Gelsenkirchen-Ückendorf. Richtfest mit Jazz und Grünkohl im Haus Reichstein in Gelsenkirchen. Der Sanierungsfall dient als NRW-Beispiel für den Umgang mit Problemhäusern.
Das Dach wurde schon lange vor dem Richtfest vor dem Winter erneuert und eingedeckt – um eindringendes Wasser vom Haus Reichstein fern zu halten. Das hatte in den vergangenen Jahrzehnten ganze Arbeit geleistet: Schimmel und Schwamm vom Dach bis in den ersten Stock, dazu schiefe Wände, Probleme mit der Statik. Das Problem-Portfolio im Denkmal an der Bochumer Straße ist reichhaltig, die Lösungen, aus dem Sanierungsfall wieder ein ansehnliches Gebäude zu machen, auch. Das Haus Reichstein ist Modellprojekt für NRW und eine Vorzeigeimmobilie der Gelsenkirchener Stadterneuerungsgesellschaft SEG.
Gegenüber liegt die Gelsenkirchener Kirchen-Großbaustelle Heilig-Kreuz
Freitag wurde vis-à-vis der Kirchen-Großbaustelle Heilig Kreuz Richtfest gefeiert. Und das geriet auch ein wenig anders als üblich: Mit Jazz zum Eingrooven im Rohbau, mit Baustellenführungen, garniert mit Grünkohl, Curry, Bier und Limo von der improvisierten Bar, mit Videoeinspielern, mit geladenen Gästen und abends einem Konzert der Kölner Künstlerin Mariama. Karten für 80 Besucher waren dafür im Vorfeld ausgegeben worden. Ganz klassisch dann aber doch der Part der Zimmerleute. Mangels Alternativen auf dem First hatten sie einen Mini-Dachstuhl ins Erdgeschoss gesetzt – mit buntem Richtkranz in Stadtfarben und zwei ellenlangen, blau-weiß bebänderten Zimmermannsnägeln.
Zimmermann Achim Weigelt von der Gelsenkirchener Firma Holzbau Schilling musste nach seinem Richtspruch mit dem Hammer nachhelfen, um das obligatorische Schnapsglas zu zertrümmern. Auch Oberbürgermeister Frank Baranowski wie SEG-Geschäftsführerin Helga Sander brauchten etwas, um schlagkräftig eine hohe Nagel-Trefferquote zu erzielen – egal. Als schlechtes Omen wertete das niemand. Dafür läuft es viel zu rund im Haus Reichstein seit dem Baustart im November 2018.
Mit 1,3 Millionen Euro fördert das Land NRW den Umbau
Haus Reichstein ist ein Gebäude mit eigener Homepage und ein Modellhaus für zehn Jahre. Mit 1,3 Millionen Euro fördert das Land den Umbau, insgesamt sind 1,5 Millionen Euro kalkuliert. „Das ist ein Sanierungsprojekt, das nicht nur spannend, sondern auch ehrgeizig ist und landesweit seinesgleichen sucht. Ein Prachtbau aus der Gründerzeit endete als Schrottimmobilie und ist jetzt ein innovatives Modellprojekt mit Strahlkraft weit über den Stadtteil hinaus“, betonte Baranowski. Er wertet das, was in Ückendorf geschieht, „als Blaupause für vergleichbare Sanierungen und andere Bauherren“.
Schwamm und extremes Gefälle durch Bergsenkungen
Videotagebücher von der Baustelle
„Kommunikation und Einbindung der Zielgruppen in den Bauprozess“ ist für SEG-Geschäftsführerin Helga Sander ein wesentliches Merkmal der Baustelle. Angesprochen werden sollen Bauleute, aber auch Bauherren.
Die Bauphasen werden per Videotagebuch dokumentiert, bei Führungen werden Baufortschritte und Sanierungs-Probleme erläutert, in Showrooms soll später beispielhaft dokumentiert werden, wie Baulösungen für vergleichbare Immobilien aussehen könnten. Fünf Video-Clips gibt es bereits im Netz, sie wurden jeweils bis zu 10.000 mal angeklickt.
Wie im Sanierungsfall gearbeitet wird, wie der Schwamm zu vertreiben ist, wie man mit extremem Gefälle durch Bergsenkungen umgehen kann, oder auch, welche Lösungen gefunden wurden, um historische Türen und Zargen wiederzuverwenden – das alles kann Architekt Ulrich Piel im Haus zeigen. Holzkonstruktionen wurden ersetzt, Gefache neu ausgemauert, an manchen Stellen wurden für die sichere Statik neue Stahlträger eingezogen. „Wir bauen geordnet zurück“, sagt Piel. Und eben wieder auf.
Außerhalb der Schauräume werden später Menschen wohnen. „Die Wohnqualität“, ist der Architekt sicher, „werde auch „massiv durch die Begrünung der Innenhöfe“ an der Bochumer Straße gewinnen. „Unser Ziel ist, 2020 fertig zu werden.“ Dann wird auch das Stadtteilbüro Ückendorf die Straßenseite wechseln und einziehen, junge Gründer planen ein Baucafé. Spätestens dann soll Haus Reichstein wieder das sein, was es mal in frühen Zeiten als Kneipe und Bierschwemme war: Ein Anlaufpunkt und kommunikativer Ort.