Duisburg. Ein Jahr im Pandemiemodus zwischen Homeschooling und Test-Stress: Wie die Kinderheime in Duisburg gelernt haben, mit Corona zu leben.
Das erste Jahr mit derCorona-Pandemie war für die Duisburger Kinderheime eine besondere Herausforderung: Gesundheitsschutz, Homeschooling XXL, Belegungseinbrüche – anfangs fühlten sie sich bei der Organisation der Corona-Regeln sogar „komplett vergessen“.
Das hat sich inzwischen aber gelegt. Wen man unter den Leitern der Caritas-Kinderheime in Duisburg auch fragt: Gesundheits- und Jugendamt bekommen inzwischen Bestnoten in Sachen Kommunikation und Austausch. „Damit wir unsere Dienste aufrecht erhalten konnten, wurden uns sogar Pendelquarantänen genehmigt“, sagt Gunnar Brock vom St. Barbara Kinderheim - die Mitarbeiter durften für den Weg zur Arbeit das Haus verlassen. Umgekehrt hätten mobile Einsatztrupps Wege abgekürzt: Damit für einen Test nicht die Anreise für eine ganze Wohngruppe zum Theater am Marientor organisiert werden musste, kamen bei Bedarf Tester ins Haus.
Homeschooling mit dutzenden Kindern und schlechter Internetverbindung
Das Homeschooling stellte alle vor Herausforderungen. Im Kinderheim St. Josef standen pro Gruppe nur ein bis zwei Laptops zur Verfügung, berichtet Geschäftsführer Michael Hegemann. Schwierig sei auch die Internetverbindung gewesen. Insbesondere im Stammhaus mit den fast meterdicken Wänden und beim Zugriff von gleichzeitig 50 Kindern sei oft schnell Ende gewesen. Auch das Team musste sich komplett neu aufstellen, in der Regel sind in Schulzeiten vormittags alle Kinder außer Haus, plötzlich waren alle da und benötigten viel Hilfe.
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Die Herausforderungen des Homeschoolings waren auch im altehrwürdigen, aber wenig Wlan-freundlichen Schifferkinderheim enorm gewesen, ergänzt Leiterin Corinna Stanioch. Nicht jedes Kind habe an jeder Videokonferenz teilnehmen können. Der Wechselunterricht sei für die Kinder zwar besser, aber für die Mitarbeiter „war der logistische Aufwand riesig, alle Abläufe waren durcheinander“.
Mitarbeiter arbeiteten ohne Maskenschutz mit den Kindern
Aus pädagogischen Gründen und in Absprache mit dem Caritasverband und dem Landesjugendamt haben die Pädagogen in ihren Gruppen auf einen Mund-Nasen-Schutz verzichtet. Ein Risiko – aber am Ende „haben wir einfach Glück gehabt, wir sind weitgehend verschont geblieben“, sagt Hegemann vom St. Josef erleichtert. Zwei Mitarbeiter erkrankten in ihrem Urlaub an Corona, zwei Klienten während eines Besuchskontaktes, dabei wurden auch diese vorwiegend im Freien abgehalten.
Das St. Barbara Kinderheim stieg heftig in das Pandemie-Jahr ein: Gleich zu Anfang war ein Mitarbeiter infiziert und eine Wohngruppe musste geschlossen werden, weil nicht genug Personal da war. Die Verunsicherung sei groß gewesen, sagt Leiter Gunnar Brock.
Auch das Schifferkinderheim gehörte im April zu den ersten, die eine Quarantäne-Gruppe aufmachen mussten, nachdem ein Mitarbeiter erkrankt war. Seither habe es nur noch unbestätigte Verdachtsfälle gegeben. „Wir sind verdammt gut weggekommen“, sagt Leiterin Stanioch. Kurze Dienstausfälle gab es nur nach den Astrazeneca-Impfungen, aber da habe man sich drauf einstellen können.
Durch die Schnelltests könne man jetzt auch ganze Gruppen schnell durchtesten, auch PCR-Tests seien binnen eines Tages organisiert, „wir können umfänglich reagieren, seither ist die Stimmung im Haus deutlich besser“.
Die Auslastung der Heime brach im Sommer ein
Pandemiebedingt sei die Auslastung im St. Josef Kinderheim am Anfang von 94 auf 80 Prozent eingebrochen, Eltern holten teilweise in Absprache mit dem Jugendamt ihre Kinder aus Sorge vor Ansteckungen nach Hause, seit dem Sommer sei das Haus aber wieder voll.
Ähnliche Auslastungseinbrüche haben auch die anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beobachtet. „Wir haben es wirtschaftlich gemerkt“, sagt Gunnar Brock vom St. Barbara Kinderheim. „Die geringeren Belegungszahlen haben uns hart getroffen.“ Seit Herbst habe sich die Belegung wieder verbessert. Man habe gemerkt, dass Meldungen zum Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ausblieben, weil Schulen geschlossen waren, Sporttraining ausfiel und so die Beobachter fehlten, ergänzt Stanioch.
Vom Belegungseinbruch verschont blieb lediglich die Mutter-Kind-Einrichtung Irmgardishaus - zum einen wegen der langen Verweildauer: Manche junge Mutter bleibt mit ihrem Baby mehrere Jahre. Zum anderen weil das Jugendamt sein Wächteramt auch in der Pandemie sehr ernst genommen habe und gerade bei Säuglingen eher früher als später eine Unterbringung suchte, sagt die Leiterin Kirsten Trumpold.
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Zwei Drittel der Kolleginnen sei inzwischen geimpft, auch sie selbst, „das ist eine gute Beruhigung“, betont die Sozialpädagogin, „seither bin ich entspannter bei der Arbeit“. Gerade im Umgang mit den Kindern von 0 bis 3 Jahren sei Abstand kaum möglich, bei Gesprächen mit den jungen Müttern würden sie sich aber weiterhin mit einer FFP2-Maske schützen. Ungewiss sei bis heute, wie man mit den Kindern von Müttern umgeht, die an Covid-19 erkrankten. Es gebe keinen Platz, um alle zu isolieren, sagt Trumpold.
Was deutlich fehlte, war die Gelegenheit, Freundschaften zu knüpfen und sinnvolle Freizeitbeschäftigungen mit den Kleinkindern zu erlernen. Der Wohnungsmarkt habe sich noch mal deutlich verschlechtert, betont Trumpold - „es ist für unsere Frauen immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden“.
Emotionale Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Das Pandemiejahr sei für die Mitarbeiterinnen vor allem emotional herausfordernd gewesen: Im Irmgardishaus würden sie mit vielen Müttern und Kindern familienähnlich leben, die eigenen Kinder und Enkel könnten sie aber nicht treffen. Das bestätigt auch Stanioch vom Schifferkinderheim: Das ganze Jahr in einem familien-analogen System zu arbeiten und privat so isoliert zu sein, „das macht was mit einem“.
Einig sind sich alle im Lob auf ihre Mitarbeiter. Selbst jene mit Risikofaktoren seien geblieben und hätten gezeigt, dass sie eine starke Gemeinschaft sind, betont Hegemann vom St. Josef. Wenn auch eine auf Abstand: Die Kontakte zwischen den Gruppen, zu den Außenwohngruppen, sie fand nur telefonisch statt. Keine Begegnungen, keine Feste, „das war schon traurig“. Als Anerkennung für die Leistung der Mitarbeiter werde es vom Caritasverband eine Corona-Prämie geben.
Jugendhilfe will als systemrelevant gesehen werden
Alle Leiter der Jugendhilfe sind froh, dass sie in der Impfreihenfolge inzwischen auch früher berücksichtigt werden. Die Äußerungen von Familienminister Joachim Stamp, in der Kinder- und Jugendhilfe handele es sich nicht um vulnerable Gruppen, ärgert alle. Während Kindergärten schließen könnten, seien die Mitarbeiter rund um die Uhr verantwortlich, verdeutlicht Brock. Dadurch entstehe eine erhöhte Ansteckungsgefahr bei der Arbeit. „Wir fühlten uns vom Familienministerium nicht als systemrelevant wahrgenommen.“
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Auf die Frage nach Sorgen vor den Langzeitschäden der Pandemie nicken alle: Die Folgen von sozialer Isolation, familiärem Dauerstress und Ängsten würden die Kinderheime noch in den nächsten Jahren zu spüren bekommen. Die Mischung aus engen Wohnverhältnissen, wenig Erziehungs-Kompetenz, geringem Ideenreichtum im Umgang mit den Kindern könne Probleme befeuern.
Strategien gegen den Lagerkoller
Stress bereitete Corona vor allem bei den Größeren: „Es hakelt in den Übergangsgruppen, wo es um Schul- und Berufsabschlüsse geht, um die Verselbstständigung“, sagt Stanioch, dort befeuere Corona manche Ängste. Gegen gelegentlichen Lagerkoller machen sie „alles, was erlaubt ist“, berichtet Stanioch, gruppenweise führen Ausflüge - in den Wald. Und für die Vorfreude planen sie auch eine Ferienfreizeit –Plan B inklusive.
Zur Ablenkung besuchten Gruppen des St. Josef wochenweise ein Ferienhaus in der Eifel. Hilfreich waren auch Projekte wie die Gestaltung eines neuen Freizeitkellers, an dem sich alle Kinder beteiligt hätten. Auch der frisch sanierte Bolzplatz habe für Entspannung sorgen können.