Essen. Fakten und Experten sprachen für Essen, der Bund hat die Mittel für das Fotoinstitut dennoch am Ruhrgebiet vorbeigelenkt. Eine Ursachenforschung.

Am Tag als im Haushaltsausschuss des Bundestages die Entscheidung fiel, dass das Deutsche Fotoinstitut nach jahrelanger Standortdebatte nun endgültig nach Düsseldorf kommen soll, war die internationale Fotowelt gerade bei der Kunstmesse „Paris Photo“ versammelt. Der „Aufschrei des Entsetzens“, von dem einige Teilnehmer der weltweit größten Fachmesse berichten, hätte eigentlich bis nach Berlin dringen müssen. Denn die Entscheidung, der Landeshauptstadt gegen den Rat von Experten den Vorzug zu geben und Essen trotz aller faktischen Vorzüge eine Absage zu erteilen, ist für viele Kenner schlicht nicht nachvollziehbar.

Doch die Würfel sind gefallen: Ein privater Verein mit Foto-Star Andreas Gursky an der Spitze wird nun seine Idee von einem deutschen Fotoinstitut mit millionenschwerer Unterstützung von Bund und Land realisieren. Und der Traum von einem großen „visuellen Gedächtnis der Republik“, wie es sich viele von einen Zentrum für das nationale Fotokunst-Erbe erhofft hatten, könnte nach Meinung von Fachleuten im Düsseldorfer Hofgarten damit endgültig begraben werden.

Expertengremium hat sich schon 2020 für Essen ausgesprochen

Die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte diese Idee geboren, ein hochkarätiges Expertengremium mit der Suche nach einem passenden Standort beauftragt und eine Machbarkeitsstudie veranlasst. Alle befragten Gremien hatten sich im Jahr 2020 für Essen als Standort ausgesprochen. Mit der Folkwang-Universität als eine der wichtigsten deutschen Ausbildungsstätten für Fotografie, dazu den bedeutenden und einzigartigen Fotosammlungen des Folkwang-Museums, des Ruhr-Museums und des Krupp-Archivs schien Essen die allerbesten Argumente zu haben für die Ansiedlung eines Bundesinstituts, das Vor- und Nachlässe bedeutender Fotografen aufnehmen und zur Restaurierung und Konservierung von Fotografien forschen soll, so die Planung. Auch die großen in Essen beheimateten Stiftungen wie die Krupp-Stiftung, die Mercator-, RAG- und die Brost-Stiftung hatten ihre Unterstützung signalisiert und dem Projekt damit zusätzlich Bedeutung gegeben.

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Aber es gab nun einmal einen Haushaltsbeschluss, der schon im Jahr 2019 Mittel für ein Fotoinstitut in Düsseldorf in Aussicht gestellt hatte. 41,5 Millionen sollte der Bund tragen, die andere Hälfte das Land. Insider behaupten, damals sei der Entscheid an der Kulturstaatsministerin Grütters vorbei lanciert worden, die eigentlich andere Pläne hatte. In einer ähnlichen Adhoc-Aktion wurde die für viele falsche Entscheidung von damals nun noch einmal bestätigt.

Sachliche Argumente scheinen bei der Entscheidung kaum eine Rolle gespielt zu haben

Nun sind Haushaltssitzungen keine geheime Kommandosache. Und doch sah sich in Berlin offenbar niemand bemüßigt, die Essener Akteure überhaupt noch einmal anzusprechen, geschweige denn vorzuwarnen, was da dräut. Zur bodenlosen Enttäuschung, dass Essen trotz der fachlich eindeutig größeren Expertise nun als Verlierer vom Platz geht, kommt für manche auch das ungute Gefühl, dass einmal mehr politische Hinterzimmermauschelei und keine sachlichen Argumente die Entscheidung herbeigeführt haben.

Manche nennen es eine Posse, was da im kleinen Kreis und von einflussreichen Strippenzieherinnen wie der medienpräsenten Düsseldorfer FDP-Politikerin und Verteidigungs-Fachfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann offenbar strategisch klug auf den Weg gebracht wurde. Von Seiten der Ruhrgebiets-Politik, die die Berliner Entscheidung jetzt bedauert, war nach Einschätzung einiger Berliner Beobachter im monatelangen Ringen um das Bundesinstitut für Fotografie indes wenig zu hören.

Die Energie, den 2019 gefassten Beschluss mit Hilfe der im Haushaltsausschuss zuständigen, aber meist fachfremden Parteikollegen noch einmal so aufzuschnüren und neu im Etat zu verankern, dass die Entscheidung am Ende doch zugunsten des Standorts Essen ausgegangen wäre, hat jedenfalls keiner aufgebracht. So wurde zuletzt abgenickt, was nun schon einmal auf den Weg gebracht war. „Ob CDU, SPD, FDP oder Grüne, ob in Bund und Land: Alle tragen Mitverantwortung, dass es nicht geklappt hat“, sagt der Essener Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat wenig Interesse am Thema Fotografie gezeigt

Breite Enttäuschung herrscht dabei auch über die amtierende grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die nach Meinung vieler Beobachter wenig bis gar kein Interesse an einer weiteren Debatte über das Fotoinstitut habe erkennen lassen und die Standort-Entscheidung ans Land NRW delegierte. Dort gab es offenbar auch wenig Ambitionen, die Standortfrage weiter offen zu lassen und am Ende vielleicht noch eine Tandem-Lösung zu ermöglichen, indem man keine konkrete Stadt, sondern nur das Land NRW im Beschluss des Haushaltsausschusses festgeschrieben hätte.

Manchen dürfte das lange Gerangel ohnehin ermüdet haben, andere wie Grünen-Ministerin Mona Neubaur werden vermutlich nichts gegen ein weiteres Prestigeprojekt im Düsseldorfer Wahlkreis haben. Welchen Einfluss die neue Kultur- und Wissenschaftsministerin Ina Brandes noch im Entscheidungsprozess gehabt hat, bleibt unklar. Mehr als die matte Bemerkung, das Fotozentrum immerhin nach NRW geholt zu haben, war von der Dortmunder Ministerin am Ende auch nicht zu vernehmen.

„Summer Academy“ auf Zollverein gilt als Scheinkompensation

Außer dem Wissen, „gekämpft zu haben“, wie Oberbürgermeister Thomas Kufen betont, bleibt den Essenern nicht viel. Dass auf Zollverein demnächst eine ominöse Summer-Academy mit Mitteln des Bundes ausgerichtet werden soll, darf wohl eher als Scheinkompensation gewertet werden und sorgt unter den Beteiligten für mehr Ratlosigkeit als Freude.

Dass der Zuschuss mit 1,5 Millionen Euro dabei genau der Summe entspricht, die Bund und Land nun auch noch mal fürs Fotozentrum drauflegen wollen, klingt vor allem nach dem Versuch, zumindest bei Außenstehenden den Anschein zu erwecken, da sei doch ein veritabler Ausgleich geschaffen worden. Nur geht es dabei einmal um ein Institut mit internationaler Strahlkraft und hinter dem anderen steht kaum mehr als eine bislang recht rätselhafte Veranstaltungs-Fata Morgana.

Und doch wollen sich die Essener Institute vom Berliner Beschluss nicht unterkriegen lassen. „Die Arbeit war nicht umsonst“, sagt Folkwang-Museumsdirektor Peter Gorschlüter. Das Zusammenrücken und die enge Kooperation der vier Institute sei ein Erfolg an sich, die Tatsache, dass nun beispielsweise die Restaurierung Teil der Folkwang-Ausbildung sei, ein konkreter Schritt. Natürlich werde man den Schwerpunkt Fotografie auch weiterhin verfolgen, „nicht als Abgrenzung zu Düsseldorf, sondern aus eigenem Interesse“, betont Gorschlüter.

Die Fotostadt Essen soll ihre Kompetenz weiter unter Beweis stellen

Welches Konzept am Rhein konkret verfolgt wird, weiß ohnehin noch niemand. Allgemeinen Vermutungen nach dürfte sich das Düsseldorfer Institut vor allem auf die technischen und künstlerischen Fragen der jüngeren deutschen Fotokunst konzentrieren, nicht unbedingt auf den Erhalt der analogen Fotografie, was zu den tragenden Säulen des Essener Konzeptes gehörte.

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Für OB Thomas Kufen gilt es diese Fragen nun schnellstmöglich zu klären, denn Essen sei und bleibe eine Foto-Stadt: „Wenn das NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft betont, dass es um ‚ein nationales Kompetenzzentrum für den Erhalt des fotografischen Kulturerbes‘ geht, dann sind damit doch die in Essen ansässigen Institutionen, das Historische Archiv Krupp, die Stiftung Ruhr Museum, die Folkwang Universität der Künste und das Museum Folkwang, gemeint“, betont Kufen. Mit dem Zentrum für Fotografie stünden die Foto-Kunst, Forschung und Lehre, Ausstellungen, Archiv und Restaurierung im Fokus. „Diese Stärken werden wir auch weiterhin unterstützen.“

Wie die finanzielle Förderung damit weitergeht und ob Essener Fachkompetenz in Düsseldorf irgendwann womöglich doch noch gefragt ist, steht in den Sternen. „Wir werden uns dem Dialog nicht verwehren“, sagt auch Folkwang-Museumschef Peter Gorschlüter, „aber uns stellen sich momentan mehr Fragen als je zuvor“.