Gelsenkirchen-Ückendorf. Helga Sander betreibt in Ückendorf den Umbau des Stadtquartiers Bochumer Straße: Sie spricht über Pläne, Probleme, neue Treffs und alte Ängste.
Die Aufgabenfelder der SEG, der Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen, sind klar umrissen: 1. Revitalisierung des Stadtquartiers rund um die Bochumer Straße. 2. Erwerb von Problemimmobilien in Gelsenkirchen. 3. Vermarktung der Grundstücke am Buerschen Waldbogen. Die Frau, die all das bei der Stadttochter vorantreibt, ist Helga Sander (60).
Seit 2016 ist die Dipl. Geografin SEG-Geschäftsführerin und arbeit am Umbau Ückendorfs – und natürlich mittendrin. An der Bochumer Straße 140/142 hat die SEG ihren Sitz und Sander ihr Büro. Ein Gespräch über Erfolge, Ziele und Besonderheiten mitten im Stadtumbau.
SEG hat das Haus Reichstein in Gelsenkirchen zum Modellhaus verwandelt
Frau Sander, wie viele Problemhäuser hat die SEG bereits gekauft?
In Ückendorf rund um die Bochumer Straße sind es 30, stadtweit rund 50 Immobilien. Wir stellen fest, dass es nicht mehr so einfach ist, Problemhäuser zu erwerben, auch Zwangsversteigerungen sind seltener geworden. Wir merken, dass vermehrt Investoren unterwegs sind, weil in vielen anderen Städten der Markt leer ist.
Aber klassische Investoren konkurrieren doch in der Regel nicht um Schrottimmobilien?
Stimmt, eine Immobilie wie das Haus Reichstein an der Bochumer Straße 114 hätte ein Privater so nie in Angriff genommen und hinbekommen. Uns hat genutzt, dass das Land ein Modellhaus für die Sanierung solch einer Immobilie gesucht hat und genau deshalb wird der Erhalt gefördert.
Mit eigener Homepage, Veranstaltungsprogramm und Video-Bautagebuch ist das Haus Reichstein als Vorzeigeprojekt für NRW ein Solitär. Wie bekannt ist es?
Wir registrieren schon überregional Interesse, nicht nur durch Fachpublikum. Wir haben bereits zahlreiche Vorträge, zum Beispiel zur Holzsanierung organisiert, aber auch viele Führungen für Eigentümer vergleichbarer Immobilien, für Fotoamateure oder sogar ein Biertasting. MK Kommunikation hat das Öffentlichkeitskonzept entwickelt und begleitet uns dabei. Ich behaupte mal aufgrund des Interesses an den Bau-Videotagebüchern, dass wir das bekannteste Modellhaus im Land sind.
Bei der Stadterneuerung geht Gelsenkirchen einen besonderen Weg: Ein Teil der Quartierserneuerung im Süden wird aus dem Verkauf von hochpreisigem Bauland am Buerschen Waldbogen finanziert. Welche Mittel fließen noch?
Erstmal muss man feststellen: Gelsenkirchen hat lange Erfahrung mit Stadterneuerungsgebieten. Und auch der Bedarf ist seit vielen Jahren vorhanden. Natürlich ist Gelsenkirchen wie viele andere Städte auch finanziell klamm, hat aber dennoch eine Idee entwickelt, wie man so eine Gesellschaft wie die SEG aufstellen und ausstatten kann. Zum Beispiel durch ein Baugebiet Gewinne zu generieren, die für andere Projekte genutzt werden können. Mittlerweile zweifelt keiner mehr daran, dass das ein richtiger Schritt war, Gewinne zu generieren und für andere Projekte zu nutzen.
Dazu fließen Fördermittel, unterstützt werden auch einzelne Projekte. Das Städtebauministerium des Landes unterstützt in Sanierungs- und Stadterneuerungsgebieten Einzelprojekte aber auch wirtschaftlich schwierige Sanierungen. Zu diesen projektbezogenen Mitteln kommen immer mehr Einnahmen aus der Vermietung. Nach den Modernisierungsmaßnahmen können wir angemessene Mieten generieren, teilweise haben wir mit Gewerbetreibenden langfristige Mietverträge abgeschlossen. In vielen Fällen unterstützen wir Gründer mit Staffelmieten, damit sie leichter Fuß fassen können. Geschäfte sind ja kein Selbstläufer auf der Bochumer Straße. Aber zum Beispiel ein Haus wie die Nummer 110 ist auch ohne Fördermittel rentierlich.
Die Trinkhalle am Flöß hat in Ückendorf auf Anhieb funktioniert
Wie weit sind Pläne und Umsetzung an der Bochumer Straße gediehen?
Wir kommen in Riesenschritten voran und es geht schneller, als ich geglaubt hätte. Wir haben gut ein Drittel, vielleicht die Hälfte geschafft. Anfangs, vor vier Jahren, hatte ich ja nur eine vage Vorstellung von dem, was man hier machen kann und wohin sich das Quartier entwickeln könnte. Dann zeigt sich: So ein Prozess bekommt auch eine gewisse Eigendynamik auch durch Menschen, die auf uns zu kommen. So entwickeln sich dann auf einmal Kreativ-, Sport- oder Gastronomieprojekte. In der Regel sind es junge Start Ups, die sich erproben wollen. Wichtig ist auch, dass Konzepte aufgehen. Wie zum Beispiel die Trinkhalle. Das war die erste neue Gastronomie hier. Sie hat auf Anhieb funktioniert. Mittlerweile ist das Integration pur. Dort treffen sich alle, alteingesessene Ückendorfer und auch die neuen, jungen Bewohner. Auch ich treffe da jede Menge Menschen und werde immer wieder mit neuen Ideen konfrontiert. Der Austausch ist wichtig.
Die Trinkhalle ist ein Positiv-Beispiel. Wie wichtig ist eine renovierte Immobilie?
Entscheidend ist, wenn man zeigen kann, was man aus einem Problemhaus oder einem Leerstand machen kann. Es haben ja nicht alle die Fantasie, sich das vorzustellen. Gute Beispiele helfen, das zu veranschaulichen. Auch die Sportbude ist beispielsweise gut angelaufen. Morgens sind die Kita-Kinder drin, dann das Ücki zum Beispiel mit einem tollen Tanzprojekt oder Anti-Aggressionstraining, wir haben aber auch Yoga-Angebote. Wir kooperieren mit der Stiftung Schalke hilft. Schalke macht besondere Angebote, hilft aber auch bei der Finanzierung der Betriebskosten.
Grundstückserlöse aus Buer für den Stadtsüden
Mit Förder- und kommunalen Mitteln, rechnet SEG-Geschäftsführerin Helga Sander, wurden allein in den Umbau des Stadtquartiers Ückendorf, in Kauf und Sanierung der Immobilien weit über 15 Millionen Euro investiert.
Kapital, mit dem die SEG arbeiten kann, wird im Norden Gelsenkirchens erzielt: Aus dem Verkauf des Wohngebiets Am Buerschen Waldbogen bleiben unterm Strich rund 10 Millionen Euro für die Stadterneuerung im Süden. Der vollständige Abverkauf der letzten Grundstücke dort ist für 2022 geplant.
Was reizt sie an Ihrer Position?
Ich war in Mülheim Bau- und Umweltdezernentin, habe danach für knapp fünf Jahre für einen Bauträger gearbeitet. Aber so konkret wie hier hatte ich noch nie mit einem Stadterneuerungsprojekt zu tun. Das ist schon mein Ding. Ich habe einen öffentlichen Auftrag, der wichtig ist, jedoch mit mehr Flexibilität und Entscheidungsfreiheit als innerhalb der Stadtverwaltung. Stadterneuerung so umzusetzen, finde ich richtig, es gibt nichts besseres.
Was ist Ihnen dabei leichter gefallen als gedacht, was hat Probleme bereitet?
Ich hatte anfangs schon ordentlich Respekt vor der Aufgabe. Auch davor, wie man Mieterfreizüge hinbekommt, um die Immobilien sanieren zu können. Das hat in Kooperation mit der Stadtverwaltung gut geklappt. Mit einer Architektin, einer Immobilienfachfrau und jungen Werkstudentinnen haben wir das notwendige Knowhow und Engagement im Team.
Der Straßenzuschnitt der Bochumer Straße wird ab 2022 verändert
Die Bochumer Straße hat bei vielen Gelsenkirchenern ein eher negatives Image. Was sagen Sie denen?
Aus meiner Sicht war die Bochumer Straße nie ein Angstraum im klassischen Sinne. Aber es war eben auch nicht immer behaglich, hier abends über die Straße zu gehen. Doch dieses Gefühl ist komplett überholt.
Worauf freuen Sie sich besonders?
Über die Entwicklung an der Bochumer Straße 134, dem ehemaligen Exodus mit der Gastronomie. Vorne soll ein Irish Pub rein, hinten eine kleine Veranstaltungshalle entstehen, dazu ein Raum, der vielleicht für Ausstellungen oder Quartiersfeste genutzt werden kann. Zusammen mit diesem Innenhof entwickeln wir hier den Kleinen Kiez. Inhaltlich wird das ein gutes Angebot. Wir haben lange am Konzept herumgedoktert, jetzt nimmt es Gestalt an. Überhaupt sind die Innenhöfe für dieses Quartier sehr wichtig und ein wahres Pfund, vor allem, mit der Südwest-Lage. Deshalb wollen wir sie öffnen.
Die Bochumer Straße soll ab 2022 umgebaut werden. Fluch oder Segen?
Es ist wichtig, dass die Straße umgebaut wird, auch weil es so eng ist für Fußgänger und Radfahrer. Aber wir müssen sehr darauf achten, dass die Zugänglichkeit gewahrt bleibt und die Gastronomie nicht zu sehr leidet. Wir schaffen ja jetzt gerade auch das Umfeld für die Heilig-Kreuz-Kirche, die ab Mitte 2021 als Veranstaltungsort genutzt wird. Besucher sollen ja nach eine Veranstaltung auch in der Nähe einkehren können. Mit Emschertainment als Betreiber sind wir eng im Gespräch. Das wird eine gute Kooperation werden.
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