Gladbeck. Gladbecker besuchen am 27. Januar die Stolpersteine in Erinnerung an die Opfer im Nationalsozialismus. Ein Beispiel: die Familie Schlachter.

118 Stolpersteine erinnern in Gladbeck, über das Stadtgebiet verteilt, an Schicksale von Menschen, die Opfer unter Adolf Hitler wurden. Ihrer und ihrer Leidensgenossen will das lokale Bündnis für Courage am 27. Januar besonders gedenken. An diesem Tag der Befreiung des Konzentrationslager-Komplexes Auschwitz vor 77 Jahren wollen Freiwillige zum Putztuch greifen und die Plaketten, eingelassen in den Asphalt, säubern.

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Das Motto der Aktion am Donnerstag lautet: „Erinnern – Innehalten – Mahnen: Alleine – zu zweit und doch gemeinsam“. Mitglieder des Bündnisses für Courage, Einzelpersonen und Jugendliche von Gladbecker weiterführenden Schulen beteiligen sich. Dabei setzt ihr Engagement schon vor der Stolperstein-Verlegung an: nämlich bei der Spurensuche in Biografien der Opfer. Einer derjenigen, die recherchiert haben, ist Robert Stratmann. Der ehemalige Rektor der Erich-Fried-Schule hat sich mit dem Los der jüdischen Familie Schlachter beschäftigt.

Robert Stratmann recherchierte zur Gladbecker Kaufmannsfamilie Familie Schlachter

Er weiß: „Sie gehörten zu den bekannten jüdischen Kaufleuten, die viele Jahre im Zentrum Gladbecks gelebt und gearbeitet haben. Ihr Schicksal geriet völlig in Vergessenheit, bis der Künstler Gunter Demnig am 27. September 2019 vor ihrem ehemaligen Wohnhaus auf der Hochstraße 17 einen Stolperstein verlegte.“ Stratmann hat herausgefunden, dass der Kaufmann Simon Schlachter aus Nürnberg die Gladbeckerin Paula Neuberg heiratete: „Er übernahm mit ihr 1917 das elterliche Haushaltswarengeschäft.“ Zwei Söhne hatte das Paar, Egon sei bereits im Alter von sechs Jahren an einem Blinddarmdurchbruch gestorben.

Sohn Lutz erblickte am 19. Dezember 1919 das Licht der Welt und besuchte später das Realgymnasium in Gladbeck. Stratmann: „Hier wurden aber die judenfeindlichen Übergriffe seitens der Lehrer und Mitschüler derart unerträglich, dass er mit 14 Jahren im April 1933 das Gymnasium verließ und von den Eltern erst zu Bekannten nach Harlem und später nach Utrecht geschickt wurde.“ In Harlem besuchte Lutz das Gymnasium. Er wollte, so Stratmann, Medizin studieren, aber das wurde Lutz – dem deutschen Juden – verwehrt.

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Künstler Gunter Demnig verlegte in Gladbeck einige der insgesamt 118 Stolpersteine an 33 Adressen.
Künstler Gunter Demnig verlegte in Gladbeck einige der insgesamt 118 Stolpersteine an 33 Adressen. © Funke Foto Services | Lutz von Staegmann

In der Heimat spitzte sich die politische Lage zu, so dass das Ehepaar Schlachter im Jahre 1937 in die Niederlande emigrierte. In Utrecht gründete es „mit finanzieller Unterstützung ihres in Gladbeck lebenden Schwagers Dr. Neuberg ein Geschäft, das bereits 1942 entschädigungslos ,arisiert’ wurde“, berichtet Robert Stratmann. Er erzählt: „Die Eltern bekamen eine Nachricht, dass die Gestapo sie suche.“ Also machten sich die Eheleute samt Sohn, nach Stratmanns Kenntnis, im August auf die Flucht in die Schweiz. Aber: „In Belgien wurde die Familie von der Gestapo aufgegriffen. Alle Wertgegenstände und das Bankvermögen wurden konfisziert. Mit einem Gestellungsbefehl sollten sie nach Polen abtransportiert werden.“ Der Hilfe niederländischer Freunde, „die sie in beklagenswerten Behelfsunterkünften versteckten“, ist die Rettung zu verdanken. Dort wurde die Familie „im Mai 1945, gezeichnet von Hunger – abgemagert auf 37 Kilo – und Krankheiten, befreit“.

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Robert Stratmann beschäftigte sich mit dem Leben der Gladbecker Familie Schlachter.
Robert Stratmann beschäftigte sich mit dem Leben der Gladbecker Familie Schlachter. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Auf dem Stolperstein, der den Schlachters gewidmet ist, soll am 27. Januar eine Rose niedergelegt werden – wie an allen 33 Standorten (13 bis 14 Uhr). Ungefähr 150 junge Leute sind involviert. Courage-Mitglied Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup: „Wir freuen uns, wenn viele Menschen sie begleiten.“

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Jugendliche des Heisenberg-Gymnasium betreuen insgesamt 36 Steine. An der Rentforter Straße 7 wird der Familie Haber/Nevo gedacht, vor der Hausnummer 16 der Familien Friedmann und Gelobter. Weitere Stationen: Horster Straße 54 (für die Familien Kaufmann, Cohen, Plesser und sowie Ester Blutstein) und Uhlandstraße 10 (Familie Lewin).

Schüler des Riesener-Gymnasium wollen 13 Erinnerungsplaketten besuchen – und zwar an der Goethestraße 40 (für Albert Heumann) und an der Horster Straße: Nummer 2 (Fridolin Zwillenberg, Ehepaar Mindelgrün, Luise Cohn), 3 (Familie Perl/Philipps), 8 (Familie Cahn) und 19 (Otto Zielke).

Engagement Einzelner

Nicht nur junge Gladbecker von Schulen machen am 27. Januar mit bei der Putzaktion. Auch Einzelpersonen, beispielsweise aus Parteien, beteiligen sich.

Es sind: Silke und Andreas Schwarz, Roßheidestr. 213 (Familie Wainstock); Nina Krueger, Breukerstr. 90 (Erich Porsch); Maurice Zurhausen/Jens Bennarend, Kardinal Hengstbach Platz 1 (Kaplan Bernhard Poether), Redenstr. 34 (Franz Zielasko); Gruppe „Denk!Dran“, Grabenstr. 38 (Familien Eisenstein, Nussbaum und Markiewitz), Landstr. 55 (Familie Levy), Landstr. 78 (Paul Knietsch).

Anne-Frank-Realschule: Jovyplatz 18 (Mathias Jacobs), an der Friedenstraße 23 (Ehepaar Berwald, Familie Klingler), 34 (Familie Margulies) und 80 (Familie Hirsch). Waldorfschule: Eichendorffstraße 38 (Kurt Strohfeld), Glückaufstraße 19 (Ehepaar Krenzler).

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Das Ratsgymnasium betreut Stolpersteine auf der Hochstraße: 17 (Familie Schlachter), 23 (Ehepaar Oppenheimer), 27 (Ehepaar Röttgen), 61 (Ehepaar Preminger) sowie an der Kolpingstraße 2 (Isidor Kahn), Humboldstraße 8 (Gertrud Hessberg). Erich-Fried-Schule: an der Horster Straße, Nummer 180 (Wilhelm Mannel), 198 (Familie Kuflik), 229 (Ehepaar Katz, Familie Scheiner) und Herbertstraße 32 (Familien Endel und Garfinkiel, Arnold Goldenhar), Theodorstraße 19 (Familie Syman).

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