Duisburg-Marxloh. Der Pädagoge Burak Yilmaz hat sich mit Muslimen aus dem Duisburger Norden auf Spurensuche jüdischer Geschichte begeben. Dabei entstand ein Film.

Ein Foto der brennenden Zwillingstürme hängte sich Burak Yilmaz nach dem Anschlag auf das World Trade Center in seinen Kinderzimmerschrank. Mit Weltpolitik hatte sich der damals 13-Jährige aus dem schönen Dichterviertel in Obermarxloh zuvor kaum beschäftigt. Doch der anschließende Hass auf Islamgläubige, auch in Duisburg, regte ihn sehr auf. Dank zahlreicher islamistischer Propagandavideos sah er nun in Amerika und dessen westlichen Alliierten den Feind. Erst ein gehöriges Donnerwetter seiner entsetzten Eltern ließen Yilmaz umdenken. Heute, gut 20 Jahre später, setzt er sich gegen Rassismus und Antisemitismus ein – und begab sich jetzt für ein Filmprojekt mit muslimischen Jugendlichen in Marxloh auf Spurensuche jüdischer Geschichte.

„Wir holen Auschwitz vor die Haustür“: Der freiberufliche Pädagoge Burak Yilmaz aus Duisburg setzt sich in seiner Heimat gegen Antisemitismus und Rassismus ein.
„Wir holen Auschwitz vor die Haustür“: Der freiberufliche Pädagoge Burak Yilmaz aus Duisburg setzt sich in seiner Heimat gegen Antisemitismus und Rassismus ein. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Insbesondere nach den Anschlägen der Al-Qaida hat Burak Yilmaz hautnah den Hass gegen Muslime erlebt und auch heute noch mache jeder Moslem in Duisburg eigene Erfahrungen mit Diskriminierung. „Aber hier gibt es auch Judenhass, und an Duisburger Schulen ist Antisemitismus weit verbreitet“, sagt der freiberufliche Pädagoge. Das sieht er jedoch nicht als Begleiterscheinung des Islams, „das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“. Dem begegnet er seit Jahren mit Gedenkstättenfahrten ins Konzentrationslager Auschwitz oder mit antirassistischen Theaterprojekten. Ein wichtiger Grund dafür: „Der Geschichtsunterricht erreicht Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht.“

Nazi-Schreckenstagen sind heute in Duisburg kaum noch bekannt

Da wegen Corona solche Gedenkstättenfahrten nicht möglich sind, will er jetzt in seiner Heimat verhindern, dass sich Minderheiten gegeneinander ausspielen. „Jüdische Menschen sind in Duisburg unsichtbar“, sagt Burak Yilmaz, doch seine Spurensuche soll sie und ihre Geschichte in Marxloh und in der restlichen Stadt sichtbar machen. Dies soll den Menschen auch den Perspektivwechsel ermöglichen. „Wir holen Auschwitz vor die Haustür.“ Sechs junge Muslime aus dem Duisburger Norden begleiten ihn, sie gehören zu seiner Theatergruppe Blickwandler. Dabei erfahren sie, dass der Holocaust nicht mit Konzentrationslagern angefangen hat, sondern mit Alltagsrassismus in der Nachbarschaft.

„Die Jugendlichen haben sehr viel Eigeninitiative gezeigt“, lobt der Pädagoge und Hobbyhistoriker. Sie wollten unbedingt wissen, was während des Nazi-Regimes in ihrer Heimatstadt geschah und wie präsent die Schreckenstaten heute noch sind. So zeigen alte Fotos und Dokumente, dass an der Weseler Straße, die heute die international bekannte Brautmodenmeile ist, viele jüdische Familien lebten und dass es dort viele jüdische Geschäfte gab. Darunter war auch das Kaufhaus Brandt & Co., das Erich Brandt gehörte. Kurz bevor der wütende Mob in der Pogromnacht am 11. November 1938 sein Geschäft und viele weitere Läden angezündet hatte, gelang Brandt und seiner Familie die Flucht nach Köln – jedoch vergebens, er starb später im Vernichtungslager in Kulmhof.

Die Spurensuche führte aber auch in die Innenstadt, zur Gedenkkapelle der verbrannten Synagoge an der Junckerstraße und zum Theaterplatz, wo ein Rabbiner öffentlichkeitswirksam misshandelt wurde. Wo nebenan, im Duisburger Hof, Reichspropagandaminister Joseph Goebbels später eine Rede hielt.

Junge Muslime wollen Marxlohs Geschichte bekannter machen

„Das passierte alles in der eigenen Stadt, nicht irgendwo weit weg in Polen“, betont Yilmaz und genau das habe die Jugendlichen motiviert, die Geschichten der Opfer bekannt zu machen. Deshalb besuchten die Projektteilnehmer die Läden und sprachen mit Inhabern und Mitarbeitern über die dortigen Verbrechen in der Nazi-Zeit. Wo beispielsweise Erich Brandt einst Herren- und Damenartikel, Teppiche und Gardinen verkaufte, ist heute das türkische Hochzeitsmoden-Geschäft Prestije – und dessen Vergangenheit war unter der Belegschaft bislang unbekannt.

Die Weseler Straße während des Nazi-Regimes (um 1936). Damals lebten noch viele jüdische Familien dort und führten zahlreiche Geschäfte.
Die Weseler Straße während des Nazi-Regimes (um 1936). Damals lebten noch viele jüdische Familien dort und führten zahlreiche Geschäfte. © Stadtarchiv Duisburg | Burak Yilmaz (Repro)

Das spornt die jungen Muslime geradezu an, auch nach den Dreharbeiten ihr Engagement fortzuführen. Diese historische Stadttour ist den sechs Teilnehmern nahe gegangen. Sie rief viel Leid und Wut hervor, „dass es überhaupt soweit kommen konnte“, wie der 21-jährige Emre am Schluss des Films erzählt. Die Teilnehmer wollen fortan Zivilcourage zeigen und sich einmischen, wenn sie „Antisemitismus, Sexismus oder Rassismus oder andere Diskriminierungsformen“ mitbekommen. Zudem wirbt Mitstreiterin Merve (22) dafür, dass gerade Minderheiten in Duisburg zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig angehen.

Projektleiter Burak Yilmaz: „Antisemitismus und Rassismus greifen die Demokratie an“

Projektleiter Burak Yilmaz ist ebenfalls davon überzeugt, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft mehr gefördert werden muss. „Antisemitismus und Rassismus müssen wir beide bekämpfen, denn sie alle greifen auch unsere Demokratie an.“ Außerdem betont er: „Soziale Probleme kann man nicht mit Rassismus lösen.“ So seien beispielsweise „die Roma, denen Zugänge zu Arbeit und Bildung fehlen, nicht schuld an den Problemen von Marxloh“. Vielmehr brauche es in Duisburg „mehr Teilhabe, dass alle Menschen gehört werden und für alle Zugänge zu Arbeit, Bildung und Demokratie“.

>> UNTERSTÜTZT VON DER LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG NRW

● Die Spurensuche jüdischer Geschichte in Duisburg wurde gefördert von der Landeszentrale für politische BildungNRW. Produziert wurde der Film zudem mit Unterstützung der Heja Medien Produktion GmbH, die Regie führten Anke Wolf-Graaf und Jarek Presnük.

● In einem zweiten Film setzen sich die Projektteilnehmer mit ihrer eigenen Identität, der Geschichte der türkischen und kurdischen Gastarbeiter und Duisburg als Heimat auseinander. „Duisburg ist eine Hochburg des türkischen Nationalismus, hier gibt es viele rechtsextreme türkische Gruppen“, weiß Burak Yilmaz. Dies sieht er natürlich auch als eine Quelle für aktuellen Rassismus und Antisemitismus. Jedoch würden viele Duisburger es sich zu einfach machen, wenn sie einzig Muslime für den wachsenden Judenhass verantwortlich machen.

Beide Filme sind auf Youtube zu finden auf: www.youtube.com/lzpbnrw