Duisburg-Beeck. Der 85-jährige Klarinetten-Virtuose und „King of Klezmer“ spielte in der Alten Brotfabrik in Beeck. Beginn einer Reihe über das jüdische Leben.

Die Klarinette scheint zu flüstern und zu schreien, sie summt, brummt und jubiliert. Wenn Giora Feidman auf seinem Instrument spielt, so glaubt man, eine menschliche Stimme zu hören. Tatsächlich hat der „King of Klezmer“ einmal gesagt, er sähe sich nicht als Musiker, sondern als Sänger.

Feidman hat schon häufiger in Duisburg gespielt. Doch dieses Mal trat er nicht in einem perfekten Konzertsaal oder einer Kirche auf, sondern in Beeck in der bis auf den letzten Platz gefüllten Alten Brotfabrik. Der Künstler Cyrus Overbeck hat in der ehemaligen Fabrik, die sein Ururgroßvater 1904 gegründet hat, sein Atelier. Anlass des Konzertes war der Beginn der Veranstaltungsreihe „Aspekte jüdischen Lebens im Duisburger Norden“.

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Entstanden sind Konzert und Reihe in einer engen Kooperation von Overbeck und dem Heimatverein Hamborn sowie weiteren Partnern. Oberbürgermeister Sören Link würdigte in seiner Begrüßung die Arbeit des Vereins als „hochwertige Heimatforschung“.

Ohrwürmer wurden bei dem Konzert in Duisburg zu Entdeckungsreisen

„Klezmer Virtuos“ heißt das Ensemble, mit dem der 85-jährige Klarinettist in Beeck auftrat. Virtuosen sind die Mitglieder dieser Formation mit Bassistin Nina Hacker, Saxophonist Andre Tsirlin, Hila Ofek (Harfe), und Konstantin Ischenko am Akkordeon sicherlich. Aber es ist nicht die technische Perfektion, die Giora Feidman so bekannt gemacht hat. Es sind eher Ausdruck und Emotionalität. Er scheint sich in jedes Stück hineinfallen zu lassen, als würde er die Melodie gerade erst entdecken.

Hila Ofek an der Harfe. Giora Feidmann trat mit dem Ensemble „Klezmer Virtous“ in der Alten Brotfabrik auf. Nach dem Konzert gab es Standing Ovations für die Musikerinnen und Musiker.
Hila Ofek an der Harfe. Giora Feidmann trat mit dem Ensemble „Klezmer Virtous“ in der Alten Brotfabrik auf. Nach dem Konzert gab es Standing Ovations für die Musikerinnen und Musiker. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Da wurden selbst Ohrwürmer wie „Donna Donna“ oder das unverwüstliche „Hava Nagila“ zu kleinen Entdeckungsreisen. Wie aus der Ferne schien dieses alte hebräische Volkslied herüber zu wehen, manchmal fast zerrissen zu wirken, um dann zu jubilieren.

Klezmer ist eine alte Volksmusik osteuropäischer Juden. An der weltweiten Wiederentdeckung und Neubelebung dieser Tradition hat Feidman einen großen Anteil. Speziell in Deutschland hat er diese Musik in den achtziger Jahren durch seine Mitarbeit an Peter Zadeks Inszenierung „Getto“ wieder ins Bewusstsein gebracht. Und wenn er Klezmer spielt, dann erzählt seine Klarinette von Schmerz und Trauer, von ausgelassenem Lachen und ekstatischen Tänzen. Diesen Kosmos an Gefühlen projizierte er auch in die Alte Brotfabrik.

Von der Klassik bis zum Jazz und Pop reicht Giora Feidmans musikalische Bandbreite

Feidman ist kein Klezmer-Traditionalist, sondern ein Musiker mit einer großen musikalischen Bandbreite. Von der Klassik zum Jazz, vom Pop bis hin zu muslimischer spiritueller Musik reicht sein Horizont.

Das Konzert in der Alten Brotfabrik in Duisburg-Beeck eröffnete das Festival „Aspekte jüdischen Lebens im Duisburger Norden“.
Das Konzert in der Alten Brotfabrik in Duisburg-Beeck eröffnete das Festival „Aspekte jüdischen Lebens im Duisburger Norden“. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Unüberhörbar ist die Liebe des in Buenos Aires geborenen Künstlers zum Tango, dem er einen eigenen Block widmete. Auch hier griff er verschiedene Traditionen auf und verband sie mit seiner eigenen Sprache: die Liedtradition eines Carlos Gardel mit „Por una cabeza, den getanzten Tango mit „El Choclo“ und den konzertanten Tango Nuevo von Astor Piazzolla mit dem „Libertango“.

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Wie sehr sich Feidman auf die Widersprüche einer Komposition einlassen kann, bewies er mit Gershwins „Summertime“. Er ließ hinter der Unbeschwertheit eines lauen Sommerabends das Gefühl einer unbestimmten Bedrohung aufscheinen.

Die Harfistin Hila Ofek überzeugte mit Leonard Cohens „Halleluja“

In der Brotfabrik saß Feidman inmitten seines Ensembles, wie der gut gelaunte, weise Großvater bei seiner Familie. Tatsächlich gehören Andre Tsirlin und Hila Ofek zu Feidmans Familie. Wie es sich für kluges Familienoberhaupt gehört, gab er seinen Kolleginnen und Kollegen reichlich Raum, sich zu entfalten. Mal federten Bass und Harfe im fordernden Rhythmus, dann umschmeichelte das Sopransaxophon die Melodie. Harfenistin Hila Ofek überzeugte unteren anderem mit solistischen Momenten in Leonard Cohens „Halleluja“. Mit musikalischer Energie und atemberaubender Technik schlug Ischenko bei einigen Solostücken in den Bann.

Ob jüdische Tradition, „Yesterday“ von den Beatles oder das Wiegenlied von Johannes Brahms - Giora Feidman und „Klezmer Virtuos“ loteten die Bandbreite des menschlichen Lebens aus. Verlust und Schmerz gehören dazu, aber mehr noch das Fest. Natürlich auch der offene Blick auf alle Kulturen und Nationalitäten, so kann man Feidmans musikalische Botschaft interpretieren.

Am Ende gab es Standing Ovations für eine große Musikerpersönlichkeit.

>>>> Die Reihe „Aspekte jüdischen Lebens im Duisburger Norden <<<<

Bis Mitte November dauert die Vortragsreihe „Aspekte jüdischen Lebens im Duisburger Norden zwischen Industrialisierung und bürgerlicher Gesellschaft“.

Die Vorträge schlagen einen Bogen vom Mittelalter über die jüdischen Bergleute bis hin zur heutigen Jüdischen Gemeinde. Alle Veranstaltungen finden in der Alten Brotfabrik statt.

Bei den Veranstaltungen gilt die 2G-Regel (Nur Geimpfte oder Genesende). Anmeldungen sind erforderlich beim Heimatverein Hamborn unter 0171 5375706