Gladbeck. Diskussion um den Jovy-Platz, eine leere Stadtkasse und Fragen rund um die Integration – so äußert sich Bettina Weist im Gespräch mit der WAZ.
Diskussionen um den Jovy-Platz und die Sanierung des Riesener-Gymnasiums, eine leere Stadtkasse und die Aufnahme von Flüchtlingen – die Stadt Gladbeck steht zu Beginn des Jahres schon vor großen Herausforderungen. Im Interview mit den WAZ-Redakteuren Katrin Walger-Stolle und Matthias Düngelhoff spricht Bürgermeisterin Bettina Weist über die großen Themen des Jahres, über ihre Sicht auf die Stadt – und den großen Zukunftsdialog, den sie anstoßen möchte.
Welche Themen sind aus Ihrer Sicht in diesem Jahr besonders wichtig?
Weist: Es gibt zahlreiche Oberthemen, die uns in diesem Jahr in der Stadt beschäftigen. Darunter auch Bildung, Erziehung und der Schulausbau mit einem Schwerpunkt Riesener-Gymnasium aktuell und dem geplanten neuen Grundschulstandort im Stadtsüden.
Da gab es ja viel Protest gegen die Bebauung auf einem Teil des Jovy-Platzes, wie geht es weiter in der Frage?
Wir haben aus der Öffentlichkeit schnell die Rückmeldung bekommen, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Gleichzeitig muss aber auch der Schulausbau kommen. Es läuft darauf hinaus, dass wir nun die Aufgabe haben zu schauen, wie wir es auf dem jetzigen Raum stemmen können. Die Planungen werden dann im nächsten Sitzungsblock vorgestellt. Wir arbeiten an einer schnellen Lösung und wollen uns jetzt die politische Zustimmung für die Bebauung des Parkplatzes einholen. Es gibt ja die Phase A, das Zusammenrücken innerhalb des Gebäudes, das passiert jetzt gerade, Phase B ist die Parkplatzbebauung, und Phase C, also das Ausweichen in den Jovy-Platz, wird jetzt neu gedacht.
Das Gymnasium ist da aber nicht das einzige Problem.
Es fehlen auch noch viele Kita-Plätze. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck am Bau neuer Kitas. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch das Personal dafür gewinnen, das haben wir im letzten Stellenplan deutlich gemacht. Mein Ziel ist es, in den Kitas in multiprofessionellen Teams zu denken, etwa auch Therapeuten in die Kitas zu bringen. Denn dort müssen wir nun auch auf das reagieren, was die Pandemie mit den Kindern angestellt hat. Wir reden hier von Sprachdefiziten, motorischen und kognitiven Defiziten. Wir streben aber zudem weitere Familiengrundschulzentren an, in denen daran dann auch gearbeitet wird.
Aber erreichen Sie diese Kinder denn in den Kitas? Oder andersherum, was tut die Stadt, um diejenigen zu erreichen, die erst spät die Kita besuchen, die aber auch dringend Förderung brauchen oder auch Hilfe zur Integration?
Wir haben ja seit 2005 das Gladbecker „Bündnis für Familien- Erziehung, Bildung, Zukunft“. Dort machen wir gemeinsam mit unseren Partnern umfassende Angebote. Wir nehmen nach der Geburt Kontakt zu allen Familien auf, setzen schon bei den Kleinen Sprachförderprojekte um. Oberstes Ziel ist es immer, ein Bewusstsein für Bildung zu schaffen und eine Offenheit für Bildungsangebote. Den Ansatz haben wir ebenfalls mit unserem „Büro für interkulturelle Arbeit“, das stärker den Integrationsansatz verfolgt. Es geht nicht darum, Familien alles abzunehmen. Eltern sollen fit gemacht, werden, damit sie ihren Erziehungsauftrag ausführen können. Allein über das Jobcenter leisten wir im SGB II-Bereich rund 65 Millionen jährlich an Transferleistungen. Wir müssen aber an den Anfang der Biografie gehen, um diesen Teufelskreis von Bildungsferne und Transferabhängigkeit zu durchbrechen, hin zu Bildungsgerechtigkeit. Dazu brauchen wir natürlich vor allem ausreichend Geld.
Sie sprechen es an, vielfach fehlen diese eigenen Mittel, braucht die Stadt Fördermittel, um aktiv zu werden. Ist das nicht ein großes Problem, wenn man als Stadt ständig schauen muss, ob es passende Fördertöpfe gibt, oder Projekte so aufsetzen muss, dass sie passen?
Die Kommunen sprechen da immer von „Projektitis“, und das ist ein ganz großer Frust. Das Problem ist doch die fehlende strukturelle Finanzausstattung durch das Land NRW. Für all das, was wir hier zu lösen haben, brauchen wir eine auskömmliche finanzielle Ausstattung vom Land und teilweise auch vom Bund und endlich eine Lösung der Altschuldenproblematik. Die haben wir aber nicht. Stattdessen werden Projekte aufgelegt, die dann wiederum mit einem Eigenanteil verbunden sind, der uns als arme Kommune schon manchmal vor Schwierigkeiten stellt. Realisiert man das Projekt als Stadt dann, werden vor Ort Bedarfe geweckt, die irgendwie finanziert werden müssen. Aber wenn Kommunen die Mittel nicht abrufen, heißt es sofort, sie ließen Fördermittel liegen und schließt daraus, dass es ihnen ja doch nicht so schlecht gehen kann. An manchen Stellen setzen uns auch die Folgekosten zu.
Wie macht sich das bemerkbar?
Ein Beispiel ist der Digitalisierungspakt. Die Fördergelder waren nur für die Anschaffung der Geräte für die Schulen bestimmt. Für den technischen Support durften sie nicht verwendet werden. Das haben wir dann selbst finanziert. Das, und auch die Ersatzbeschaffungen, müssen wir aus dem städtischen Haushalt bezahlen.
Beim Thema Integration hat man manchmal den Eindruck, dass in der zweiten oder dritten Generation Rückschritte gemacht werden. Wie wollen Sie dem entgegentreten?
Das macht uns tatsächlich auch Sorgen. Mit unserem Büro für interkulturelle Arbeit im Amt für Integration und Zusammenleben tun wir hier viel, unser Projekt Südosteuropabüro ist da eingebunden. Unser Ziel ist es, früh Kontakt zu den Familien zu bekommen, bei denen es Probleme gibt. Wir haben Mitarbeiter, die sind in den Stadtteilen unterwegs sprechen Familien an und bieten ihnen Beratung an und stellen unsere Angebot vor. Es geht darum, sie von ihrer Mitwirkungspflicht zu überzeugen, damit ihre Kinder einen besseren Start haben. In dem Zusammenhang ist noch das Programm „Kim“ wichtig. Das Kommunale Integrationsmanagement NRW, bei dem der Kreis und die Stadt eng zusammenarbeiten, soll die Integration in Gladbeck erleichtern. Konkret geht es darum, Ankommenden schnelle und passgenaue Lösungen zu bieten und sie beispielsweise in Arbeit zu vermitteln.
Sie haben sich innerhalb der Verwaltung aufgemacht, den Weg Gladbecks ins Jahr 2031 zu ebnen. Wie geht dieses große Projekt weiter?
Dahinter steht unser aktives Zukunftsmanagement und die Frage, wie wollen wir in zehn Jahren leben. Im nächsten Schritt geht es nun daran, die Bürger zu beteiligen. Dafür wollen wir Bürgerräte zu verschiedenen Themenkomplexen gründen. Die Teilnehmer werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Es sind immer weniger Menschen, die sich in Parteien engagieren, sondern stattdessen punktuell bereit sind mitzumachen. Da wollen wir eine Struktur schaffen, damit Bürgerinnen und Bürger von Beginn an an diesem Prozess beteiligt sind. Uns geht es auch darum, Vertrauen aufzubauen, weil Bürgerinnen und Bürger sich teilweise von Entscheidungsträgern entfernen, misstrauisch sind gegenüber Verwaltung und Politik. Wir wollen Prozesse offen legen und letztlich die Akzeptanz erhöhen.
Wie sieht aus ihrer persönlichen Sicht Gladbeck 2031 aus?
Idealtypisch für mich wäre eine Stadt, in der wir Bildungs- und Chancengleichheit erreicht haben und alle Kinder so in die Lage versetzen, ein glückliches, eigenständiges Leben führen zu können. Und dass unsere Stadt finanziell so aufgestellt ist, dass sie den Herausforderungen, vor denen wir stehen, gerecht wird – und zwar nicht immer nur als Bittstellerin. Gleichzeitig haben wir es geschafft, die Verkehrswende so anzuschieben, dass eine Gleichrangigkeit der Verkehrsmittel gegeben ist und wir unsere Klimaziele erreichen.
Das Problemhaus Steinstraße sorgt bei den Anwohnern für viel Verdruss. Die Fluktuation im Haus ist groß, erreicht die Stadt die Menschen dort überhaupt? Was kann die Stadt in dem Fall eigentlich tun?
Das ist in der Tat ein Problem. Wir stecken schon viele personelle Ressourcen da rein, sind mit vielen Fachämtern vor Ort und und erleben da auch immer wieder Enttäuschungen. Eigentlich sollte es doch im Interesse aller Eigentümer sein, dass dort Ruhe einzieht. Deshalb hatten wir uns für einen privaten Sicherheitsdienst starkgemacht, der dann auch im Haus Kompetenzen hat. Die hat unser KOD so nicht. Doch die anderen Eigentümer sind uns da nicht gefolgt. Ich habe die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass wir das doch noch aufgesetzt bekommen, so dass ein solcher Dienst dann in enger Abstimmung mit dem KOD tätig werden kann. Ansonsten versuchen wir durch Kontrollen und Razzien mit Polizei und KOD den Druck hoch zu halten. Wir haben als Stadt aber auch das Innenministerium angeschrieben, die Lage geschildert und auch klar gemacht, dass uns der Instrumentenkoffer da zu wenig bietet. Aber: Wir setzen auch auf Beratung und Unterstützung, sind mit einem eigenen Büro im Haus, suchen Kontakt zu den Bewohnern. Klar ist: Das ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf.
Dagegen scheint es an der Schwechater Straße gut zu laufen. Das Hochhaus ist abgerissen, ein Nahversorgungszentrum wird gebaut. Die Grünen bemängeln beim Neubau jedoch fehlende Photovoltaikflächen, fehlende Dachbegrünung und die Flächenversiegelung, was sagen Sie dazu?
Wir haben in Gesprächen mit dem Investor immer auf die Möglichkeiten und auch den Wunsch nach einer Dachbegrünung und PV-Anlage hingewiesen. Dies wäre sehr deutlich in unserem Sinne gewesen. Allerdings können wir niemanden dazu verpflichten. Wir waren ja sehr erleichtert, dass sich nach jahrzehntelangem Stillstand überhaupt was tut. Die Anzahl der Parkplätze ist eher am unteren Rand dessen, was da möglich wäre. Es ist auch nicht mehr Fläche als vorher versiegelt worden, das Gelände war ja auch vorher komplett verbaut. Überrascht sind wir, dass es dazu keine Diskussion und Kritik, auch nicht der anwesenden Fraktionsmitglieder der Grünen, im Ausschuss gab, das wäre ja das passende Gremium gewesen.
Bleibt der Oberhof als Problem in der Innenstadt, wie geht es da weiter?
Hinter den Kulissen wird intensiv gearbeitet. Wichtig ist, dass wir die Fläche jetzt entwickeln können. Wir versuchen auch, die Bahn immer wieder an den Verhandlungstisch zu holen, doch das ist mühsam. Im Januar haben wir in der Verwaltung eine Stabsstelle für Großprojekte eingerichtet, dort werden solche Themen gebündelt. Der Oberhof gehört dazu. Im nächsten Planungsausschuss am 9. März werden wir dazu einen Sachstandsbericht abgeben.