aus Freudenberg hatte ein sehr nachdenklicher NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vor einer Zunahme der Kinder- und Jugendkriminalität in NRW berichtet. Jeder Fünfte unter den rund 480.000 Tatverdächtigen in NRW im Jahr 2022 sei jünger als 21 Jahre gewesen, sagte Reul im Februar bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik.

„Auffällig ist, dass sich ganz offensichtlich bei den Jüngsten unter 14 Jahren etwas getan hat. Hier zählen wir mehr als 6000 mutmaßliche Täter mehr als im Vorjahr. Kinder sind eindeutig zu oft Täter“, erklärte Reul damals. In und an den Schulen hätten sich die Fallzahlen zwischen 2021 und 2022 auf 9300 verdoppelt.

Als wesentliche Ursache für diese Entwicklung sieht der Innenminister die Pandemie: „Die Schulen waren zu, die Kinder sind nicht zum Sport gegangen, Klassenfahrten und Kindergeburtstage sind oft ausgefallen. Zwei Jahre sind im Leben eines Kindes eine lange Zeit. Damit haben wir unseren Kindern zwei Jahre genommen, um sich zu entwickeln. Zwei Jahre ohne zu lernen, wie Konflikte zu bewältigen sind.“ Kinder-Streit sei heute emotionaler und gewalttätiger als früher.

Schulleitungen berichten über Beschimpfungen und körperliche Angriffe

Unabhängig von der Tat in Freudenberg sei nun zu sehen, dass die Jüngsten immer mehr Straftaten begingen: Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung. „Hier sind wir als gesamte Gesellschaft dringend gefordert, gegenzusteuern, Elternhäuser, Schulen und natürlich auch die Polizei mit ihren präventiven Möglichkeiten“, sagte Reul am Donnerstag dieser Redaktion.

Zu diesem beunruhigenden Bild von Kindern und Jugendlichen, denen es zunehmend schwerer fällt, Konflikte friedlich zu lösen, passt eine Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) unter Schulleitungen aus dem Jahr 2022. Demnach scheint die Corona-Pandemie besonders in NRW ein Verstärker für Gewalttaten an den Schulen zu sein. Schulleitungen in NRW berichten laut VBE immer häufiger von Fällen, in denen Lehrkräfte beschimpft, über das Internet diffamiert oder sogar körperlich angegriffen wurden.

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Meist gehe diese Gewalt von Eltern sowie von Schülerinnen und Schülern aus. Einsicht sei bei den Täterinnen und Tätern eher selten zu beobachten, hieß es. In den Jahren 2021 und 2022 gab es laut der Umfrage an acht Prozent der Schulen in NRW gewalttätige Übergriffe, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der Hygienemaßnahmen in der Pandemie standen.

Verband: Personalmangel als große Herausforderung an Schulen

VBE-Landesvorsitzender Stefan Behlau sieht einen Zusammenhang zwischen den gewalttätigen Übergriffen und dem Lehrermangel in den NRW-Schulen. „Was Schule vor allem braucht, ist Zeit. Zeit zum Lernen, Zeit zum Lehren, aber auch Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Schule ist mehr als Unterricht. Schule ist ein Ort, an dem unsere Kinder und Jugendlichen den Hauptteil ihres Tages verbringen. Deswegen sollten die Schulen auch personell und fachlich an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet sein“, sagte er dieser Zeitung.

Hier gebe es allerdings seit Jahren ein Defizit und auch deswegen sei aktuell der Personalmangel die größte Herausforderung der Schulen überhaupt. „Dennoch muss allen klar sein: Nicht alle Vorfälle werden sich verhindern lassen, auch Gewalt nicht. Aber wir als Gesellschaft müssen daran arbeiten, unsere Kinder und Jugendlichen zu stärken“, so Behlau.

Polizei appelliert an Internetnutzer

Die Polizei prüft unterdessen, ob in den sozialen Netzwerken zum Fall der getöteten Zwölfjährigen aus Freudenberg auch strafrechtlich Relevantes gepostet wird. In den Netzwerken wurden laut der Polizei Siegen-Wittgenstein von teils anonymen Nutzern zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die 12- und 13-jährigen mutmaßlichen Täterinnen veröffentlicht. „Wenn man nach den Hashtags sucht, findet man schon einiges“, sagte der Polizeisprecher.

Die Siegener Polizei appellierte an die Nutzer, keine Mutmaßungen und Drohungen zu verbreiten: „Es gehen sehr, sehr zügig auch Falschinformationen durchs Internet – und vieles deckt sich einfach nicht mit unseren Ermittlungen.“

Jugend-Kriminalität in der polizeilichen Kriminalstatistik 2022

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik für NRW für das Jahr 2022 wurden 481.848 Tatverdächtige gezählt. Davon waren 20.984 unter 14 Jahren. Von diesen unter 14-Jährigen waren zwei Drittel Jungen. Kein Verdächtiger unter 14 stand im vergangenen Jahr in NRW im Verdacht einen Mord oder Totschlag begangen zu haben.