Gelsenkirchen. Beim Arbeitnehmerempfang in der Schalker Eisenhütte spricht der technische Leiter des Traditionsbetriebes, Andreas Merchier, über den erfolgreichen Strukturwandel. DGB-Vorsitzender Hülsdücker geißelt die Demontage des Sozialstaates.
Der DGB hat kurz hinter dem Hallentor Position bezogen. „Das ist das Mindeste“ steht da auf roten Handzetteln und Info-Blättern, mit denen die Gäste des Arbeitnehmerempfangs empfangen werden.
Der Infostand steht eigentlich strategisch günstig, kann Freitag aber nur kurz die Aufmerksamkeit auf Lohndebatten lenken. Flankiert wird die Halle von anderen Hinguckern. Rechts: das ausufernde Büfett auf langen, weiß behangenen Tischen. Links: zwei beachtliche Lokomotiven. Das gelb-schwarze Modell dient am Vorabend der Dortmunder Meisterschaft noch der üblichen Farb-Frotzelei. Für die Wiener Verkehrsgesellschaft wurde es gebaut, hat 700 PS unter der Haube und kommt bald als Servicelok im U-Bahn-Bereich zum Einsatz. Blau-weiß (und deshalb schon für viele die geeignetere Kulisse) ist der Prototyp, der deutlich gewichtiger auf den Schienen steht: 85 Tonnen schwer, mit 2200 PS motorisiert, hat die „SDE 1800“ die Power für schwere Erzzüge im Norden Europas. Daten und Fakten erfahren die gut 300 Besucher von Andreas Merchiers, dem Technischen Leiter der Schalker Eisenhüte. Der Traditionsbetrieb, 1872 gegründet und mit Kokereimaschinen und Lokomotivbau im Geschäft, ist Gastgeber beim Empfang und hat seine Endmontage für den Anlass herausgeputzt.
Demontage des Sozialstaats
„Wir haben den Strukturwandel ganz gut hinbekommen“, sagt Merchiers. Über 5 Mio Euro wurden zuletzt in den Standort investiert, die Belegschaft an der Magdeburger Straße 37 wurde von 120 wieder auf 200 Mitarbeiter aufgestockt, der Betrieb arbeitet im Schichtbetrieb rund um die Uhr. Aussagen, die Steilvorlagen für den Abend liefern. Es geht um faire Löhne, um gute, qualifizierte Arbeit, um soziale Sicherheit, um den Abbau von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit, um „Equal Pay vom ersten Tag an, um gleichen Lohn für alle am gleichen Ort“, wie es Josef Hülsdünker, der Vorsitzende der DGB-Region Emscher-Lippe später formuliert. Mit dem 1. Mai fielen weitere Grenzen und Beschränkungen für den Arbeitsmarkt. Die Sorge, dass Billigkräfte aus Osteuropa noch stärker als bisher zur Konkurrenz werden, liefert Gesprächsstoff. Hülskemper gibt sich kämpferisch, geißelt die Demontage des Sozialstaats, das Lohn- und Sozialdumping, das er weltweit auf dem Vormarsch sieht. „Wir wollen behalten, was wir an sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften haben und wir wollen zurückholen, was wir schon hatten“, ruft der DGB-Chef in die Halle.
Kundgebung zum 1. Mai in Gelsenkirchen
"Beschäftigungsboom ist eine Blase"
Klare Ansagen gibt es auch von Oberbürgermeister Frank Baranowski. Für ihn entpuppt sich „ein Großteil des Beschäftigungsbooms als Blase“, aufgepumpt durch eine zunehmende Zahl an Mini-Jobbern, durch Arbeitsverhältnisse, die kein Auskommen ermöglichen. „Feste Beschäftigung zu fairen Konditionen und einen Lohn, von dem man in Würde leben kann“ fordert der OB – und bekommt dafür Beifall wie für sein Willy-Brandt-Zitat: „Nichts kommt von alleine! Und wenig ist von Dauer, wenn wir nicht immer und immer wieder selber dafür sorgen, dass Standards gesetzt und eingehalten werden.“