Essen. E-Scooter-Fahrer fahren oft nachts, angetrunken, ohne Helm. Mit teils schlimmen Folgen. Die Uniklinik Essen legt eine Studie zu den Unfällen vor.
Jung, männlich, ohne Helm auf dem Kopf und oft mit Alkohol im Blut – so sieht der typische Patient aus, der nach einem Unfall mit einem E-Scooter in der Notaufnahme der Uniklinik Essen landet. Notarzt Dr. Heinz-Lothar Meyer hat dieses Profil erstellt und mit den Opfern von Fahrrad- und E-Bike-Unfällen verglichen. Die Studie von Meyer und seinen Mitautoren, die im Januar in der Fachzeitschrift „Der Unfallchirurg“ erschienen ist, kommt auch zu dem Ergebnis, dass es deutlich mehr Unfälle mit den Elektro-Rollern gibt, als polizeilich erfasst wird.
Nur eins von 68 Unfallopfern trug einen Helm
Die Untersuchung begann im Juni 2019, als die E-Scooter eingeführt wurden, und lief bis Oktober 2020. In dieser Zeit hat Meyer alle Patienten erfasst, die mit einem der drei genannten Verkehrsmittel unterwegs waren und in der Notaufnahme des Uniklinikums aufgenommen wurden. „Von den 68 E-Scooter-Fahrern trug nur einer einen Helm – und der hatte keine Kopfverletzungen.“ Bei den übrigen Betroffenen waren Verletzungen von Kopf und Halswirbelsäule mit rund 38 Prozent am häufigsten vertreten. Mit gut 31 Prozent folgten Verletzungen von Armen, Schultern und Händen. Gut ein Viertel der Betroffenen verletzte sich an Hüften, Beinen und Füßen.
„Ein gebrochener Arm ist aber eben nicht mit einer Kopfverletzung zu vergleichen, die lebenslimitierend sein kann“, betont Meyer. Besonderes Augenmerk verdienten daher all die E-Scooter-Fahrer mit Schädelprellungen, Mittelgesichtsfrakturen oder Hirnblutungen, zumal es eine einfache Vorbeugemaßnahme gebe: „Helme retten Leben.“
E-Scooter-Fahrer sind jünger und risikofreudiger
Bei Rad- und E-Bike-Fahrern, für die ebenfalls keine Helmpflicht gilt, scheint diese Erkenntnis weiter verbreitet zu sein: Von den 356 Radfahrern und den 34 E-Bike-Fahrern im Untersuchungszeitraum trugen jeweils etwa 53 Prozent einen Helm. Die Zahl der Kopfverletzungen war auch in diesen beiden Gruppen hoch, lag aber unter der von E-Scooter-Fahrern. Insgesamt kamen vor allem die Radfahrer glimpflicher davon, was auch am Alter liegen mag: Das mittlere Alter der Radler lag bei 37 Jahren, das der E-Biker bei 50.
Die E-Scooter-Fahrer sind mit einem mittleren Alter von 31 Jahren am jüngsten und wohl auch risikofreudiger. Die – meist männlichen – Nutzer waren in der Regel am Wochenende unterwegs, oft nachts, knapp 12 Prozent waren alkoholisiert – erheblich mehr als Rad- und E-Bike-Fahrer. Letztere landeten indes häufiger auf der Intensivstation und blieben länger im Krankenhaus. „E-Bike-Nutzer sind eher älter, haben Vorerkrankungen, sind also nicht so fit wie Scooter-Fahrer“, so Meyer.
Allerdings wurden auch fast dreiviertel der verunfallten Rollerfahrer stationär behandelt. Und einige begleitete Meyer länger auf der Intensivstation. „Manche hatten Folgeschäden oder Wochen und Monate mit der Rehabilitation zu tun. Es gab schlimme Schicksale.“
Regeln für Elektrokleinstfahrzeuge
In Deutschland wurden die ersten E-Scooter im Juni 2019 zugelassen. Sie sollen auf Radwegen genutzt werden; nur wo diese nicht vorhanden sind, dürfen sie auf die Fahrbahn ausweichen. Sie dürfen maximal 20 km/h fahren. Auch für E-Scooter gilt die 0,5-Promille-Grenze (§24a Straßenverkehrsgesetz).
E-Bikes werden unterschieden in: a) Pedelecs: Elektrofahrräder, die mit Muskelkraft plus Hilfsmotor betrieben werden. Höchstgeschwindigkeit: 25 km/h und b) S-Pedelecs, die als Kleinkrafträder gelten und bis zu 45 km/h fahren dürfen. Für sie braucht man den Mofaführerschein. Anders als für Fahrräder, Pedelecs und E-Scooter gilt für S-Pedelecs eine Helmpflicht.
Die Studie zu E-Scooter-, E-Bike und Fahrradunfällen wurde erstellt von: Heinz-Lothar Meyer, Christina Polan, Benedikt Abel, Carsten Vogel, Bastian Mester, Manuel Burggraf und Marcel Dudda (Uniklinik Essen) und Max Daniel Kauther (Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg).
Angesichts seiner Daten war der Arzt irritiert, als das Statistische Bundesamt im März 2021 Zahlen zu E-Scooter-Unfällen vorlegte: In einem Jahr hatte es in Essen demnach lediglich 21 solcher Unfälle gegeben. Die neuen Gefährte sind gar nicht so gefährlich, schien die logische Schlussfolgerung. Meyer zweifelte: Er hatte im Untersuchungszeitraum von einem Jahr und vier Monaten mehr als dreimal so viele E-Scooter-Unfälle erfasst – nur für die Uniklinik Essen. „Also habe ich alle Betroffenen noch mal abtelefoniert und gefragt, ob ihr Unfall polizeilich registriert wurde.“ Das Ergebnis: 73 Prozent der Unfälle hatte die Polizei gar nicht aufgenommen.
„Vermutlich sind die nicht erfassten Unfälle solche, bei denen es kein Fremdverschulden oder andere Beteiligte gibt“, sagt Meyer. Und das sei häufig der Fall: „Viele der E-Scooter-Fahrer gaben an, dass sie mit Bordsteinkanten kollidierten.“ Hindernisse, mit denen man sich umso eher verschätzt, wenn man nachts und/oder betrunken unterwegs ist. Wohl wegen der dicken Reifen geraten die Roller dagegen nicht in Straßenbahnschienen, die wiederum etliche der Rad- und E-Bike-Fahrer zu Fall brachten.
Der Notarzt fährt mit Helm – er kennt ja die drohenden Verletzungen
Meyer arbeitet seit sechs Jahren als Notarzt an der Uniklinik – etwa ebenso lang trägt er beim Radfahren Helm: „Ich sehe ja hier die Verletzungen.“ Als die E-Roller auftauchten, probierte er das neue Verkehrsmittel trotzdem unbekümmert ohne Helm aus. Erst als er sich an Autos vorbei durch die Straßen Berlins schlängelte, dämmerte ihm, wie riskant das ist.
Meyer ist 33, er weiß, dass Scooter spontan genutzt werden und die wenigsten einen Helm dabei haben. Er selbst fährt fast immer behelmt; und er hält eine Helmpflicht für E-Roller für ebenso sinnvoll wie Fahrsicherheitstrainings und mehr Kontrollen, um alkoholisierte Fahrer aus dem Verkehr zu ziehen. Er sagt aber auch: „Durch einen Ausbau von Radwegen, auf denen auch E-Scooter Platz hätten, könnte man die häufigsten Unfallursachen vermeiden.“