Essen. .
In den 1960er Jahren verblasst das alte Stigma, doch zeigt die Finanzkrise dem „Modell Krupp“, der Alleinverantwortung des Eigentümers endgültig die Grenzen auf. Alfried Krupp ist getreu der gut gemeinten sozialen Traditionen nicht bereit, ernsthaft Schließungen ins Auge zu fassen.
Niemand nimmt das Wort Versöhnung in den Mund, aber faktisch ist es genau das: Als Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 1961 aus der Hand von Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt den Ehrenring der Stadt Essen erhielt, war die pauschale und unverdiente Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für seine Eltern 16 Jahre zuvor vergeben, wenn auch nicht vergessen.
Nieswandt, der erste SPD-OB, der in jungen Jahren Schmied bei Krupp war, hatte das unterschwellig durchaus kritische Wort geprägt, mit dem die Stadt in eine neue Zeit aufbrechen wollte: „Krupp ist nicht Essen, Krupp ist in Essen.“
Stammhaus wieder aufgebaut
Zum 150-jährigen Jubiläum 1961 ist das Unternehmen zumindest wieder ein unübersehbarer Faktor in Essen, und der Festakt bietet eine gute Gelegenheit, die für Krupp besonders lange und bittere Nachkriegszeit zu beenden.
2000 Gäste nehmen vor genau 50 Jahren in einer extra zu diesem Zweck aufgestellten Traglufthalle Platz, die auch das Stammhaus umschließt, das Alfried Krupp so original wie möglich wiederaufbauen ließ. Es steht symbolhaft dafür, dass Krupp sich zwar teils neu erfinden, andererseits aber auch die Tradition hochhalten will und keineswegs daran denkt, in Sack und Asche zu gehen.
Ein "schwer erträgliches Pharisäertum"
Dazu passt die Festrede von Altbundespräsident Theodor Heuss, einem Kenner der Krupp-Geschichte. Sie lässt aufhorchen, weil hier offensiv der Versuch gemacht wird, Krupp vom Stigma der Kriegsverbrechen freizusprechen.
Hörbar ans Ausland gerichtet, spricht Heuss von „schwer erträglichem Pharisäertum“, das darin bestehe, die ehemalige Essener Waffenschmiede zu verdammen, die eigenen Rüstungsunternehmen aber hoch zu schätzen. So weit so richtig. Was Heuss noch hätte sagen sollen: Es ist nicht egal, wer die Waffen benutzt, die man baut, und zu welchem Zweck.
Der Wendepunkt
1961 ist so etwas wie der Wendepunkt, denn die 1960er Jahre sind für Krupp ein Jahrzehnt großer Sorgen. Die Kapitalnot macht dem Unternehmen schwer zu schaffen, es ist ein riskantes Konzept, kleinteilige Produktionslinien, die wenig oder gar keinen Gewinn erwirtschaften, stets mit Krediten zu finanzieren.
Vor allem Alfried Krupp ist getreu der gut gemeinten sozialen Traditionen nicht bereit, ernsthaft Schließungen ins Auge zu fassen. So erweist sich etwa die Essener LKW-Produktion immer mehr zum Problem, weil Krupp gegen Daimler-Benz und MAN auf dem an sich wachsenden Markt nur mühsam besteht. Auch die von Berthold Beitz eingefädelten Ost-Geschäfte müssen teils teuer vorfinanziert werden.
Ausstellung zeigt die Geschichte des Krupp-Konzerns in historischen Bildern
Ein Exempel statuieren
Krupps große Stärke, die unmittelbare Verantwortung des Alleineigentümers, ist gleichzeitig große Schwäche. Denn diese Verantwortung ist so umfassend und gleichzeitig so kleinteilig, dass Alfried Krupp „sie eigentlich nicht tragen konnte“, wie der damalige Deutsche Bank-Chef Hermann Josef Abs kritisierte. Krupp ist ein Konzern in der Rechtsform eines kleinen Mittelständlers - manche sagen: eines Tante-Emma-Ladens.
Um die Jahreswende 1966/67 spitzen sich die Dinge zu. Als Krupp eine weitere dreistellige Millionensumme für eine Umschuldung abrufen will, werden die Banken nervös und sind entschlossen, ein Exempel zu statuieren. Es klingt unglaublich, aber plötzlich droht schlicht die Zahlungsunfähigkeit, der Zusammenbruch des Unternehmens mit seinen 100.000 Mitarbeitern ist real möglich.
Eine Kapitalgesellschaft mit Bilanzpflicht
Bund und Land helfen mit Bürgschaften, doch der schneidige Bundesfinanzminister Karl Schiller fordert ultimativ Konsequenzen, die im Kern auf eine Entmachtung von Alfried Krupp hinauslaufen. Krupp muss eine Art Aufsichtsrat einrichten und sich - gegebenenfalls über eine Stiftung - in eine Kapitalgesellschaft mit Bilanzpflicht umwandeln. Empfohlen wird, endlich durchgreifen zu rationalisieren.
Für Beitz ist es die wohl bitterste Stunde seines Berufslebens, denn wo es keinen Alleineigentümer mehr gibt, gibt es auch keinen Bedarf mehr für einen Generalbevollmächtigten. Ein Vorstand mit einem Vorsitzenden an der Spitze wird künftig die operativen Entscheidungen treffen - und dieser Vorsitzende, dafür werden die Banken sorgen, wird garantiert nicht Beitz heißen.
Die Dynastie ist am Ende ihrer Kraft
Erst als die Krise ausgestanden ist und die Banken das Feld räumen müssen, wird der von Alfried Krupp als Testamentsvollstrecker eingesetzte Beitz wieder ins Spiel kommen - als Vorsitzender der Krupp-Stiftung wird er faktisch Nachfolger des „letzten Krupp“.
Dass dies möglich ist, liegt an der Einsichtsbereitschaft von Alfrieds Sohn Arndt von Bohlen, der 1966 darin einwilligt, auf sein Milliarden-Erbe zu verzichten. Mit ihm wäre die sechste Krupp-Generation ans Ruder gekommen. Doch die Dynastie ist - zumindest in direkter Folge - am Ende ihrer Kraft.