Essen.

Selbst in Essen kann sich kaum jemand vorstellen, dass Krupp die Folgen von Krieg und Demontage überleben kann. Doch ab 1951 geht es bergauf. Nach der Begnadigung Alfried Krupps profitiert der Konzern vom deutschen Wirtschaftswunder.

Essen ohne Krupp - für Generationen von Stadtvätern war das unvorstellbar. Viele Jahrzehnte war die Firma der weitaus größte Arbeitgeber, die Krupp-Siedlungen gaben Essen ein neues Gesicht, die Großzügigkeit in sozialen Belangen war groß. Man war uneingeschränkt stolz und dankbar, „Krupp-Stadt“ zu sein. Doch als nach dem Zweiten Weltkrieg klar ist, dass Krupp ein Stigma anhaftet wie keinem zweiten deutschen Unternehmen, empfinden viele kommunal Verantwortliche die gemeinsame Geschichte nur noch als Last. Schon im März 1946 streicht das noch ernannte Vorgängergremium des Stadtrats neben Hitler und Göring in einem gemeinsamen Akt kurzerhand auch Bertha und Gustav Krupp aus der Ehrenbürgerliste.

Der von allen Parteien getragene Beschluss verletzt eine Familie, die nach ihrem Selbstverständnis keine Verbrechen begangen, dafür aber für ihre Vaterstadt stets auch finanzielle Opfer erbracht hat. Bertha weigert sich jahrelang, einen Fuß nach Essen zu setzen, die Entfremdung zwischen den Stadtoberen und den Krupps ist lange nicht zu kitten. Doch glaubten die Stadtväter keine andere Wahl zu haben, als auf den übermächtigen Anti-Krupp-Kurs einzuschwenken. Wenn das Unternehmen auf Befehl der alliierten Machthaber untergehen sollte, so muss Essen dennoch überleben.

„Ich sehe keinen Sinn darin, diesen Mann weiter einzusperren"

Es kommt anders, und das schneller als absehbar. Zunächst darf auf dem Riesengelände zwar nur die Reparaturwerkstatt für Lokomotiven mit der Arbeit beginnen - unter strengen Auflagen. Ansonsten wird demontiert und gesprengt in einer Menge, das mehr Fabrik-Substanz diesen Zerstörungen zum Opfer fällt als dem Bombenkrieg. Doch Anfang der 1950er Jahre, befördert durch den Beginn des Kalten Krieges und der neuen Wertschätzung Westdeutschlands, ändert sich das Bild radikal. Der amerikanische Hochkommissar John J. McCloy hält die Zeit für gekommen, um die Urteile zahlreicher Kriegsverbrecherprozesse neu zu bewerten, darunter auch den Fall Krupp.

Ende Januar 1951 fällt die Entscheidung: Gegen Teile der öffentlichen Meinung vor allem in England werden Alfried Krupp und seine Direktoren begnadigt. Viele Argumente, die die Verteidigung beim Krupp-Prozess vergeblich vorbrachte, kommen zu neuen Ehren. Nun findet es auch McCloy „außerordentlich schwierig, das Maß der persönlichen Schuld zu bestimmen“, zumal selbst Wirtschaftsführer mit weit mehr Dreck am Stecken wie Flick und die Chefs der IG-Farben deutlich milder davonkamen. „Ich sehe keinen Sinn darin, diesen Mann weiter einzusperren, nur weil sein Name Krupp ist.“ Auch die Beschlagnahme des Vermögens („gehört nicht zu den Gepflogenheiten unseres Rechtssystems“) nimmt McCloy zurück. Im Grunde wird der gesamte Schuldspruch zum Fehlurteil erklärt.

„Wollen Sie wieder Waffen bauen?“

Wenige Tage später öffnen sich für Alfried Krupp die Tore der Festung Landsberg. Aus dem jungen Mann, der vor fast sechs Jahren vor der Villa Hügel den Army-Jeep besteigen musste, ist ein 43-Jähriger geworden, der äußerlich zehn Jahre älter sein könnte. In den ersten Interviews kommt die Frage, die Alfried Krupp noch unzählige Male gestellt werden wird: „Wollen Sie wieder Waffen bauen?“ Die Antwort ist ausweichend, hat längst die Deutlichkeit späterer Jahre: „Ich habe nicht den Wunsch und nicht die Absicht, aber ich glaube, dieses Problem wird von der deutschen Regierung gelöst werden und nicht von meinen Neigungen.“ Es ist die alte Linie, die Alfried Krupp hier zunächst beibehält: Beim Thema Waffen ist der Staat am Zug, das Unternehmen versteht sich als Dienstleister.

Mit der Amnestie sind nicht alle Probleme erledigt. Denn um die unterstellte Macht der deutschen Schwerindustrie für immer zu brechen, sind alle Montankonzerne gesetzlich verpflichtet, sich zu „entflechten“. Krupp trifft es besonders hart. Den Essenern soll nur noch die Stahlverarbeitung gestattet sein, Zechen, Erzgruben und das Hüttenwerk in Rheinhausen müssen hingegen verkauft werden. Ein alliierter Plan, der zwar nie umgesetzt wird, was damals aber niemand wissen konnte. Alfried Krupp stimmt nach langen Verhandlungen 1953 zu, um endlich offiziell sein Eigentum zurückzuerhalten. Im März 1953 betritt der Spätheimkehrer erstmals die Fabrik, herzlich begrüßt von einer immer noch sehr mit der Familie verbundenen Belegschaft.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma schon stark vom deutschen Wirtschaftswunder profitiert, 1951 war erstmals wieder ein Gewinnjahr. Abgesehen von Waffen, nimmt Krupp die gesamte Vorkriegspalette der Stahlverarbeitung wieder auf, ergänzt um vieles Zeitgemäße, das der Markt fordert: Lastwagen und Busse, Kräne und Bagger, Brücken und Schleusen, Maschinen aller Art, ja selbst Schrauben und Muttern. Alfried Krupp hatte wie sein Vater nach 1918 die Losung ausgegeben, „alle Aufträge annehmen, wie sie sich uns bieten“. Und noch mehr als damals haftet der wilden Mischung etwas Unorganisches an, das dem Unternehmen später schwer zu schaffen machen wird.

Eine kluge Entscheidung ist es hingegen, konsequent den Güterexport in alle Welt wiederzubeleben. Hier wird sich ein junger Mann bewähren, der die Firma an der Seite des Eigentümers in eine neue Zeit führt: Berthold Beitz.