Gladbeck. Die Stadt Gladbeck hat eine Biologin engagiert, die die Population der Kanadagänse kontrolliert. Ziel: weniger Vögel, weniger Beschwerden.

Manche Menschen finden sie wunderschön mit ihren langen rabenschwarzen Hälsen und Köpfen, an denen sich das schneeweiße Kinnband scharf absetzt. Gegner lässt der Anblick der Vögel in Überschallgeschwindigkeit in die Luft gehen. Kanadagänse polarisieren, Konflikte sind unausweichlich. Eine Gänse-Managerin nimmt das Problem in Gladbeck jetzt in die Hand.

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Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn eine Aufgabe der Biologin ist es, aus den Nestern Eier zu entfernen, um die Vermehrung zu regulieren. Nennen wir die Gänse-Managerin Gina S. – ihren tatsächlichen Namen möchte sie nicht veröffentlicht wissen. Sie werde wegen ihrer Tätigkeit auch schon mal bedroht, erzählt die gebürtige Marlerin. Es hat eben nicht jeder Verständnis für ihren Job.

Gladbeck: Nicht alle Menschen haben Verständnis für den Job der Gänse-Managerin

Jürgen Harks kennt den Ärger, den die Anwesenheit der größten Gänseart in Europas freier Wildbahn bei Spaziergängern und Radlern auslöst. Abgefutterte Rasenflächen, beängstigendes Verhalten der Wildtiere und – pardon! – Kacke auf Schritt und Tritt, gehäuft auf den Wegen. „Wir nehmen die Beschwerden ernst, hauptsächlich geht es um die Verschmutzung“, betont der Leiter der städtischen Umweltabteilung. Er hofft, dass dank der Gänse-Managerin mehr Akzeptanz geschaffen werden kann und ein konfliktärmeres Miteinander von Mensch und Tier möglich ist. Denn dass diese Vögel vollkommen von der Gladbecker Bildfläche verschwinden, ist weder gewollt noch möglich. 5000 Euro stehen der Arbeitsgemeinschaft „Kanadagans“ für ihre Aktivitäten zu.

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Die erwachsenen Vögel bewachen ihre Küken mit Argusaugen.
Die erwachsenen Vögel bewachen ihre Küken mit Argusaugen. © FUNKE FotoServices | Heinrich Jung

Die 31-jährige Expertin macht sich alle 14 Tage vornehmlich morgens auf die Pirsch durch den Nordpark und das Areal rund ums Wasserschloss. Die Gelege hat die Biologin im Visier. Sie erläutert: „Mitte März haben die Gänse mit dem Nestbau begonnen, dieser Monat war sehr mild. Dann wurde es noch mal richtig kalt, in dieser Zeit sind viele Eier kaputt gegangen.“

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Sechs bis acht Stück, manchmal auch zehn, legen Kanadagänse. Maximal drei Eier entnimmt S., „niemals alle“. Pro Begehung hat sie in Wittringen und im Nordpark durchschnittlich 50 „stibitzt“. Harks und Carolin Reich, in der Stadtverwaltung zuständig für Umwelt- und Artenschutz, stehen S. dabei zur Seite. „Wir lenken die Vögel ab“, sagt der Abteilungschef. Denn wenn es ihrem zukünftigen Nachwuchs an die Schale geht, werden Kanadagänse ausgesprochen angriffslustig. „Dass wir Szenen erleben, in denen sie aggressiv reagieren, ist logisch“, meint die Expertin zu Bürgerberichten.

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Gänse-Kacke auf Schritt und Tritt erbost manche Ausflügler in Gladbeck.
Gänse-Kacke auf Schritt und Tritt erbost manche Ausflügler in Gladbeck. © FUNKE FotoServices | Heinrich Jung

Die Biologin, die unter anderem auch in Düsseldorf arbeitet, stellt klar: Sie tauscht nicht Gelege gegen Gips-Attrappen aus, wie es bei Stadttauben gehandhabt wird. Schließlich sollen die Vögel einen Bruterfolg haben. Bliebe dieser aus, ziehen sich die eigentlich standorttreuen Kanadagänse, die als Paar monogam sind, in Gefilde zurück, in denen die Managerin dann keine „Geburten-Kontrolle“ mehr hat. „Die entnommenen Eier spenden wir dem Tierpark in Recklinghausen“, so Reich, „sie werden zum Beispiel an Frettchen und Füchse verfüttert.“

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Einige Kanadagänse sind mittlerweile beringt.
Einige Kanadagänse sind mittlerweile beringt. © FUNKE FotoServices | Heinrich Jung

S. erklärt: „Ich markiere die Eier, aus denen Jungtiere schlüpfen.“ Apropos „markieren“: Manche Vögel machen ihr es unbeabsichtigt leicht bei der Kartisierung. Die Gänse-Managerin nimmt derzeit, nach der Phase von Nestbau und Brut, den Bestand auf. Mit Adlerblick und Fernglas erspäht die 31-Jährige „alte Bekannte“, deutlich erkennbar am Reiflein um die Füße: „Das haben Beringer von Vogelwarten, zum Beispiel auf Helgoland, gemacht.“ Flugrouten können dadurch nachvollzogen werden.

Expertin betont: „Bitte auf keinen Fall füttern!“

Auf Karten trägt S. ein, wo wie viele Kanadagänse leben. Manchmal steigt sie dazu auch in Watthosen ins Nass. Harks berichtet: „Anfang April hatten wir 16 Brutpaare.“ Sind diese erfolgreich, sprechen Fachleute von Familien. Derer sind es in Wittringen vier, im Nordpark ist es eine. Im April zählte die Gänsehüterin 62 Tiere; Ende Mai notierte sie 73 Exemplare – und drei Jungtiere. An der Situation im Nordpark mit durchschnittlich 30 Kanadagänsen sei eines auffällig, so Harks: „Es ist eine Besonderheit, dass so viele dazugekommen sind. Es kann sein, dass sie von Buer oder vom Niederrhein gekommen sind.“ Die Schar wuchs auf 80 Tiere.

Wie geht’s weiter?

Die Gänse-Managerin beendet voraussichtlich Ende Juli ihre Kartisierung. Im nächsten Schritt geht es an die Auswertung der Daten, die wahrscheinlich Ende des Jahres in einen Bericht mündet. Daraus ergibt sich das weitere Vorgehen.

Wie viele Kanadagänse sind aus anderen Gebieten nach Gladbeck geflogen und haben sich hier niedergelassen? Wie schaut die Altersstruktur aus? Antworten auf Fragen wie diese bestimmen das weitere Vorgehen. Eine Option: Das Gelege-Management wird fortgesetzt.

Die Biologin meint: „Der Einfluss der Arbeit wird bald sichtbar werden.“ Die städtische Expertin Carolin Reich hofft auf erkennbare Erfolge in den kommenden fünf Jahren.

Federn treiben derzeit auf dem Schlossteich und sind überall verstreut. In der Mauser, wie gerade, sind die Vögel für etwa vier Wochen flugunfähig. Eigentlich gehe von ihnen keine Gefahr aus, der Mensch sollte sich jedoch nicht zu nah an die Jungtiere wagen oder sie provozieren. Wenn die erwachsenen Vögel mit den Flügeln schlagen, „geht man besser in Deckung“, rät die Kennerin. Eines sei absolut tabu: „Bitte auf keinen Fall füttern!“ Schon gar nicht mit (schimmeligem) Brot!

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Auch die Nilgans hat sich in Wittringen niedergelassen.
Auch die Nilgans hat sich in Wittringen niedergelassen. © FUNKE FotoServices | Heinrich Jung

Kanadagänse äsen auf den Grasflächen. Ihre Leibspeise: junge Halme. Dieses Nahrungsangebot kann der Mensch steuern, um manche Gegenden für sie unattraktiv zu machen. Die Vögel fliegen nicht auf Flächen, auf denen das Kraut schießt oder das Grün hoch steht. „Blühwiesen sind für sie uninteressant“, weiß Harks. Ein entsprechendes Pflegekonzept könne die Population weiter eindämmen.

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