Gelsenkirchen. Freiverkäuflich und günstig: Ein bekanntes Mittel avanciert in der Gelsenkirchener Szene zum beliebten Rauschmittel. Darum ist es gefährlich.
Bunte Luftballons in Straßenrinnen an der Hagenstraße in Buer, auf dem Spielplatz Freiheit und in der Grünanlage rund ums Michaelshaus: Was auf Hinterlassenschaften eines Kindergeburtstags hindeutet, sind tatsächlich Verpackungsreste einer legalen Partydroge, die auch in Gelsenkirchen gerade Trend wird. Dabei ist der Konsum alles andere als harmlos. Es drohen schwere gesundheitliche Schäden.
Distickstoffmonoxid heißt das Rauschmittel, besser bekannt ist es unter dem Namen Lachgas. Viele Jahre etwa von Zahnärzten zur Betäubung eingesetzt, unterliegt es seit 2016 nicht mehr dem Arzneimittelgesetz. Damit ist es freiverkäuflich, etwa im Internet – oder vor Ort: in Kiosks und Supermärkten.
Kiosk an Kneipenmeile in Gelsenkirchen-Buer verkauft Lachgas in Flaschen
„Immer mehr“ Gelsenkirchener Trinkhallen-Betreiber böten Lachgas an, so Gerrit Mahn, Präventionsfachkraft in der Gelsenkirchener Drogenberatung. Genau beziffern lasse sich die Zahl zwar nicht, aber erhältlich seien die kleinen Druckgasflaschen in Kiosken in vielen Stadtteilen.
Nach Informationen dieser Redaktion werden sie etwa an der Hagenstraße in Buer ganz legal zum Preis von 25 Euro verkauft. Damit lassen sich mehr als 60 Luftballons befüllen, über die das Gas dann eingeatmet wird. Besonders stark nachgefragt ist es an den Wochenenden und donnerstagabends, wenn sich junge Kneipengänger dort treffen.
Auch in Gelsenkirchener Supermärkten gibt’s Lachgas-Kartuschen für ein paar Euro
Wie es heißt, gibt’s den Tipp, sich zum Konsum doch besser auf die Erde zu setzen, im Kiosk gratis dazu. Schließlich hat sich herumgesprochen, dass mit dem Rausch nicht nur ein Gefühl der Schwerelosigkeit und Euphorie, Kribbeln am ganzen Körper und verstärkte Sinneseindrücke verbunden sind. Es drohen auch Schwindel und Bewusstlosigkeit. Sprich: Die Konsumenten können stürzen und sich dabei womöglich verletzen.
Auch im Supermarkt gibt’s Lachgas für ein paar Euro: in metallenen Kartuschen, die für das Aufschlagen von Sprühsahne verkauft werden. „Da wird das Lachgas dann direkt aus der Kapsel inhaliert“, berichtet Mahn.
Gelsenkirchener Experte: Lachgas gilt zu Unrecht als völlig gefahrlos
Als Präventionsfachkraft verfolgt er das Thema schon länger aus professioneller Perspektive. „Nachdem in den Niederlanden um 2019 ein echter Lachgas-Hype ausgebrochen ist, wird vermehrt auch in Deutschland in sozialen Medien darüber berichtet.“ Wenn TikTok-Stars ihre Erfahrungen mit der Droge posteten, würden auch deutsche Jugendliche und junge Erwachsene neugierig, das Gas selbst einmal auszuprobieren, hätten Jugendliche bei Informationsveranstaltungen der Drogenberatung in Schulen erzählt.
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Dass das Lachgas so einfach zu bekommen ist, trage zur zunehmenden Beliebtheit sicher bei, meint Mahn. „Außerdem lässt es sich nicht nachweisen. Das macht es zusätzlich attraktiv.“ Nicht zuletzt gelte es wegen seiner Legalität als gefahrlos. „In den Niederlanden wurde es vor Clubs gar lange Zeit als gesunde Alternative zu Alkohol angeboten.“
Europäische Behörde: Zahl der Vergiftungen mit Lachgas hat leicht zugenommen
Seit Anfang 2023 freilich sind Besitz und Verkauf von Lachgas im Land der Coffeeshops verboten, außer für medizinische und technische Zwecke. Hintergrund war u.a. ein erheblicher Missbrauch, der sich etwa in schweren Verkehrsunfällen niederschlug, welche auf Lachgas-Konsum zurückzuführen waren und wie sie auch im Ruhrgebiet immer mal wieder bekanntwerden.
Auch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen (EMCDDA) hatte Ende 2022 auf einen „besorgniserregenden Trend zur Aufheiterung“ mittels Distickstoffmonoxid hingewiesen. Die Zahl der Personen, die Lachgas öfter, in größeren Mengen und über einen längeren Zeitraum konsumieren, sei in den vergangenen Jahren „signifikant“ angestiegen. Auch habe die Menge der in diesem Zusammenhang gemeldeten Vergiftungen in Europa leicht zugenommen.
Diese körperlichen Schäden können die Folge von Lachgas-Konsum sein
Vergiftungen sind nicht die einzige Gesundheitsgefahr, die von Lachgas-Inhalation ausgeht. Wie es von Experten heißt, riskieren die Konsumenten für den maximal einige Minuten andauernden Rausch nicht nur Orientierungslosigkeit, sondern auch langfristige Nervenschäden bis hin zu Querschnittslähmungen. Auch von einer Störung bei der Blutbildung wird berichtet.
Und in Gelsenkirchen? Die Polizei verzeichnet aktuell „keine Häufung“ von Einsätzen, die auf Lachgas zurückgehen, spricht aber von einem „leichten Anstieg“. Die Feuerwehr meldet Ähnliches, räumt aber ein: „Ab und zu werden wir schon alarmiert“, weil eine Person offensichtlich durch einen rauschmittelbedingten Sauerstoffmangel bewusstlos sei und Hilfe brauche, so Sprecher Manuel Schneider. Leere Luftballons deuteten dann auf Lachgas hin. „Vor ein, zwei Jahren gab es diese Fälle noch nicht.“ Die Betroffenen würden dann zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht.
Drogen-Experte Mahn ist sich unterdessen sicher: „Die Zahl der Lachgas-Konsumenten in Gelsenkirchen wird zunehmen. Wir stehen noch am Anfang dieses Trends.“ Als Einstiegsdroge wertet er das Mittel weniger, sieht aber die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit bei häufiger Nutzung. Und: In Kombination mit anderen Rauschmitteln könne die Wirkung schlimmstenfalls tödlich sein.