Gelsenkirchen-Ückendorf. . 25 Häuser hat die SEG in Ückendorf bereits erworben. Erste Projekte der Quartiererneuerung nehmen Gestalt an. 2018 startet Umbau in Heilig Kreuz.

Die grün-weißen Banner vor den Fassaden an der Bochumer Straße dokumentieren im Vorbeifahren: Hier tut sich was, hier wird sichtbar Stadtumbau vorangetrieben. Zwischen Leerständen und abgewirtschafteten Gründerzeitbauten sind die ersten Häuserfronten herausgeputzt, neben Leerständen mit toten Schaufenstern füllen sich einzelne Ladenlokale wieder.

Stadtbaurat Martin Harter und Oberbürgermeister Frank Baranowski (l.) beim Presserundgang auf der Bochumer Straße.
Stadtbaurat Martin Harter und Oberbürgermeister Frank Baranowski (l.) beim Presserundgang auf der Bochumer Straße.

Mehr sollen es werden zwischen dem Jugendtreff „Ücky“ mit der mobilen Kita, dem prächtigen Eckbau schräg gegenüber an der Bochumer Straße 99 und der Häuserzeile Nummer 134-142, die künftig als „Kleiner Kiez“ junge Gründer-Gastronomie in Nachbarschaft des „Subversiv“, einem Raum für urbane Kunst und Kultur, beherbergen soll. Manches wird hier temporär bereits mit Veranstaltungen bespielt, anderes ist abzusehen: Wie etwa das Tonstudio, das bald im Hinterhof der Bochumer Straße 140 angesiedelt werden soll.

Häuser entkernt, Wände eingerissen

„Es macht Sinn einmal zu zeigen, dass hier mehr passiert, als man auf den ersten Blick sehen kann“, sagt Oberbürgermeister Frank Baranowski, der beim Ortstermin mit Stadtbaurat Martin Harter Altbau- und Sanierungsbestände inspiziert, die eines vereint – sie sind Orte der Hoffnung auf Neugestaltung. „Das geschieht nicht von heute auf morgen, das wird nicht mal eben so zu verändern sein“, meint der OB. Baranowski räumt ein, dass er selbst anfangs der Dekade skeptisch war. „Doch es war die richtige Entscheidung, die Bochumer anzugehen. Wir sind auf einem guten Weg.“ Der Schlüssel zum Erfolg war für ihn der Ankauf von Problemhäusern. „Nur wer die Immobilien besitzt, kann auch etwas mit ihnen anfangen“ – diese Erkenntnis reifte früh in Gelsenkirchen.

Ankauf und Umsetzung sind (auch) das Geschäft von Helga Sander, der Geschäftsführerin der SEG, der Gelsenkirchener Stadterneuerungsgesellschaft. Finanziert wird der Stadtumbau im Süden durch ein Projekt im Norden, durch den Grundstücksverkauf im neuen Wohnquartier am „Buerschen Waldbogen“. Bis zu neun Millionen Euro, rechnet Sander, werden unterm Strich in die Stadterneuerung fließen können.

Platz für die ganze Hausgemeinschaft

Die ersten Studenten-WGs haben das Haus Bochumer Straße 96 bezogen. Kreative und Künstler sind darunter. Der Innenhof ist ein Hingucker geworden – mit einem massiven Gartentisch samt Platz für die ganze Hausgemeinschaft, mit Hochbeeten, mit bereits blühenden Narzissen, mit einem Graffito an der Wand, das kunstvoll die „96“ und eine riesige Blaumeise in Szene setzt. Derzeit ist vieles rundum noch nicht weiter vorzeigbar. Häuser sind entkernt, erste Wände abgerissen, Dachteile eingedeckt.

Freigezogen werden musste das Haus Nummer 99. Es war unbewohnbar. Für mehrere Familien und zwei alleinstehende Männer mussten Wohn-Alternativen gefunden werden. Aktuell wird das Haus ausgeräumt. Hier soll ein Beherbergungsbetrieb entstehen.
Freigezogen werden musste das Haus Nummer 99. Es war unbewohnbar. Für mehrere Familien und zwei alleinstehende Männer mussten Wohn-Alternativen gefunden werden. Aktuell wird das Haus ausgeräumt. Hier soll ein Beherbergungsbetrieb entstehen.

Der geplante Bewegungsraum hinter der mobilen Kita ist noch Rohbau. In Kürze soll der Ausbau der „Psychomotorikhalle“ beginnen. Mit 350 000 Euro wird das Projekt gefördert. Es soll Anlaufstelle für das ganze Quartier werden und Sportort von Yoga bis Selbstverteidigung. Mit 1,3 Millionen Euro wird über zehn Jahre ein Modellhaus gefördert, das Wege der Altbausanierung sichtbar machen wird. 250 000 Euro fließen ins „Subversiv“. Und dann ist da ja noch das Millionen-Projekt „Heilig Kreuz“ – Stadtteilzentrum und Veranstaltungsort soll die herausragende Parabelkirche werden. Im 3. Quartal 2018 ist der Baustart vorgesehen. „Ziel ist, dass wir dort 2020 fertig sind“, so Baurat Harter.

An zig Stellen wird bereits an der Zukunft gewerkelt. Andernorts existiert sie erst in den Köpfen der drei Frauen, die sich verantwortlich um die Bochumer Straße kümmern, die über Immobilien verhandeln, wenn nötig den sozialverträglichen Freizug organisieren, neue Mieter betreuen, Bauabläufe steuern, netzwerken. Mit SEG-Chefin Sander sind das Catrin Schenk, Architektin, und bei der SEG stadtweit für Problemimmobilien zuständig, sowie Monika Güldenberg, die als Architektin die Umsetzung vor Ort begleitet. 25 Immobilien hat die SEG bisher gekauft, zwei wurden wieder veräußert. Was zeigt: Erste Investoren sind angesprungen, sehen hier Entwicklungs- und Renditechancen.

Lebens- und liebenswerte Szenequartiere

SEG-Geschäftsführerin Helga Sander (l.) und Architektin Monika Güldenberg stellten einzelne Projekte vor.
SEG-Geschäftsführerin Helga Sander (l.) und Architektin Monika Güldenberg stellten einzelne Projekte vor.

Angesprochen fühlen sollen sich in Ückendorf, verraten die Info-Banner an den Häuserfronten, junge Leute, Studierende, Kreative, sogenannte „First Mover“ – also Menschen, für die Veränderung, auch gerne mal Improvisiertes im Wohnumfeld, ein Stück weit zur eigenen Lebenswirklichkeit passen. In Köln, in Berlin ist das der Nährboden, auf dem lebens- und liebenswerte Szenequartiere reifen. Aber in Gelsenkirchen?

Die Vorbehalte sind riesig. „Abreißen, neu bauen“ – das Urteil über die Bochumer Straße in sozialen Medien ist teils vernichtend. „Man muss den Gelsenkirchener an sich überzeugen. Der sieht seine Stadtviertel seit vielen Jahren im selben Licht“, stellt Schenk fest. Auch am Umbau in den Köpfen arbeiten die drei Frauen. Zumindest bei Neu-Ückendorfern müssen sie keine dicken Bretter bohren. „Es ist interessant, dass die Leute mitwirken können“, sagt Architektin Güldenberg. „Für sie hat das eine Art Laborcharakter.“

Starthilfe für Unternehmensgründer

Zumindest die Schlüsselimmobilienlängs der Bochumer Straße will die SEG dauerhaft halten, auch um langfristiger die Entwicklung zu steuern.

Damit es junge Start-ups oder Initiativen geschäftlich leichter haben, so SEG-Chefin Helga Sander, kommt man ihnen beim Mietzins entgegen. Bis zu einem Jahr müssen sie dann nur die Nebenkosten tragen.