Im Ersten Weltkrieg wird Krupp zur riesigen Rüstungsmaschine - und bezahlt dies 1918 teuer mit dem Zwang, sich unter Pleite-Druck neu zu erfinden. Im Ersten Weltkrieg entsteht jene Dämonisierung, die für Jahrzehnte den Namen belasten wird.
Seinem Kaiser und der monarchischen Staatsform ist Gustav Krupp von Bohlen und Halbach mindestens ebenso verbunden wie es sein Schwiegervater Friedrich Alfred Krupp war. Aus Gründen der Herkunft und der autoritätsgläubigen Charakteranlage ist etwas anderes undenkbar. Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, steht deshalb für ihn außer Frage, dass die Firma ihre Kräfte bis zum Äußersten anspannen wird, um Deutschland zum Sieg zu verhelfen. Das gilt, obwohl klar ist, dass eine einseitige, mit hohen Investitionskosten verbundene Ausweitung der Waffenproduktion selbst nach einem Siegfrieden betriebswirtschaftliche schwere Probleme aufwerfen würde.
Zu Beginn des Krieges sieht sich die Essener Gussstahlfabrik zu folgendem Monatsausstoß in der Lage: Vier schwere Geschütze, 280 leichte und mittlere Kanonen, 150 000 Granaten und 230 000 Zünder. Die mörderische Materialschlacht, die in den kommenden vier Jahren toben wird, „verbraucht“ solche Mengen aber manchmal binnen weniger Stunden. Schon nach einigen Wochen bleibt der deutsche Vormarsch im zermürbenden Stellungskrieg stecken. Nun drängen die Militärs auf mehr, und Krupp lässt sich wie alle Rüstungsunternehmen nicht lange bitten.
Ab Januar 1915 wird in Essen eine Werkshalle nach der anderen aus dem Boden gestampft, um den Einstieg in die Massenproduktion zu schaffen. Finanziell ist das zunächst kein Problem. Die eigenen Rücklagen sind dank der langen Vorkriegskonjunktur hoch, zudem gibt das Kriegsministerium natürlich Absatzgarantien. 1917 verlassen jeden Monat rund eine Million Geschosse die Essener Fabrik und auch bei Kanonen produziert man nun das vier- bis fünffache - und Krupp ist nur eines von mehreren Rüstungsunternehmen.
Geschürt wird nur der Hass auf Deutschland - und auf Krupp
Mit der „Dicken Berta“ werfen die Essener einen Mörser in die Schlacht, dessen Name bei Freund und Feind bis heute ein Begriff ist. 1918 schließlich entsteht ein langgezogenes Rohr, mit dem aus großer Entfernung der Beschuss von Paris möglich ist. Die erste Granate explodiert mitten auf dem Place de la République. Der Einsatz der „langer Gustav“ genannten Kanone fordert in Frankreichs Hauptstadt viele Tote und Verletzte, hat militärisch aber gar keinen Sinn. Geschürt wird nur der Hass auf Deutschland - und auf Krupp.
Im Ersten Weltkrieg entsteht jene Dämonisierung, die für Jahrzehnte den Namen belasten wird. Das Unternehmen wird nicht als Dienstleister des Staates wahr genommen, sondern mehr und mehr als politisch-ökonomischer Akteur, gemäß der marxistischen Ideologie sogar manchmal als eigentlicher Anstifter und Profiteur der deutschen Irrwege.
War es so? Sicher nicht. Die Beziehung des Unternehmens zu den staatlichen Eliten ist nach den Worten des Historikers Michael Epkenhans zwar geprägt durch eine „eigentümliche Mischung aus Loyalität, politisch-ideologischer Interessenidentität und Geschäftsinteresse“. Gustav Krupp teilt und unterstützt wie sein Schwiegervater das außenpolitische Großmachtstreben des Kaiserreichs. Es hieße seinen Einfluss aber krass zu überschätzen, würde man glauben, der Kaiser, der Generalstab und die Reichsregierung würden nach der Pfeife einer Firma tanzen, selbst wenn diese soviel mythisches Gewicht in die Waagschale werfen kann wie Krupp.
Erster Weltkrieg war ein schlechtes Geschäft
Aber die Vorstellung ist populär, bei den Kriegsgegnern sowieso, durchaus aber auch im eigenen Land. Dafür sorgen etwa die Schriften des äußerst fantasiebegabten, dabei leider faktenarmen Journalisten Egon Erwin Kisch. Richtig ist, dass Krupp schon seit langem im politischen Kleinkrieg eine wichtige Rolle spielt - etwa im Streit um die angeblich mit zu hohem Gewinn verkauften Panzerplatten für Kriegsschiffe. Dieselbe Diskussion, nur noch heftiger, trifft Krupp auch nach dem Ersten Weltkrieg.
Zu recht? Krupp macht zweifellos gute Gewinne, was angesichts der enorm gestiegenen Umsätze und der 100-prozentigen Auslastung vieler Werkstätten nicht verwundert. Aber Gustav Krupp, kaisertreu, patriotisch und überkorrekt, hatte 1914 angeordnet, dass „gegenüber den Friedensjahren keine außergewöhnlichen Gewinne zu kalkulieren“ seien. Was man als Lippenbekenntnis abtun könnte, hat der Wirtschaftshistoriker Lothar Burchardt in einer Studie zum Thema Kriegsgewinne bestätigt gefunden. Inflationsbereinigt habe Krupp von 1914 bis 1918 rund 265 Millionen Mark und damit 11,3 Prozent vom Umsatz als echten Reingewinn verbucht. Gegenüber den eigenen kriegsbedingten Brutto-Investitionen von 630 Millionen ist das nicht übermäßig viel. Vor allem aber: Obwohl man vorausschauend hohe Sonderrücklagen bildete, wurden diese in den ersten Monaten nach dem Waffenstillstand fast komplett aufgezehrt. Der Erste Weltkrieg war, neben all dem Elend das er brachte, auch ein schlechtes Geschäft.
Totes Kapital
Denn als die Rüstungsmaschine des Deutschen Reiches mit Waffenstillstand, Revolution und dem Ende der Monarchie am 9. November 1918 endlich zum Stillstand kommt, sind allein in Essen Dutzende Halle und Tausende Maschinen für die Waffenproduktion nur noch totes Kapital. Die zuletzt auf 117 000 Menschen angeschwollenen Belegschaft, darunter viele auswärtige Arbeiter, muss schnell und drastisch reduziert werden. Mit Prämien und kostenlosen Bahnfahrkarten gelingt es dem Unternehmen, einige zehntausend aus der Stadt zu lotsen und so wahrscheinlich ernste Unruhen in Essen zu vermeiden.
Aber der Preis ist hoch. Und schon im Januar 1919 weiß sich Krupp nicht mehr anders zu helfen als mit Massenentlassungen, um den Bankrott abzuwenden. Nur diejenigen, die vor dem August 1914 in Dienst standen, dürfen bleiben oder werden, wenn sie Kriegsheimkehrer sind, wieder eingestellt. Es sind immer noch viel zu viele und was sollen sie herstellen? Unternehmerisch sinnvolle Antworten auf diese Frage sind rar. Krupp tastet sich in die neue Zeit - auch mit Hilfe der Belegschaft, die in der Werkszeitschrift aufgerufen wird, selbst Vorschläge zu machen. Es gibt immerhin 1300 Anregungen.
Krupp probiert vieles einfach aus. Vom Ackerpflug bis zur Zahnprothese, von der Registrierkasse bis zum Kinovorführgerät, vom Lastwagen bis zur Milchkanne, dazu Bestecke, chirurgische Instrumente, Schlösser, Frankiermaschinen - was aus Stahl besteht, sich für die Massenproduktion eignet und wenigstens vage Aussicht auf Umsatz verspricht, das wird hergestellt. Dass es der Forschungsabteilung kurz vor dem Krieg gelingt, den korrosionsfreien Stahl „Nirosta“ herzustellen, erweist sich jetzt als äußerst hilfreich.
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