Gelsenkirchen-Ückendorf. . Der Gründer-Enkel Eugen ist beim Baustart in Gelsenkirchen dabei. Das Musterhaus wird für zehn Jahre landesweites Vorbild für Altbausanierung.

Es ist die Rückkehr zu einem Neubeginn: Eugen Reichstein schaut sich ein paar Bilder an im Erdgeschoss des Hauses Bochumer Straße 114. In Hassel lebt er längst. Mittwoch steht er wieder in der früheren Gaststätte, die er so gut aus Kindertagen kennt.

Sein Vater Alfred Reichstein hat die Kneipe bis zu seinem Tod 1966 geführt, dessen Frau Maria betrieb sie noch einige Jahre weiter. Eugen ist hier aufgewachsen, hat sich als „Kegeljunge“ ein paar Groschen Taschengeld verdient. Jetzt ist er zurück im früheren Schankraum.

Marode Deckenbalken neben dicken Stahlträgern

Eugen Reichstein ist der Enkel der Gründerfamilie. Er wuchs über der Gaststätte auf, verdiente sich hier Taschengeld als Kegeljunge.
Eugen Reichstein ist der Enkel der Gründerfamilie. Er wuchs über der Gaststätte auf, verdiente sich hier Taschengeld als Kegeljunge. © Olaf Ziegler

Die Ziegelmauern liegen blank, ein Stück Terrazzoboden ist freigelegt, Tapetenfetzen hängen von den Wänden, neue Holzstreben stützen marode Deckenbalken neben dicken Stahlträgern. Auf einem Tisch steht ein Monitor. Bilder zeugen von alter Herrlichkeit in den oberen drei Etagen, von durchaus repräsentativen Räumen. Doch die sind an diesem Vormittag nicht zugänglich, der Rundgang ist aber virtuell möglich.

In einer Nische ploppen Bilder auf. Botschaft: „Hier tut sich wieder watt!“ Oder: „Unser Plan, ein Gründerzeithaus für Menschen von heute“. Dazu Motive von zupackenden Menschen, die ein altes Haus, Baujahr 1902, runderneuern wollen. Und zwar „wertschätzend“, wie Architekt Ulrich Piel vom Büro Piel/Galert betont. „Wir müssen das Gebäude zunächst von dem befreien, was in den Jahrzehnten aufgebracht worden ist, um zur wertigen Substanz vorzudringen.“

Regelmäßiger Blog als Bautagebuch

Via Bildschirm kann man einen virtuellen Rundgang durchs Musterhaus machen. Oberbürgermeister Frank Baranowski machte sich schon mal auf den Weg.
Via Bildschirm kann man einen virtuellen Rundgang durchs Musterhaus machen. Oberbürgermeister Frank Baranowski machte sich schon mal auf den Weg. © Olaf Ziegler

Die ist auf 580 Quadratmetern Fläche zweifellos vorhanden, auch wenn Architektin Monika Güldenberg einräumt. dass bei einer ersten Besichtigung zunächst einmal „alle geschluckt hätten“. Doch „wir haben schon schlimmere Gebäude gesehen“. Das Haus Reichstein macht nun auf seine alten Tage Karriere. Es soll Eigentümern auch die „Angst vor Altbauten“ nehmen. Hier soll von der Stadt, von der Stadterneuerungsgesellschaft SEG demonstriert werden, wie Sanierung beispielhaft gelingen kann. Dafür gibt es Geld vom Land: Knapp 1,3 Millionen Euro. Die Baukosten werden aktuell mit 1,5 Millionen beziffert.

Güldenberg macht es stolz, dass die Stadt dieses Projekt vorantreibt, das sinnbildlich für die Quartierserneuerung rundum steht. „Solche Bestandsgebäude brauchen einfach eine Haltung“, meint die Architektin. „Es steckt viel mehr in dieser Straße als reine Exceltabellen.“

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Der Umbauprozess wird transparent begleitet

An die 50 Besucher mit orangefarbenen Schutzhelmen hören und sehen in der alten Traditionskneipe die Zukunfts-Botschaften. Das Haus hat als Vorzeigeprojekt eine eigene Homepage (www.haus-reichstein.nrw), soll landesweit Ausstrahlung bekommen – eben als Modell dafür, wie Altbausanierung auch in schweren Problemfällen und schwierigen Vierteln laufen kann. Denn solche Häuser, sagt SEG-Geschäftsführerin Helga Sander, gebe es ja auch in Essen, in Düsseldorf, in Köln.

1902 wurde das Haus mit der Gastwirtschaft an der Bochumer Straße gebaut.
1902 wurde das Haus mit der Gastwirtschaft an der Bochumer Straße gebaut. © Olaf Ziegler

Das Ziel, die repräsentative Straße von einst, „ein Stück weit zurückzuholen“, sei aller „Mühen wert“, betont Oberbürgermeister Frank Baranowski und zeigt sich „optimistisch, dass wir dieses Bild vom strukturellen Niedergang ändern können“. Dafür wird das Haus Reichstein in den kommenden zehn Jahren Musterhaus, der Umbauprozess wird transparent begleitet. Führungen soll es geben, einen Blog als Bautagebuch.

Das Gebäude biete Perspektiven und auch Raum für Experimente, sind sich die Beteiligten einig. Netz-Aktivitäten und Realität gehen dafür in der kommenden Dekade eine feste Verbindung ein. Nach zweijähriger Bauphase wird das Haus (eine Förderbedingung) acht Jahre lang in Teilen öffentlich zugänglich bleiben. Im Erdgeschoss soll ein Treffpunkt mit temporärem Ausstellungscafé entstehen.

Verkaufsraum für Spirituosen und Bier

Wo einst an Samstaghabend der Tresen von Zechern belagert wurde und man sich sonntags zum Frühschoppen traf, wird also wieder Leben einkehren. Nebenan war einst ein Verkaufsraum für Spirituosen und Bier. „Streifenpolizisten“, erinnert sich Eugen Reichstein, waren früher regelmäßige Gäste. „Die haben hier ‘ne Zigarette geraucht, ‘nen Kurzen gekippt und geguckt, ob alles klar ist.“ Das wird wohl Vergangenheit bleiben.

>> Sieben Millionen Euro für die Stadterneuerung

Solche Post bekommt man gerne: Acht Zuwendungsbescheide aus dem Stadterneuerungsprogramm 2018 hat Gelsenkirchen jüngst erhalten. Die Bezirksregierung bewilligte damit rund sieben Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln für unterschiedliche Projekte.

In diesem Jahr erhalten erstmals auch die Quartiere Gelsenkirchen-Neustadt und Rotthausen Fördermittel aus dem Stadterneuerungsprogramm. Neben der Einrichtung eines Quartiersmanagements soll in beiden Quartieren in einem ersten Schritt auch eine Potenzialanalyse für Grünstrukturen und Klimaanpassungen gefördert werden.

Mittel für Erwerb und Abriss von Schrottimmobilien

Außerdem sollen mit den Fördermitteln die Herrichtung von Begegnungsräumen für Kurs- und Beratungsangebote in Hassel sowie Baumaßnahmen zur Verbesserung des Stadtbildes an der Bochumer Straße unterstützt werden. Darüber hinaus erhält Gelsenkirchen auch 2018 wieder Fördermittel für das Modellvorhaben „Problemimmobilien“. Insgesamt 3,8 Millionen Euro (Fördersatz 95 Prozent) werden bis 2022 für den Erwerb und Abriss von Schrotthäusern bereitgestellt.

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Nach Ückendorf ins Viertel längs der Bochumer Straße fließen auch Gelder aus dem Fördertopf „Investitionspakt Soziale Integration im Quartier“. Mit 412.000 Euro unterstützen Land und Bund die sogenannte „Quartiersoase – Integration im Grünen“. Der Fördersatz beträgt 90 Prozent. Der Hinterhofbereich sowie das Hinterhofgebäude Bochumer Straße 110 sollen umgestaltet und neue Angebote für Bewohner entwickelt werden.