Essen. Das Ruhrmuseum stellt seine Fotografische Sammlung vor: von A wie Akt bis Z wie Zweiter Weltkrieg. 311 Fotografien, ausgewählt aus 2,5 Millionen Negativen, erzählen Geschichte - und wie eine Ausstellung entsteht.
Vordergründig zeigt diese Ausstellung 311 Fotografien, tatsächlich erzählt sie auch, wie überhaupt eine Ausstellung entstehen kann aus rund 2,5 Millionen Negativen sowie einigen Zehntausend Abzügen und Dias. Darum beginnt sie mit jenen Diakästen, Schachteln und Tüten, in denen Fotos ins Ruhrmuseum gelangen.
Da ist die Zigarrenkiste mit dem Schriftzug Tropenschatz, die eine anonyme Sammlung von Kriegsbildern beherbergt hat. Da ist eine Hülle, die „Gruga 1950“ beschriftet ist. „Zwei Bilder vom Grugapark waren drin – und zig andere. Da müssen wir ebenso akribisch wie detektivisch arbeiten, um diese Bilder zu datieren, zu verorten“, sagt Sigrid Schneider, die die Fotografische Sammlung des Ruhrmuseums leitet. Mal ziehe man zum Vergleich zeitgenössische Bilder heran, mal grenze man die Entstehung mit Hilfe eines Fachbuchs zur Bestimmung von Automarken ein.
Schätze aus der Zigarrenkiste
Seit der Gründung im Jahr 1904 hat das Museum Fotografien aufbewahrt, doch erst im Laufe der Jahrzehnte wurde der Bestand systematisiert, erst 1989 entstand die Fotografische Sammlung. Sie wird seither fortlaufend erweitert um Bilder und Nachlässe von Amateuren und professionellen Fotografen. „Wenn man ein solches Archiv präsentieren will, muss man ein Korsett machen, sonst versackt man im Uferlosen“, sagt Schneider.
Also hält man sich ans Alphabet, wobei der erste Teil der Ausstellung, der am Montag eröffnet wird, nur von A bis I reicht, Teil 2 wird ab Juni 2012 gezeigt. A sind die erwähnten „Anfänge“ mit Zigarrenschatzkisten, aber auch mit Ausschuss: Testbilder, oft mit nach unten gerichteter Kamera gemacht; man habe eine umfängliche Sammlung an Fotografenschuhen, heißt es.
„Von A bis Z. Die Fotografische Sammlung des Ruhrmuseums“ zeigt, wie Bilder in Datenbanken, Katalogen und an Museumswänden landen. Mal mit exakter Beschreibung wie bei der Familie Waldthausen (1875), mal mit einer Kapitulation der Abteilung Recherche: „Fotograf unbekannt, ohne Titel, ohne Ortsangabe“.
Historische Bilder aus dem Ruhrgebiet
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Das nackte Männerbein als Dokument
Weil das Korsett der Ausstellung nicht gar zu fest gezurrt ist, geht es von A zu D wie Dokumentation. Dokumentiert wird die Zerstörung Essens 1943 wie die Arbeit in einer Brauerei, der Tagesbruch und der Arbeitsunfall: „15. Juni 1970“ steht auf dem Schild neben einem nackten, lädierten Männerbein. Ein solches Bild, wohl für die Versicherung angefertigt, wäre nie Ausstellungsobjekt. Hier aber belegt es, wie weit gefasst der Begriff „Dokumentation“ ist.
Wie eng der Rahmen für das vermeintlich ganz Persönliche sein kann, zeigt sich bei E wie Erinnerung: Da wird ein Leben erzählt vom Babybadebild über den 1. Schultag, Kommunion und Konfirmation, Heirat bis zur Diamanthochzeit. Viel Standard ist das, bis auf das Bild von seiner Mutter, das Peter Kleu 1959 machte: Da liegt die alte Dame im Sarg.
Das Grundprinzip, allgemeine Funktionen von Fotografie zu zeigen und Raum zu lassen für das Entlegene, das Experiment, setzt sich fort: Da wird die Janusköpfigkeit von Geschichts-Bildern anhand des Zweiten Weltkriegs dargelegt; werden Genres wie Akt und Architekturfotografie verdeutlicht, da erlaubt der Oberbegriff Portrait, Alfried Krupp mal neben den Sultan von Sansibar zu setzen. Da scheinen historische Ereignisse seltsam beliebig, wenn sich die Rituale (Eintrag ins Goldene Buch) zigfach wiederholen. Wenn Hindenburg, Hitler, Heuss und Kennedy aus offenen Autos winken.
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