Essen. . Peer Steinbrück ist auf Wahlkampf-Tour, am Donnerstag macht er in Essen Halt. Rund 1500 Menschen feiern den SPD-Kanzlerkandidaten geradezu – und so mancher Genosse glaubt zu spüren, dass seit dem TV-Duell ein Ruck durch die Partei gegangen sei.
Jubelstürme, rhythmischer Applaus, johlende Fans – das erlebt Peer Steinbrück nicht alle Tage. An diesem Tag, bei einer SPD-Kundgebung in der Essener City, wird der SPD-Kanzlerkandidat von rund 1500 Menschen geradezu gefeiert.
Steinbrück lacht, winkt, gibt sich gelöst. Und es wirkt nicht einmal aufgesetzt, wie sonst gelegentlich bei öffentlichen Steinbrück-Auftritten. Essens SPD-Chef Dieter Hilser scheint es kaum fassen zu können. „Seit dem TV-Duell letzten Sonntag spüren wir den Umschwung“, schwärmt er.
Doch kann das sein? Kriegt die SPD doch noch den Dreh? Schafft ihr Kanzlerkandidat womöglich die Wahlkampf-Trendwende in letzter Minute?
Die Zuschauer lechzen nach starken Worten und Pointen
Kaum betritt Steinbrück die kleine Bühne inmitten der Zuschauer, lechzen die Leute förmlich nach starken Worten und Pointen. Doch Peer Steinbrück ist nicht die Abteilung Attacke. Eine „Rampensau“ wie etwa Wahlkampfprofi Gerhard Schröder es war, ist er nicht und wird es wohl auch nicht werden.
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Stattdessen redet Steinbrück über die Bürgerversicherung, Bankenregulierung und Rettungspakete für die Griechen. Er sagt Sätze wie „Bildung ist in Deutschland dramatisch unterfinanziert“ oder „Wir müssen Erwerbsarmut bekämpfen, damit es später nicht zu Altersarmut kommt“. Standardsätze aus dem Wahlkampf-Repertoire? Egal. Die Leute klatschen. Weil sie klatschen wollen. „Die Stimmung bei uns hat sich deutlich gebessert“, jubelt auch der Essener Bundestagskandidat Dirk Heidenblut.
Umfragewerte für die SPD haben sich leicht verbessert
Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Zwar hecheln die Sozialdemokraten und ihr Spitzenmann immer noch weit hinter Angela Merkels Christdemokraten her. Doch nachdem ein angriffslustiger und selbstironischer Steinbrück beim TV-Duell mit der Kanzlerin punkten konnte, haben sich die Umfragewerte für ihn und die SPD leicht verbessert.
Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend kletterte die Partei auf 27 Prozent. Allerdings schwächelt der Wunschpartner für eine Regierung: Die Grünen sacken auf zehn Prozent – ihr schlechtester Wert seit fast vier Jahren.
Peer Steinbrück genießt den Applaus
Aber das ist an diesem lauen Spätsommerabend kein Thema. Steinbrück genießt den Applaus. Er wirkt für seine Verhältnisse geradezu locker. Als er dann doch endlich etwas tiefer in die Wahlkampf-Kiste greift und CSU-Chef Horst Seehofer als „loseste Kanone auf Deck in Deutschland“ bezeichnet, nimmt der Applaus fast kein Ende.
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Der Auftritt in Essen ist offenbar symptomatisch für die augenblicklich Lage bei der SPD. Auch im Berliner Willy-Brandt-Haus, so berichtet ein SPD-Insider, herrsche seit dem Duell-Abend „eine andere Stimmung“. Es sei ein „Ruck“ durch die Partei gegangen.
Merkels CDU könnte Opfer ihrer eigenen Einlullungstaktik werden
Und es gibt noch weitere Entwicklungen, die die Hoffnung der Sozialdemokraten auf eine Trendwende befördern. So kommt die populistische Alternative für Deutschland (AfD) in einer Umfrage inzwischen auf vier Prozent – und kratzt damit an der Fünf-Prozent-Hürde. Schaffte es die erst vor wenigen Monaten gegründete Partei tatsächlich in den Bundestag, geriete die bisherige Rechnung bei den Mandaten im Parlament erheblich in Bewegung: Schwarz-Gelb stünde wohl ohne Mehrheit da.
Angela Merkels CDU könnte Opfer ihrer eigenen Einlullungstaktik im Wahlkampf werden. Das Motto, möglichst alle Streitthemen außen vor zu lassen (Beispiel: Griechenland) oder durch eine Umarmungsstrategie gegenüber der SPD (Beispiel: Mindestlohn) abzuräumen, könnte auch die eigene Anhängerschaft einschläfern – und von den Wahlurnen fernhalten.
Außerdem scheinen die letzten Umfragen zu zeigen, dass Union und FDP ihr Wählerpotenzial inzwischen ausgeschöpft haben. Legen die Liberalen, die teilweise immer noch bei gerade einmal fünf Prozent dahindümpeln, um einen Punkt zu, verliert die Union meist einen Punkt. Und auch die Stimmengewinne der AfD stammen zu einem Großteil aus dem bürgerlichen Lager.