Essen. Die Stadt Essen und die Polizei sagen Straf- und Gewalttätern den Kampf an. Integrationsprojekte und das „Aktionsbündnis sicheres Altenessen“ sollen weitergeführt werden. Unklarheit herrscht weiterhin über die Ursache der Auseinandersetzungen zwischen libanesischen Clans, Polizei und Oberbürgermeister widersprechen sich.

Unverrichteter Dinge mussten sie gestern wieder abziehen, die Kamerateams, die sich von der Bezirksvertretungssitzung in Altenessen wohl das ein oder andere Statement mit breiter Brust nach den Unruhen durch libanesische Familienclans in Altenessen erhofft hatten.

Doch die Politschar tat das wohl einzig Richtige in der momentanen Situation, die durchaus dazu taugt, sich zwei Jahre intensiver Integrationsbemühungen in dem Stadtteil durch das kriminelle Verhalten einiger weniger zunichte machen zu lassen: Das heikle Thema wurde kurzerhand auf die nächste Sitzung vertagt. Bloß keine Dampfdiskussion, lasst uns das Ganze sachlich angehen, und uns an den Fakten orientieren, hieß die BV-Botschaft.

Europaweite Fede - oder doch nur lokales Problem?

Ein besonnenes Vorgehen, das dem Oberbürgermeister nicht ganz so gut gelang. In einem am Nachmittag veröffentlichen Statement erklärte Reinhard Paß: „Die Massenschlägereien in Altenessen am vergangenen Wochenende sind nach Erkenntnissen von Polizei und Stadtverwaltung begründet in einer deutschland- und wahrscheinlich auch europaweit geführten Familienfehde mehrerer libanesischer Familienclans“.

Eine kühne Behauptung mit einem Schönheitsfehler. Denn die auf Nachfrage bei der Stadt als Kronzeuge benannte Polizei hat gar keine solchen Erkenntnisse: „Wir haben keine Hinweise darauf, dass es so ist“, hieß es in der Landesbehörde. Vielmehr gehe man nach wie vor von einem regionalen Problem als Grund für die wiederholten Auseinandersetzungen aus, die Verletzte gefordert haben und nicht zu tolerieren sind.

Seit Jahren schon seien sich zwei Familien im Norden der Stadt nicht grün. Nach NRZ-Informationen schwelt zwischen den Clans ein Streit um Geld, der nach Einschätzung der Behörden immer wieder aufflammen kann. Es soll, so heißt es bei Kennern der Szene, um eine womöglich nicht gerecht aufgeteilte Beute aus einer Raubstraftat gehen.

Während sich Oberbürgermeister Reinhard Paß nun mit der Polizei beraten will, „wie die Zusammenarbeit so wirkungsvoll wie möglich gestaltet wird, um das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt zu sichern“, ist die Marschrichtung in der Behörde an der Büscherstraße bereits klar, wo man die öffentliche Sicherheit im Übrigen keineswegs gefährdet sieht: Gesprächsbereitschaft in Friedenszeiten, aber die volle Breitseite gegen Gewalttäter, heißt dort die Devise, die nicht nur am vergangenen Freitag aufging.

OB bedankt sich bei der Polizei für schnelles Handeln 

Als sich rund 100 Menschen vor und auf dem Gelände der Moschee an der II. Schnieringstraße in Altenessen-Nord drohend gegenüber standen, Frauen spitze Schreie ausstießen und sich eigentlich nur einige wenige Heißsporne prügelten, mag das die Bürger des Stadtteils zwar einmal mehr verunsichert haben. Bei Lichte besehen ist jedoch dank des prompten Einsatzes von Polizisten aus Essen, aus den Nachbarstädten und selbst aus Mönchengladbach so gut wie nichts passiert: Eine Anzeige wurde geschrieben – wegen Messerbesitzes.

Der Rechtsstaat, er wurde also nicht aus den Angeln gehoben, sondern er hat gezeigt, dass er funktioniert, meint auch der Oberbürgermeister, der sich gestern bei der Polizei bedankte: „Durch die schnelle Reaktion konnte eine weitere Eskalation der Auseinandersetzungen verhindert werden.“

Eine neue Qualität hatte sie dennoch. So hat es auch Mohamad Munir Rachid, der Imam der Moschee Salahu d-Din an der II. Schnieringstraße empfunden: Nach dem Streit am Donnerstag habe er beide Parteien bis in die späten Nachtstunden besänftigt und sei „sehr überrascht“ gewesen, dass Angehörige beider verfeindeten Clans am nächsten Tag zum gemeinsamen Freitagsgebet kamen. Ordner des Moscheevereins begleiteten eine der Familien anschließend vorsorglich hinaus, damit es nicht zu neuen Handgreiflichkeiten komme.

Moschee-Verbot für gewalttätige Schläger

Doch dann seien plötzlich mehrere Fahrzeuge aufgetaucht, „mit Insassen, die wir nicht kennen“, so der Imam. Die Angreifer, die offenbar die Auseinandersetzung vom Vortag fortsetzen wollten, sollen nach unbestätigten Informationen aus Gelsenkirchen stammen. „Gegen alle, die an diesem Konflikt direkt oder indirekt beteiligt waren, haben wir jetzt ein Hausverbot ausgesprochen“, versichert der Gottesmann.

Mit Mitteln der Sozialarbeit sind die Übergriffe nicht mehr zu verhindern 

Ob’s was nutzt? Da zucken die Beteiligten mit den Schultern. Eins ist ihnen aber klar: Mit den Mitteln der Sozialarbeit sind solche gewaltsamen Übergriffe nicht mehr zu verhindern, und „Kriminalität kann man nicht mit Integrationsarbeit bekämpfen“, machte der Oberbürgermeister deutlich, der – was auch sonst – klare Kante gegen Gewalttäter forderte: „Nur das Polizei- und Strafrecht, deren Einsatz der Polizei und der Staatsanwaltschaft obliegen, sind wirkungsvolle Mittel.“

Selbst den gutwilligsten Politikern scheint inzwischen die Geduld abhanden zu kommen angesichts wiederholter Auseinandersetzungen in der libanesischen Szene und so manch einer der Sozialarbeiter, die zahlreiche Konflikte im Keim erstickten, bevor sie ausbrechen konnten, befürchtet nun, dass Integrationsmaßnahmen und die erfolgreichen Bemühungen im „Aktionsbündnis sicheres Altenessen“ (NRZ berichtete) in Frage gestellt werden könnten. Sie warnen vor falschen Entscheidungen: „Sollte das passieren, dann hätte am Ende die kriminelle Seite gewonnen.“

Zumindest die Grünen haben sich in dieser Frage bereits gestern klar positioniert: Die angelaufenen Projekte, insbesondere mit den Jugendlichen des Stadtteils, sollen weitergehen. Es wäre „ein Armutszeugnis für unsere Stadtgesellschaft“, meint Walter Wandtke, Grüner Ratsherr aus Altenessen, „wenn die Integrationsbemühungen einer großen Gruppe durch einige unbelehrbare Gewalttäter in Frage gestellt würde“.

Eine einseitig auf Polizeiarbeit ausgerichtete Strategie könne die Probleme jedenfalls nicht dauerhaft lösen.