Essen. Wenn nicht bald eine Standort-Entscheidung zwischen Essen und Düsseldorf fällt, könnte die Bundeseinrichtung für das fotografische Erbe scheitern
Es ist ein gutes Vierteljahrhundert her, da hätte es beinahe ein nationales Zentrum für Fotografie gegeben, das in Berlin hätte angesiedelt werden sollen. Gescheitert ist es damals am deutschen Föderalismus. Platter gesagt: an Eifersüchteleien zwischen Bundesländern, die einander nicht das Schwarze unterm Nagel gönnen. Im Zweifelsfall wurschteln alle lieber im Klein-Klein vor sich hin. Nun aber droht ein Fiasko, ein Scheitern an einem Karo, das noch eine Nummer kleiner ausfällt und den provinziellen Irrsinn noch einmal potenziert: Es könnte sein, dass das deutsche Foto-Institut des Bundes, das seit drei Jahren wieder im Gespräch ist, an der Konkurrenz zwischen zwei Städten scheitert: Essen und Düsseldorf.
In Essen ergab eine Podiumsdiskussion auf Zeche Zollverein am Montagabend, dass die Fotografie „das Medium des Industriezeitalters“ ist und deshalb Zollverein so sehr der ideale Ort für ein Foto-Institut des Bundes sei, dass sich eher die Frage stelle, warum es eigentlich überhaupt woanders hinsollen könnte? Auf die Frage, was man brauche, um den Ball beim Foto-Institut des Bundes wieder ins Rollen zu bringen, antwortete Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen etwas hilflos: „Eine Entscheidung, möglichst schnell!“
„Düsseldorf und die Fotografie“
Am Morgen desselben Tages hatte das Presseamt der Stadt Düsseldorf seinen Bericht „Düsseldorf und die Fotografie“ an die halbe Welt verschickt, der auf 100 Seiten darlegt, dass die Fotografie zwar nicht in Düsseldorf erfunden wurde, aber seither dort im Grunde genommen ihre internationale Hauptstadt hat.
Das Feuer aus allen Rohren kommt nicht von ungefähr, denn es wird wohl an der neuen Landesregierung und der Besetzung ihres Kulturministeriums liegen, ob das Foto-Institut des Bundes überhaupt nach NRW kommt. Voraussetzung wäre wohl, dass sich Essen und Düsseldorf auf einen Kompromiss einigen. Ein runder Tisch bei der damaligen Kultur-Staatsministerin Monika Grütters scheiterte allerdings schon im vergangenen August an der Weigerung der Düsseldorfer, daran teilzunehmen. Ihnen war klar, dass die faktenorientierte Ministerin dem Plädoyer einer Experten-Jury und einer Machbarkeitsstudie folgen würde, die beide aus guten Gründen Essen als Standort empfohlen hatten.
Die Entstehung der Pläne auf zwei Gleisen
Aber warum ist die Lage überhaupt so verfahren? Es ist Politik. Im Sommer 2019 ergab ein Symposion des Kulturstaatsministeriums in Berlin, dass Deutschland einen zentralen Ort für die Aufbewahrung, Rettung und Erforschung von historischen Foto-Beständen und von Nachlässen bedeutender Fotografen dringend braucht – mit jedem Tag, erst recht mit jedem Jahr schreitet der Verfall ungeschützter, behandlungsbedürftiger Foto-Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts weiter voran. Und es braucht einen Ort für Nachlässe bedeutender Fotografen – inzwischen reagieren die wenigen Museen mit Fotografie-Expertise schon reserviert, wenn ihnen Nachlässe angeboten werden – weil deren Pflege angesichts von 1001 Foto-Technik extrem aufwendig ist und weil die Pflege von Nachlässen in Museen ja nur eine Aufgabe von sehr vielen anderen ist.
Das Bundesinstitut soll also kein neues Museum sein, sondern eine Einrichtung, die sich der materiellen und theoretischen Pflege des nationalen Foto-Erbes widmet, ähnlich wie es das Deutsche Literatur-Archiv in Marbach für die Kunst des geschriebenen Worts tut.
Andreas Gursky und Armin Laschet mit Thomas Geisel und Johannes Kahrs
Im Herbst 2019 aber gab der Haushaltsausschuss des Bundestages auf einer seiner berüchtigten Bereinigungssitzungen plötzlich 42 Millionen Euro für ein Foto-Institut in Düsseldorf frei. SPD-Parlamentarier um den Chef-Haushälter Johannes Kahrs wollten ihrem Genossen Thomas Geisel Schützenhilfe leisten, der damals um seinen OB-Posten kämpfte – und dass anderntags die Landesregierung ankündigte, diese Mittel verdoppeln zu wollen, kann als Bekenntnis des damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet zu jenem Fotografen gesehen werden, von dem das „Rhein II“-Foto hinter seinem Amts-Schreibtisch stammt: Andreas Gursky war damals besorgt um die Standards der digitalen Fotografie und ihrer Abzüge auf Papier. Das damalige Düsseldorfer Konzept für ein Foto-Institut bewertete eine vierköpfige Expertenjury, deren Rat Kulturstaatsministerin Grütters eingeholt hat, als erkennbar „interessengeleitet“.
Die Machbarkeitsstudie aus dem Frühjahr 2021 wiederum ergab, dass ein solches Archiv, in dem auch an der Geschichte der Fotografie und an Konservierungstechniken für althergebrachte Foto-Verfahren geforscht werden müsste, aus Platz- und aus Kompetenz-Gründen am besten in Essen stünde, zumal Düsseldorf einen zweiten Standort bräuchte und der dort ausgesuchte Standort von Extremhochwassern gefährdet wäre.
Günstigstenfalls, also in Essen, würde es 125 Millionen Euro kosten. Ob für dessen Finanzierung die 42 Millionen Euro aus dem Bundestag des Jahres 2019 überhaupt verwendet werden können, ob auch die neue Landesregierung noch zu Laschets Co-Finanzierungszusage steht, ob das Institut nicht doch in irgendeiner Weise sinnvoll auf zwei Standorte verteilt werden kann, auch wenn das dem Gedanken eines Zentrums widerspricht – all das sind Fragen, die von der Spitze des Kulturministeriums im neuen Kabinett Wüst dringend geklärt werden müssten. Sonst könnte es der neuen Bundes-Kulturbeauftragten Claudia Roth (Grüne) sehr leichtfallen, neue, ganz andere Prioritäten zu setzen. Und dann werden weiter Tag für Tag Foto-Schätze zum Teil unrettbar verrotten. Wie sie das schon seit dem letzten Scheitern eines Foto-Zentrums vor einem Vierteljahrhundert getan haben.