Duisburg. Eine Duisburgerin will als Einzelbewerberin zur Bundestagswahl antreten. Die Pandemie macht ihr das sehr schwer. Ein neues Gesetz soll helfen.

Sie fordert die großen Parteien heraus, will ihnen bei der Bundestagswahl das Direktmandat für den Duisburger Norden entreißen. Von seiner Herausforderin Marlies Barbara Lenz aus Laar dürfte der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD) jedoch noch nie gehört haben.

Die 61-Jährige ist eine parteilose Einzelkandidatin und muss zunächst dafür kämpfen, dass ihr Name überhaupt auf dem Stimmzettel steht. Um sich zur Wahl stellen zu dürfen, sammelt sie Unterschriften von Unterstützern; ebenso wie Kleinstparteien, die keine fünf Abgeordnete im Bundestag oder Landtag haben. In der Corona-Krise ist das eine besonders große Herausforderung.

Corona ist für kleine Parteien in Duisburg eine große Hürde „Die Politik hat den Kontakt zu den Menschen verloren“, beschreibt Marlies Lenz, warum sie den Duisburgern eine Alternative zu den Parteien anbieten möchte, und weshalb sie etwa auf dem Marktplatz ihrer Wahlheimat, in die sie 2019 aus Düsseldorf zog, um Unterschriften bittet und für sich wirbt. Denn sie ist davon überzeugt, dass viele Abgeordneten in Berlin nur noch an sich selbst dächten und sich nur für die Reichen und für Konzerne einsetzten. „Ich kenne die Nöte und Sorgen und die Unzufriedenheit der kleinen Frau“, sagt sie. Es sind auch ihre eigenen Sorgen.

Duisburgerin will sich besonders für Arbeitslose, Obdachlose und Kinder einsetzen

Als Check-in-Assistentin am Düsseldorfer Flughafen war sie monatelang in Kurzarbeit („ein hartes Leben“) und musste ihren kleinen Lohn bei der Arbeitsagentur aufstocken – nur war die im Lockdown geschlossen, wie auch Copyshops und Büchereien. So habe sie nirgendwo wichtige Dokumente für Anträge kopieren können und dadurch Probleme mit den Behörden gehabt. So wuchs bei ihr der Frust.

Und er wuchs weiter durch „die vielen Skandale“ in der Corona-Krise, durch Impfzentren ohne ausreichend Impfstoff, durch Politiker, die sich mit Maskenverkäufen die Taschen vollmachen oder durch den Gesundheitsminister, der mangelhafte Masken an Obdachlose und Behinderte ausgeben will. Zudem ärgert sie sich über die Grünen, die SPD und die CDU, die alle den Benzinpreis deutlich anheben wollen. Denn damit träfen sie arme Leute besonders hart, die – wie Lenz selbst – auf ihr Auto angewiesen sind.

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„Arbeitslose, Obdachlose oder auch unsere Kinder haben keine Stimme. Die will ich ihnen geben“, sagt Marlies Lenz. Sie sei ganz erschüttert, dass es die Politik selbst nach anderthalb Jahren Pandemie nicht geschafft habe, die Schulen zu einem sicheren Ort zu machen. Sie vermisst dort Luftfilter, und auch die Teststrategien seien viel zu spät gekommen. „Wir investieren viel zu wenig in unsere Zukunft, in unsere Kinder. Man hat sich in der Pandemie einfach nicht um sie gekümmert“, kritisiert die Mutter einer 24-jährigen Tochter.

All das mache sie „fuchsteufelswild“ und auch viele andere Menschen in Duisburg. Außerdem will die Hobbypolitikerin der SPD nicht verzeihen, dass sie Hartz IV einführte. Und als sie vor wenigen Jahren in Düsseldorf CDU-Mitglied wurde, hat die studierte Volkskundlerin auch mit den Christdemokraten schlechte Erfahrungen gemacht. Das Parteibuch behielt sie daher nur kurz. Ja, „einen Denkzettel“ für die Parteien hält sie für überfällig – und fürchtet gleichzeitig, dass viele Protestwähler ihr Kreuz bei der AfD oder bei der Linken machen.

Geprägt von Diktaturerfahrungen in Rumänien

„Ich will eine Diktatur in Deutschland verhindern“, sagt Marlies Lenz, die bereits in einer Diktatur gelebt hat. Als gebürtige Siebenbürger Sachsin wuchs sie, wie sie erzählt, als Teil der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien auf, im neostalinistischen Regime von Nicolae Ceausescu. Als junge Frau wanderte sie schließlich nach Deutschland aus. Wegen ihrer Diktaturerfahrungen möchte sie sich bei der Bundestagswahl nicht nur als Alternative zu den etablierten Parteien anbieten, sondern auch zu Extremisten und Querdenkern – wie schon, erfolglos, bei der Kommunalwahl 2020.

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Ihre Chance, den Nord-Wahlkreis zu gewinnen, schätzt Marlies Lenz zwar genauso groß ein wie eine spontane Mondfahrt. Doch ein Misserfolg wiegt für sie leichter als die Reue, es gar nicht erst versucht zu haben.

Tatsächlich hat sie nach einer Gesetzesänderung plötzlich die erste Hürde schon genommen und kann mit dem Wahlkampf beginnen. Denn statt der regulären 200 Unterschriften aus dem Wahlkreis Duisburg II brauchen Einzelbewerber in der Corona-Pandemie neuerdings nur noch 50, um auf dem Stimmzettel zu stehen. Die hat sie schon zusammen. Jetzt will sie ihre Videobotschaften bei Youtube ausbauen, mit einer Handvoll Mitstreitern Plakate aufhängen, Flyer verteilen und am Wahlprogramm feilen.

>> SOZIALDEMOKRATEN WOLLEN BEIDE WAHLKREISE VERTEIDIGEN

● Den Wahlkreis 116 (Nord/Duissern) will Mahmut Özdemir (SPD) verteidigen, gegen ihn treten neben Marlies Lenz unter anderem Volker Mosblech (CDU) und der grüne NRW-Chef Felix Banaszak an. Den Wahlkreis 115 (Süd, Rheinhausen, Mitte ohne Duissern) wollen dagegen Thomas Mahlberg (CDU) und Lamya Kaddor (Grüne) der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) entreißen.

● Unterstützerunterschriften sammeln derzeit auch die Freien Wähler, deren kommunales Mitglied das Duisburger Wählerbündnis SGU ist. Sie treten im Wahlkreis 116, im Norden, mit dem Obermeidericher Unternehmer Mark Altenschmidt an und im Wahlkreis 115 mit Thyssen-Azubi Jan Luca Richter.

● Die Stadt Duisburg behandelt Einzel- wie Parteikandidaten später im Wahlkampf gleich, so ein Sprecher, indem sie allen einige Standorte für Wahlplakate gebührenfrei genehmigt.