Essen. Deutschlands Fotogedächtnis soll an die Ruhr. Experten sehen den Standort vor Düsseldorf. Entstehen könnte das nationale Institut auf Zollverein.

Essen soll das Fotogedächtnis des Landes werden. Wenn es nach dem Willen der Expertenkommission geht, die im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ein Konzept für die Einrichtung eines Bundesinstituts für Fotografie erstellt hat, dürfte die zentrale Einrichtung zur Sicherung des nationalen Fotokunst-Erbes im Ruhrgebiet entstehen. „Essen verfügt über beste Voraussetzungen für die Gründung eines Bundesinstituts für Fotografie“, hieß es gestern bei der Vorstellung des Expertenpapieres in Berlin.

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Von Martina Schürmannund Jens Dirksen

Oberbürgermeister Thomas Kufen vernahm die Empfehlung mit Freude: „Essen wäre als Standort für ein Deutsches Fotoinstitut ein sehr guter Standort. Mit den Institutionen Museum Folkwang, Ruhr Museum, der Krupp-Stiftung und der Folkwang Universität der Künste gibt es eine große Expertise und ein großes Know-how in Essen und natürlich bereits eine hervorragende Sammlung an Fotografien, unter anderem der Industriefotografie.“

Einhelliges Votum. Das nationale Fotogedächtnis soll an die Ruhr

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Das einhellige Votum der vier Spezialisten für Essen ist ein schwerer Dämpfer für Düsseldorf. Dort war man sich nach der Entscheidung im Haushaltsausschuss im November 2019 bereits sicher, Heimat des neuen deutschen Foto-Instituts zu werden. Dort sollen fotografische Bestände langfristig gesichert, Fragen der Restaurierung und Aufbewahrung geklärt, technologische Forschung betrieben und Kooperationen angestoßen werden. 41,5 Millionen Euro hatten die Abgeordneten in Berlin für das Projekt beschlossen. Die gleiche Summe wollten die Stadt Düsseldorf und das Land NRW noch einmal bereitstellen. Mit der Festlegung des geplanten Standorts im Hofgarten am Ehrenhof und einer vorgelegten Machbarkeitsstudie hatten die Düsseldorfer Fotozentrum-Fürsprecher um den Star-Fotografen Andreas Gursky und Mitstreiter Moritz Wegwerth damals schon Fakten geschaffen. Offenbar war der NRW-Deal aber ohne Absprache mit Kulturministerin Monika Grütters eingefädelt worden. Die zeigte sich von der Entscheidung samt Standort-Beschluss für Düsseldorf ebenso überrascht wie die von Grütters einberufene Expertenkommission; die nach mehrmonatiger Prüfung am Ende nun anders entschied.

Experten: Als Foto-Standort läuft Essen Düsseldorf den Rang ab

Für die Experten greift das Düsseldorfer Konzept zu kurz. Es konzentriere sich ausschließlich auf die aktuelle künstlerische Fotografie und auf die Weiterentwicklung neuer Technologien. Die formulierte Zielsetzung schränke die Arbeit der Einrichtung „auf den Erhalt von Kunstwerken einiger ausgewählter Fotografinnen und Fotografen ein“, heißt es. Das Kommission aber will die ganze Breite fotografischer Anwendungen und Funktionen seit der Erfindung berücksichtigt sehen. Vor allem der Nachlass herausragender, noch analog arbeitenden Fotografen soll gesichert werden. Das visuelle Gedächtnis der Republik, heißt es, sei sonst in Gefahr.

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Essen punktet nach Meinung der Experten nicht nur mit seiner langen Foto-Tradition. Die Stadt verfüge mit der weltberühmten Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang, dem Archiv des Ruhr Museums mit seinen über vier Millionen Negativen und dem historischen „Archiv Krupp“ schon jetzt über umfangreiche und einzigartige Sammlungen im Bereich der dokumentarischen und künstlerischen Fotografie seit dem 19. Jahrhundert. Dazu käme als vierter Partner die renomierten Folkwang-Universität der Künste, wo sowohl Praxis als auch Theorie und Geschichte der Fotografie seit Jahrzehnten gelehrt werden. „In diesem größeren Umfeld und darüber hinaus in NRW hat das Institut die besten Chancen, sich zu einem Leuchtturm für Fotografie zu entwickeln“, finden die Experten.

„Die besten Chancen, sich zu einem Leuchtturm für Fotografie zu entwickeln“

foto-zentrum- entscheidung für essen folgt dem sachverstandKulturstaatsministerin Monika Grütters nannte das Votum des Gremiums gestern „sehr nachvollziehbar“. Noch sei damit aber keine endgültige Entscheidung gefallen. Erst mit dem vorliegenden Konzept könne nun seriös über einen Standort entschieden werden. Dazu soll es in den kommenden Wochen mit der NRW-Landesregierung Gespräche geben. Ob Düsseldorf nun ganz aus dem Rennen ist, ließ NRW- Kulturstaatsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen gestern offen. Klar sei: Das Deutsche Fotoinstitut kommt nach NRW“, sagt Pfeiffer-Poensgen. Das sei „ein Beleg, wie künstlerisch breit, vielfältig und stark NRW im Bereich der Fotografie und Fotokunst aufgestellt ist.“ Noch unklar ist, wie die Komplementärfinanzierung nun für den Standort Essen gelingen könnte. Immerhin habe die NRW-Landesregierung unter Ministerpräsident Laschet mit dem Bundestagsbeschluss bereits eine Kofinanzierung in Aussicht gestellt und damit „das Projekt entscheidend vorangebracht“, ließ Grütters gestern wissen.

In Essen sieht man sich jedenfalls gut aufgestellt. Als favorisierter Standort eines möglichen Bundes-Fotozentrums gilt das Welterbe Zollverein. In direkter Nachbarschaft der Folkwang-Universität könnte das Institut entstehen. Möglich sei sowohl ein Neubau wie auch Bauen im Bestand, heißt es seitens der Stiftung Zollverein, Pläne seien bereits in Arbeit.

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DIE KOMMISSON

Zu den Mitgliedern der Expertenkommission gehören der Kurator Thomas Weski (Stiftung für Fotografie und Medienkunst), der Kunsthistoriker Thomas W. Gaehtgens, bis 2018 Leiter des Getty Research Institute, Los Angeles, die Fotohistorikerin Ute Eskildsen, langjährige Fotokuratorin am Museum Folkwang, und Katrin Pietsch, Spezialistin für Fotorestaurierung an der Universität von Amsterdam.