Duisburg. Kritiker machen für viele Baumfällungen in Duisburg Stadtspitze und Groko verantwortlich. So halten OB Link und Dezernent Linne dagegen.
Im Interview über die umstrittene „Duisburger Baum-Politik“ beantworten Oberbürgermeister Sören Link und Stadtentwicklungsdezernent Martin Linne Fragen zu Fällungen und Nachpflanzungen, zu Abwägungen und Protesten, etwa an der Wedauer Straße. Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um Bäume auf privaten Grundstücken – um die abgeschaffte Baumschutzsatzung und die Inhalte einer neuen „Grünsatzung“ (>> zum zweiten Teil).
Herr Link, es fällt auf, wie heftig und emotional Bürgerinnen und Bürger in Duisburg Fällungen von Stadtbäumen kritisieren – und darum auch Sie. Warum?
Sören Link: So ist das als Oberbürgermeister: Man ist für Erfolge verantwortlich, und man muss auch zu Problemen Rede und Antwort stehen. Ich nehme das ernst und als große politische Herausforderung wahr. Klimaschutz ist aber mehr als Baumschutz. Ein Beispiel: Wir müssen der Wirtschaft helfen, CO₂-Emissionen zu reduzieren. Die 30 CO₂-intensivsten Industrieanlagen in Deutschland sind für acht Prozent aller CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich – und etliche dieser 30 stehen in Duisburg. 20,1 Millionen Tonnen wurden 2022 nur von diesen Duisburger Fabriken ausgestoßen.
Zurück zu den Bäumen. Kritiker nennen Sie auch mal „Säge-Sören“. Ärgert Sie das?
Link: Ich habe schon ganz andere Betitelungen ertragen. Ich beschäftige mich lieber mit Inhalten. Da scheue ich auch zu diesem Thema keine Diskussion.
Warum gab es in Duisburg in den vergangenen Jahren häufiger größere Konflikte wegen Fällungen?
Link: Ich komme nur auf zwei große Proteste: Mercatorstraße und Wedauer Straße. Wir hatten aber Dutzende größere Baumaßnahmen, für die Bäume gefällt werden mussten.
Kritik gab es an Fällungen an Kolonie-, an Friedrich-Wilhelm-Straße, am Dickelsbach, im Kantpark, ...
Link: Dort war der Protest nicht annähernd so groß. Wir sind hier in einem Spannungsfeld: Durch die gute Entwicklung der Stadtfinanzen gibt es wieder mehr Straßenbaumaßnahmen. Die sind notwendig. Ich muss als OB gute Bedingungen für alle Duisburgerinnen und Duisburger schaffen: Fahrradfahrer und Fußgänger, Bus- und Bahnfahrer und Autofahrer. Da kann es in Einzelfällen dazu kommen, dass ein Baum nicht erhalten werden kann.
In Duisburg: „Wir müssen rund 500 Straßenbäume pro Jahr fällen“
Martin Linne: Wir müssen rund 500 Straßenbäume pro Jahr fällen – etwa 80 Prozent sind krank oder gefährden die Verkehrssicherheit. Das sind 500 von knapp 51.000 Straßenbäumen! Die 500 ersetzen wir und pflanzen auch mehr. Das ist ein völlig normaler Austausch, den wir an vielen Stellen meines Erachtens aktivieren müssten, um den Bestand in einem vitalen Alter zu halten. Je älter die Bäume sind, desto anfälliger werden sie.
Das Bündnis Klimaentscheid Duisburg beklagt, Stadtspitze, -verwaltung und Ratsmehrheit aus SPD und CDU mangele es an Wertschätzung für alte Stadtbäume als natürliche Klimaanlagen. Die preiswerteste Lösung werde in Duisburg baumschonender Straßensanierung vorgezogen.
Link: Aus meiner Sicht trifft das nicht zu. Wir opfern keinen Baum leichtfertig, aber ich lasse auch politisch gewollte, sinnvolle Stadtentwicklung nicht an einem einzelnen Baum scheitern.
Linne: Diese Vorwürfe sind, mit Verlaub, dummes Zeug. Ein typisches Beispiel ist ein Baum mitten auf dem Gehweg an der Warbruckstraße auf der Emscherbrücke in Marxloh (siehe Bild unten, d. Red.). Ein Klassiker. An vielen Stellen stehen Bäume so. Die wurden in den 50ern, 60ern gepflanzt. Damals gab es nur 15, 20 Prozent der Fahrzeuge von heute. Dann wurden nachträglich Geh- und Radwege gebaut – jetzt stehen die Bäume mitten im Weg. Wie die 90-, 100-jährigen Platanen in der Neumühler Siedlung Bergmannsplatz. Welche Lösung gibt es denn, wenn dort gebaut werden muss, weil zum Beispiel Versorgungsleitungen verlegt werden müssen? Man kann Fußgängern, Rollstuhl-, Rollator-Nutzern nicht zumuten, auf die Fahrbahn auszuweichen. Dann bleiben oft nur Fällung und Ersatzpflanzung.
Link: Am Bergmannsplatz müssten eigentlich wir nach dem Alleenkonzept schrittweise alte Bäume wegnehmen und durch neue ersetzen. Wenn die alten Bäume eines Tages alle gleichzeitig wegmüssen, ist die ganze Siedlung straßenbaumlos. Das wäre fatal.
Fällungen an Wedauer Straße: „Von den direkt beteiligten Anliegern gab es keine Kritik“
Seit der Fällung von 28 Platanen an der Mercatorstraße 2015 während eines Bürgerbegehrens glauben Ihnen und der GroKo viele umweltbewusste Duisburger nicht mehr, dass Ihnen große Stadtbäume wichtig sind. Gegen die Fällung der 26 Platanen an der Wedauer Straße 2023 wurden 3000 Unterschriften gesammelt, es gab eine Menschenkette. Hätte man nicht eine Versammlung machen, besser kommunizieren können?
Linne: Eine Versammlung hätten wir gerne durchgeführt, aber das ging wegen der Corona-Pandemie nicht. Deswegen mussten wir die Anlieger-Beteiligung online machen. Und wir haben alle Anlieger angeschrieben. Sie hatten sechs Wochen Zeit, sie haben sich intensiv mit unseren Tiefbauexperten unterhalten. Aber: Von den direkt beteiligten Anliegern gab es keine Kritik. Mir ist allerdings deutlich geworden, dass wir die technischen Zwänge „unter“ der Straße für Öffentlichkeit und Politik noch deutlicher machen müssen.
Sie, Herr Linne, sollen laut Bündnis Klimaentscheid im Stadtentwicklungsausschuss gesagt haben, es sei möglich, die Platanen der Wedauer Straße zu erhalten, es sei der Stadt aber zu aufwendig, zu teuer.
Linne: Das ist so nicht richtig: Ich habe versucht, auszuführen, dass es unterschiedliche Planungen mit unterschiedlichen Kosten gibt, dass es aber entscheidend ist, dass alles technisch, funktional und gestalterisch zusammenpassen muss.
Hätte man die Platanen nicht mit der Alternativplanung der Straßenbauexperten von „Duksa Ingenieure“ (finanziert von der Duisburger Stiftung für Umwelt, Gesundheit und Soziales) retten können?
Link: Klimafreundliche Fernwärme für ganzen Stadtteil für wenige Platanen opfern?
Linne: Nein. Wir haben über- und unterirdisch sechs Alternativen geprüft. Es ging technisch nicht. Der Petitionsausschuss des Landtags hat das auch so nachvollzogen. Natürlich gibt es Kritik in einer Halbe-Millionen-Einwohner-Stadt. Und über eine Online-Petition hole ich Ihnen für fast jeden Zweck schnell 3000 Unterschriften. Wenn dann zur Fällung Aktivisten aus Augsburg und Saarbrücken anreisen, stellen sich mir schon Fragen.
Link: Die Abwägung im Fall der Wedauer Straße ist ein gutes Beispiel. Wir entwickeln „6 Seen Wedau“ sehr umweltfreundlich, schließen Fernwärme an. Um die neue Siedlung zu versorgen, braucht es eine ein Meter dicke, geradlinig verlaufende Hauptwasserleitung und eine Fernwärmeleitung unter der Wedauer Straße. Ich muss also abwägen: Will ich klimafreundliche Fernwärme für einen ganzen Stadtteil oder opfere ich das für einige wenige Bäume, die auch vor Ort mehr als ersetzt werden.
Linne: Mit „6 Seen Wedau“ entsteht auf einer fast baumfreien Bahnbrache (klimatologisch eine Katastrophe) ein neues Stadtquartier für über 3000 neue Wohnungen mit begrünten Dächern, Grünanlagen und Stadtparks. Da stehen im Endzustand 2500 Bäume und Großgehölze.
Begrünung des Portsmouthplatzes möglich?
Heftige Proteste gab es 2015 gegen die Fällung alter Platanen an der Mercatorstraße. Finden Sie das Ergebnis – die neue Mercatorstraße, das umgestaltete Bahnhofsumfeld – gut? Es wirkt sehr grau, der Bereich erwärmt sich schnell, es gibt kaum Schatten.
Linne: Das höre ich von vielen Menschen, wenn sie aus dem Hauptbahnhof kommen und auf dem Portsmouth-Platz stehen. Man muss aber daran erinnern: Darunter verläuft eine Autobahn, kein gewachsener Boden, da kann man leider keine Bäume pflanzen. Aber es ist gut, dass man nicht mehr auf die Autobahn sehen muss.
Link: Die alte Mercatorstraße sah schön aus, das bestreite ich nicht. Aber die Bäume, die neu gepflanzt wurden, müssen sich erstmal entwickeln. Man muss dem Ganzen Zeit geben. Mercator- und Friedrich-Wilhelm-Straße wurden schön und zugleich funktional umgestaltet. Zum Portsmouthplatz: Vielleicht diskutieren wir bald nochmal über Möglichkeiten der Begrünung. Neue Chancen bietet der Meiderich-Hamborner A59-Tunnel, für den wir kämpfen, um die vom Bund gewünschte Hochtrasse mit ihren negativen Folgen zu verhindern. Auch über diesem Tunnel werden sehr große Bäume zwar nicht möglich sein, aber wahrscheinlich kleinere Bäume, Grünflächen und Gehölze, dazu ein Radweg.
Warum können Stadt und Wirtschaftsbetriebe nicht angeben, wie viele Straßenbäume gefällt werden? Warum wird das nicht wie in Düsseldorf und Essen gezählt?
Link: Vor zehn Jahren gab es die Debatte noch nicht, wir hatten weniger Geld, weniger Mitarbeiter mit anderen Prioritäten. Wir werden das aber ab der nächsten Pflanzperiode 2023 sauber bilanzieren – auch um zu dokumentieren, dass der Bestand wächst. Wir hatten 2019 für die Vorlage zu Klimaschutzmaßnahmen der Stadt nachgezählt, dass wir 2009 noch 49.151 Straßenbäume hatten – zehn Jahre später 51.280. Im selben Zeitraum sind 70 Hektar Grünflächen dazu gekommen.
Martin Linne: „Leider werden Erfolge oft vergessen“
Linne: Leider werden Erfolge oft vergessen: Landschaftspark, Rheinpark, der Grüngürtel in Bruckhausen. Jetzt machen wir viele neue Grünflächen in Wedau-Süd, einen Neun-Hektar-Park auf den Duisburger Dünen, den zweiten Abschnitt des Rheinparks. Und weniger beachtete Pflanzungen wie an der Querspange Hamborn/Walsum: Da stehen in sechs Reihen 220 Bäume an der Straße, im Gewerbegebiet nochmal 90. Das sind 310 neue Bäume auf einer alten Bergwerksfläche. Oder: 2017 wurden in Wehofen 16.000 Bäume und Sträucher gepflanzt – da wächst ein ganzer Wald. Wo‘s geht, pflanzen wir.
Um den ökologischen Wert einer 100-jährigen Buche zu ersetzen, müssten 2500 junge Bäume auf zwei Fußballfeldern gepflanzt werden, rechnet eine Baumschule aus dem Rheinland vor. Die Stadt aber ersetzt jeden großen Straßenbaum nur mit einem neuen Baum, statistisch mit 1,3 Bäumen.
Linne: Nochmal: Entscheidend ist die langfristige Gesamtbetrachtung: Wenn ich an der Wedauer Straße 26 Bäume fälle – die vor Ort übrigens durch 37 neue ersetzt werden – kann ich trotzdem viel mehr für Wedaus Klimafreundlichkeit tun. Zu den Nachpflanzungen ein Rechenbeispiel: Wenn ich jedes Jahr ein Prozent der Straßenbäume fälle – im Schnitt 100 Jahre alte Exemplare –, und diese durch einjährige Setzlinge 1:1 ersetze, wäre die Gesamt-Ökoleistung des Straßenbaumbestandes ein Jahr darauf dieselbe wie ein Jahr zuvor. Alle anderen haben ja dann ein Jahr lang Biomasse zugelegt.
Die Gesamtleistung wäre noch besser, wenn man die alten Bäume erhielte.
Linne: Das versuchen wir ja. Und wir setzen meist größere Bäume, nicht einjährige Setzlinge nach.
Link: Und mehr als einen. Nur werden wir an den Straßen nicht so viele mehr pflanzen können, wie sich mancher wünscht, weil es etwa Brücken oder Leitungen gibt. Darum müssen wir andere Flächen begrünen: Platzanlagen und Brachflächen zum Beispiel.