Essen. Der Standortstreit um das Bundes-Fotoinstitut geht weiter: Das Spitzengespräch blieb ohne Ergebnis. Was sich Essen nun von der Politik erhofft.
Bilder werden in der Politik sonst gerne genutzt, um Botschaften im Wahlkampf zu befördern. Die nächste Bundestagswahl indes könnte auch wegweisend für die Fotografie und ihren kostbaren Nachlässe sein. Nach dem jüngsten Spitzengespräch, zu dem Kulturstaatsministerin Monika Grütters am Montag noch einmal eine hochrangige Teilnehmerrunde nach Berlin geladen hatte, steht jedenfalls fest: Ein politischer Beschluss über den Standort des Bundesinstituts für Fotografie wird vor den Wahlen nicht mehr herbeizuführen sein. Bleibt nun die Hoffnung, dass die Rettung des Bildergedächtnisses der Republik auch der nächsten Bundesregierung ein Anliegen ist.
Auf einen echten Durchbruch hatte ohnehin kaum noch jemand gehofft. Erst recht nicht nach der kurzfristigen Gesprächs-Absage aus Düsseldorf, wo man seit Monaten gegen die prinzipiell schon längst getroffene Entscheidung für Essen als Standort agitiert. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen zeigt sich aber trotz des Affronts seines Düsseldorfer Amtskollegen Stephan Keller mit dem Ergebnis der Berliner Spitzenrunde sehr zufrieden. „Essen bleibt im Fokus der Entscheidung“, gibt sich Kufen überzeugt. Aus der hochkarätig besetzten Runde habe man noch einmal viel Zustimmung und Anerkennung für die große Tradition, Sachkompetenz und die hervorragende Konzentration von Einrichtungen in der Fotostadt Essen mitgenommen.
Bundesinstitut für Fotografie muss Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen werden
Auch interessant
Wichtig sei nun, dass die Gründung eines Bundesinstitut für Fotografie in die kommenden Koalitionsvereinbarungen aufgenommen werde, bestenfalls sogar Bestandteil des neuen Koalitionsvertrages sei, sagt Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter. „Andernfalls könnte es zu einer längeren Hängepartie kommen.“ Jede weitere Verschiebung wäre allerdings fatal für den Erhalt des visuellen Gedächtnisses der Republik. „Unabhängig vom Standort ist noch einmal deutlich geworden, dass wir ungeheuren Zeitdruck haben“, berichtet Kufen aus der Berliner Spitzenrunde. Etlichen bedeutsamen Fotonachlässen drohe der Verfall. „Da müssen wir jetzt Fakten schaffen.“
Im Grunde ist die Sache auch längst entschieden. Eine unabhängige Fachkommission und ein bundeseigenes Beratungsunternehmen haben sich in den vergangenen Monaten bereits für Essen und sein Welterbeareal Zollverein als Standort des neuen Bundesinstituts ausgesprochen. 2027, so die Planung, könnte die Einweihung sein. Der politische Wille ist da, das geeignete Grundstück gefunden, auch Gelder stehen bereit. Das Problem: Noch bevor überhaupt über die inhaltlichen Konzepte und baulichen Anforderungen eines Bundesinstituts für Fotografie gesprochen waren war, hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages 2019 41,5 Millionen Euro für den Standort Düsseldorf und den „Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e.V.“ um den Düsseldorfer Starfotografen Andreas Gursky bewilligt. Das Land NRW sagte dieselbe Summe noch einmal als Kofinanzierung zu.
Das „Marbach der Fotografie“ ist ein zentrales Grütters-Projekt
Gursky, dessen privater Vorstoß längst zum städtischen Anliegen geworden ist, pocht bis heute auf die Finanzzusage aus Düsseldorf und Berlin, von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters wiederum nichts wusste. Sie überließ die Frage nach dem geeigneten Standort einer Expertenrunde. Ergebnis ist die Pattsituation, die bis heute jedes Fortkommen blockiert und die Debatte über grundlegenden Fragen zur Bewahrung des Bildgedächtnisses zu einem verzwickten Städte-Streit hat werden lassen. Dabei, betont Peter Gorschlüter, gehe es ja gar nicht um den Konflikt „Essen gegen Düsseldorf“. „Es steht eine Privatinitiative gegen ein von der Bundesregierung initiiertes Bundesinstitut, für das Essen als Standort ermittelt wurde.“
Noch weiß niemand, wie sich die kommende Bundesregierung zusammensetzt und ob Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Amt bleibt. Das Bundesinstitut für Fotografie hätte eigentlich ein großer Wurf ihrer Amtszeit werden sollen, doch die von ihr herbeigeführten Expertenbeschlüsse übertrumpften am Ende keinen Haushaltsbeschluss. Sollte das „Marbach der Fotografie“ am Ende ein unvollendetes Projekt bleiben, wäre das auch eine folgenschwere Niederlage für die Fotografie.
Denn die Fragen von Restaurierung und Konservierung werden immer dringender. Essens Folkwang-Chef Peter Gorschlüter kann sich deshalb kaum vorstellen, dass die Debatte um ein Fotoinstitut, die längst bundesweite kulturpolitische Aufmerksamkeit erlangt hat, noch einmal ad acta gelegt werde. Zumal die in den Prozess eingebundenen Experten nach Gorschlüters Meinung fachlich „über jeden Zweifel erhaben“ sind. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine neue Bundesregierung den Prozess noch einmal von vorne aufrollt.“
„Essen hat fachlich die Nase vorn“
Sollten die Ergebnisse Bestand haben, bliebe die Frage, ob noch ausreichend Mittel für das Bundesinstitut bereitstehen, dessen Finanzvolumen mittlerweile auf 125 Millionen Euro gestiegen ist, und wann die Vergabe möglichst per Parlamentsbeschluss auf den Weg gebracht werden könnte. „Das Bundesinstitut Fotografie am Standort Essen ist leider noch nicht in trockenen Tüchern, sondern wir müssen unsere fraktionsübergreifenden Anstrengungen nach der Bundestagswahl weiter intensivieren und noch Hürden umschiffen“, weiß auch der Essener Grünen-Abgeordnete Kai Gehring.
Mittlerweile werde aber auch bundesweit immer deutlicher, dass alle fachlichen und infrastrukturellen Argumente für Essen als Standort sprechen, das beträfe nicht nur die große Fotografie-Traditionen und fachliche Expertise, sondern auch die „großartige Vernetzung und exzellente Einbettung in unsere Kunst- und Wissenschaftslandschaft“, betont Gehring: „Damit hat Essen fachlich die Nase vorne, bietet optimale Bedingungen – und darf daher nicht gegen regionale Interessen der Landeshauptstadt den Kürzeren ziehen. Dafür machen wir uns mit vereinten Kräften stark, vor der Bundestagswahl sind jedoch keine weiteren Entscheidungen zu erwarten.“
Ministerin ist zuversichtlich
Kulturstaatsministerin Monika Grütters zeigte sich nach dem Spitzengespräch in Berlin zuversichtlich. Der Runde Tisch habe das Vorhaben zur Gründung eines Bundesinstituts für Fotografie gestärkt. „Wir wollen vor allem die fachlichen Planungen voranbringen. In enger Abstimmung mit der nordrhein-westfälischen Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen werde ich mich daher dafür einsetzen, dass nach der Bundestagswahl zügig die Planungen für ein Bundesinstitut für Fotografie weiter vorangetrieben werden und der Deutsche Bundestag dafür die erforderlichen Mittel bereitstellt.“ Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller hatte die Teilnahme an der Runde kurzfristig abgesagt. Seine Kritik: Die Runde würde sich überwiegend aus Befürwortern des Standorts Essen zusammensetzen. Die Forderung nach einer Erweiterung der Runde hatte Grütters abgelehnt.
In Essen glaubt man jedenfalls weiterhin, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Die zuletzt nicht nur von politischer Seite ins Feld geführten Kompromisslösungen sieht man kritisch. Ein Bundesinstitut sei nun mal dazu da, Kompetenzen zu bündeln, sagt Folkwang-Chef Gorschlüter. Eine Teilung sei deshalb nicht klug und dem Steuerzahler schon angesichts weiter steigender Kosten kaum zu erklären.