Obermarxloh. . Burak Yilmaz, der seine Kindheit im Dichterviertel verbrachte, mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Junger Mann voll Wut wird zum Versöhner.

Der Lehrer und Sozialwissenschaftler Burak Yilmaz (31 Jahre) wurde vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 4. Dezember mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Herausragende Verdienste bei der Erinnerungskultur, bei der gesellschaftlichen Integration junger muslimischer Männer, speziell im Rahmen des Programms „Junge Muslime in Auschwitz“, waren der Hauptgrund für diese Ehrung.

Beim Redaktionsbesuch vor Weihnachten sprach Yilmaz über den Weg, den er von der Kindheit und Jugend bis zur Ehrung im Schloss Bellvue zurückgelegt hat.

Geboren wurde Burak Yilmaz vor 31 Jahren als Sohn türkischer Eltern, die in Hamborn lebten. „Dichterviertel, das war damals Fußball im Innenhof“, sagt Yilmaz, „das war Leben draußen, Streiche, Sport und auch Gewalt.“

Eine Hamborner Jugend voller Diskriminierung und Ausgrenzung

Viel Armut habe im Stadtteil geherrscht. Nach außen habe man im Viertel aber zusammen gehalten: „Da gab es Konkurrenz zu den angrenzenden Vierteln. Wenn da provoziert wurde, hat man sich gerade gemacht.“

In der Hinsicht habe er, Sohn eines türkischen Ehepaares, sich nicht von Jungs aus der Nachbarschaft unterschieden. Schule, Fußball, Straßenleben. Und Schattenseiten: „Na klar gab es Rassismus und Diskriminierung gegen uns Türken“, sagt Yilmaz. Hunderte Beispiele könne er nennen. Seine Mutter habe immer wieder von dem „abgrundtief bösen“ Lehrer gesprochen, mutmaßlich einem Alt-Nazi, der bewusst die türkischen Kinder beleidigt und entmutigt habe: „Den Satz, dass ich es sowieso nicht packe, habe ich auch hundert Male gehört“, sagt Yilmaz.

Discobesuche, Polizeikontrollen, Fitnesscenter – überall sei er als Türkischstämmiger schlecht behandelt worden: „Ständige Diskrimninierung, Ausgrenzung. Du wirst aggressiv. Klar habe ich auch mal zugeschlagen.“

Ausgrenzung, auf die auch Familie Yilmaz mit Abgrenzung reagiert habe. Konservativer sunnitischer Islam als Anker, als gesellschaftliches Leitbild, Besuch der Koranschule inklusive. Neben der Bereitschaft zu physischer Gewalt habe sich auch bei ihm als jungem Mann ein krudes Weltbild entwickelt: „Der Westen war per se schlecht, die Juden waren die „Strippenzieher“ des Westens und für alles Böse verantwortlich.“ Eine Sicht, wie Burak sagt, die von seiner damaligen Koranschule aktiv unterstützt wurde: „Da wurden und werden genau diese Vorurteile zementiert“, sagt Burak, „Duisburg ist außerhalb der Türkei „die“ europäische Hochburg für türkische Rechtsextreme, das muss man sich klar machen.“

Was, aber, machte den wütenden jungen Mann, der den „Westen“ und die Juden hasste, zum Streiter für Demokratie, Toleranz und das jüdische Volk? „Es waren einige hervorragende Lehrer“, sagt Burak Yilmaz lächelnd, speziell aber ein richtig geiler Geschichtslehrer auf dem Abtei-Gymnasium.“ Der habe einen spannenden, packenden, fordernden Unterricht gemacht, der die Schüler einbezogen habe und zur Reflektion zwang: „Dann fängt man an zu überlegen.“ Weiter gegangen sei es mit Franz Kafkas Werken im Deutschunterricht, mit Goethes Werther: „Du liest das und es ist wie ein Schlag, der dich niederstreckt: Mensch, die fühlen ja genau dasselbe wie du!“

In der Bezirksbibliothek die Weltliteratur für sich entdeckt

So arbeitete sich der Junge, der maximal eine Gesamtschul-Empfehlung hatte, an die Geschichte des Holocaust, an die – oft jüdischen – Klassiker der Weltliteratur heran: „Das prägt dann und führt dazu, die Vorurteile abzulegen.“ In dem Zusammenhang, sagt Burak, sei es ihm wichtig, eine Lanze für die in Duisburg ja arg unter Druck stehenden Bezirksbibliotheken zu brechen: „Ich habe viel Zeit dort verbracht. Erst die Stadtteil-Bibliothek hat es mir ermöglicht, den Weg zum selbstständigen Denken zu finden. Eine Integrations- und Teilhabe-Fabrik.“

Burak Yilmaz fährt nun seit Jahren einmal im Jahr mit jungen Muslimen in das größte Mord- und Völker-Vernichtungslager, das je von Menschenhand erschaffen wurde. Auschwitz, die irrsinnige Mord-Fabrik des deutschen NSDAP-Regimes.

Yilmaz’ Motivation: Die selbst erfahrene Diskriminierung in positive Energie umwandeln, um Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen.

Junge Duisburger Muslime, die alle Juden und den Staat Israel hassen

Burak Yilmaz reicht es eben nicht, darüber zu sprechen, dass es auch in Duisburg immer mehr junge Muslime gibt, die Juden allgemein und den Staat Israel im Besonderen hassen. Burak Yilmaz tut etwas dagegen. Gemeinsam mit dem Team des Vereins Jungs e.V., der im Jugendtreff Zitrone nachhaltig gegen Vorurteile und Ausgrenzung jeder Art arbeitet. Das Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“ bescherte Burak Yilmaz und seinen Mitstreitern im vergangenen Jahr überregionale Bekanntheit. Zwischen Bayern und Hamburg wurden die Sozialarbeiter und Lehrer aus dem Duisburger Norden zum „Best-Practice“-Beispiel.

ARD, ZDF, Süddeutsche Zeitung und FAZ berichteten über die Initiative der Obermarxloher Jugend-Begleiter. Wie aber bewegt man Junge Männer, die von Hass auf Juden und den Westen zerfressen sind, zur Teilnahme an solch einem Projekt: „Zum Beispiel, indem man mal grundsätzlich über die Rolle der Juden im osmanischen Reich spricht“, sagt Yilmaz, „die waren dort nämlich verhältnismäßig gut gestellt.“ Dies sei ein Hebel, ein Einstieg. Einer von vielen. Wichtig sei, die kruden Weltanschauungen nicht unwidersprochen zu lassen: „Schulen, Freunde, aufgeklärte Familienmitglieder, alle, die Einfluss haben, müssen da reingrätschen, müssen die Regeln dieser Gesellschaft klar machen.“

Workshops zur Vorbereitung folgt der Besuch des Vernichtungslagers

Burak Yilmaz und seine Mitstreiter „grätschen rein“. Mit Vorbereitungs-Workshops, den Auschwitz-Besuchen selbst und der anschließenden Aufarbeitung. „Nein“, sagt Yilmaz, „ungerührt habe Auschwitz niemanden gelassen: „Bei einem der letzten besuchen wurden wir unmittelbar anschließend von polnischen Nazis beschimpft und beleidigt“, sagt der Lehrer und Soziologe, „da stellte sich dann umso mehr eine tiefe Solidarität mit dem jüdischen Volk ein.“