Gladbeck. Fünf Corona-Todesopfer binnen einer Woche sind in Gladbeck zu beklagen. Fachleute analysieren die aktuelle Situation in Stadt und Kreis.
Gefühlt hat sich mittlerweile fast jeder Mensch mit Corona angesteckt oder die Infektion hinter sich gebracht. Fünf weitere Todesfälle in Gladbeck, die in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung stehen, binnen einer Woche – das klingt alarmierend. Zumal Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mahnt, die Verbreitung des Virus’ nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Fachleute analysieren die aktuelle Lage in Gladbeck und im Kreis Recklinghausen.
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Dr. Gregor Nagel schildert aus der Praxis: „Seit drei, vier Wochen sehen wir einen Anstieg an positiven Covid-Tests. Wir haben viele Erkältete, aber auch viele Corona-Kranke.“ Der Mediziner im Hausarztzentrum Butendorf und Sprecher des Ärztenetzes Gladbeck fügt hinzu: „Es ist aber sehr, sehr selten geworden, dass letztere stationär krankenhausbedürftig sind.“ Bei Geimpften seien schwere Verläufe eher die Ausnahme.
Gladbecker Arzt: Erkrankte brauchen länger für eine Genesung, doch schwere Verläufe sind sehr selten
„Ich frage routinemäßig immer danach, ob und wie oft jemand geimpft ist“, erzählt Nagel. Und „erstaunlicherweise gibt es immer wieder Ungeimpfte“. In manchen Bevölkerungsgruppen sei die Zurückhaltung, sich eine immunisierende Spritze geben zu lassen, höher als bei anderen. Nachgefragt seien Auffrischungsimpfungen, darunter die vierte, die die Ständige Impfkommission (Stiko) unter anderem vulnerablen Gruppen ans Herz legt. Nagel ergänzt: „Die fünfte Impfung sprechen Befürworter an. Die Empfehlung dazu ist etwas schwammig.“ Über diesen Booster entscheide ein ärztliches Beratungsgespräch.
Der Mediziner stellt anhand der Patientenberichte fest, dass geimpfte Corona-Infizierte über einen Verlauf wie bei einer heftigen Erkältung klagen. Auffällig: „Viele sind länger krank und haben eine verlängerte Rekonvaleszenz.“ Heißt: Betroffene brauchen eine ganze Weile, um wieder einigermaßen fit zu sein.
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Zu beachten ist: Die Dunkelziffer bei den Corona-Infektionen ist hoch. Denn, so Nagel: „Wenn die Menschen keinen Krankenschein brauchen, machen sie zuhause einen Selbsttest und kommen nicht in die Praxis.“ So fließen etliche Fälle gar nicht erst in die Statistiken ein.
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Dennoch steht Fachleuten im Kreis Recklinghausen genügend Datenmaterial zur Verfügung, um die aktuelle Situation belastbar beleuchten zu können. So ziehen Dr. Yvonne Dabrowski, ärztliche Teamleiterin im Infektionsschutz, und Behan Zorlu, ärztliche Corona-Teamleiterin, eine wichtige Erkenntnis: „Man sieht vermehrt Todesfälle in hohen Altersklassen, über 80 Jahre.“
In Gladbeck starben in dieser Woche fünf Menschen in Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion. Die Altersstruktur ist etwas untypisch: Die Opfer waren 64, 67, 76, 80 und 88 Jahre. Die Gesamtzahl der Todesfälle schnellte auf 216. Das ist nach der Stadt Recklinghausen mit 336 Gestorbenen kreisweit der höchste Wert.
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Der Anstieg der Todesopfer, die in diesen Tagen gemeldet werden, geht laut Dabrowski zurück auf die hohen Infektionszahlen der vergangenen Wochen. Sie sagt: „Es spielen bei Hochbetagten viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel dass im Alter eine Antikörper-Antwort reduziert ist.“ Zorlu weist ausdrücklich darauf hin, dass die Opfer an oder mit Corona gestorben sind – Aspekte wie Grunderkrankungen können sich ebenfalls negativ auswirken.
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Keine Daten liegen den beiden Expertinnen zum Impfstatus der Todesopfer und schwer Erkrankten vor. Lena Heimers, Sprecherin in der Kreisverwaltung Recklinghausen: „Ohne Impfungen sähen die Todeszahlen ganz anders aus.“ Dabrowski bekräftigt: „Impfungen verringern schwere Verläufe.“ Denn, so Kollegin Zorlu, eine Immunisierung bedeute: „Ich produziere Antikörper.“
In den 17 Krankenhäusern kreisweit werden aktuell 18 Menschen intensivmedizinisch behandelt, sechs davon beatmet. Lena Heimers erläutert: „Im Vergleich zu den vergangenen Wochen sinkt die Zahl der im Krankenhaus stationär behandelten Menschen mit Corona insgesamt. Die Zahl derjenigen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, mit und ohne Beatmung, ist in den vergangenen Wochen auf einem nahezu gleichbleibenden Niveau.“
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Ein Unterschied werde im deutlich größeren Zeitfenster offenbar. „So wurden beispielsweise am 1. September nur zwei Personen intensivmedizinisch behandelt, ein Patient wurde beatmet. Insgesamt befanden sich zu diesem Datum unter 100 Menschen stationär in den Kliniken“, legt Heimers dar.
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Zorlu registriert: „Der stärkste Rückgang der Infektionen ist in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen zu verzeichnen – minus 37 Prozent. Unter den 80- bis 90-Jährigen handelt es sich in etwa um 34 Prozent.“
In den allermeisten Fällen, nämlich zu mehr als 96 Prozent, hätten sich Menschen mit dem Omikron-Subtyp BA.5 infiziert. Da lediglich maximal zehn Prozent aller Fälle sequenziert würden, lässt sich nach Ansicht der beiden Ärztinnen zum derzeitigen Zeitpunkt nicht viel Gesichertes über die neue Variante BQ.1.1 sagen. Einige Wissenschaftler warnen vor diesem BA.5-Abkömmling wegen seiner hohen Ansteckungsfähigkeit, der eine heftige Herbstwelle verursachen könne. In Frankreich macht der „Cerberus“, also „Höllenhund“, aktuell 19 Prozent der Infektionen aus.
Dabrowski sagt hingegen: „Wir können zurzeit noch nicht sagen, wie virulent diese Variante und der Krankheitsverlauf sind.“ Folglich lasse sich auch nicht absehen, welche Corona-Entwicklung auf die Menschen in Gladbeck und im Kreis Recklinghausen zukomme.