Duisburg. Sabine Ritter ist Lehrerin im 30. Dienstjahr. Was sie im Corona-Jahr erlebte und was 2021 für Schüler und Lehrer besser werden muss.
Sabine Ritter ist eine Frau der Zahlen. Wenn in der Corona-Pandemie statt eines über Monate beobachteten Inzidenzwertes von 50 plötzlich 200 das neue Normal ist, dann macht sie das skeptisch. Und deshalb tat sie, was Mathematiklehrer so machen: Sie rechnete nach, wollte wissen: "Ist Schule ein sicherer Lernort?"
Die Lehrerin der Gesamtschule Duisburg-Süd schaute sich die demografischen Daten an und rechnete ergebnisoffen mit den öffentlich zugänglichen Infektionszahlen. Ihre Erkenntnis: "Es ist völlig egal, ob man 30 Schüler in eine Klasse steckt oder 30 willkürlich gewählte Leute von der Straße und sie sich die Hände waschen und regelmäßig lüften."
Mit anderen Worten: An Schulen ist das Risiko, sich zu infizieren, genau so groß wie überall.
Das persönliche Risiko im Schulbetrieb unter Pandemie-Bedingungen abwägen
Als 64-jährige Risikopatientin wäre es leicht gewesen, einfach die Kreide fallen zu lassen und nicht mehr zu unterrichten, "aber ich unterrichte unheimlich gern", sagt sie. Deshalb wollte sie ihr persönliches Risiko abwägen können, das ihrer Kollegen und Schüler.
Ihre Erkenntnisse ließ sie von Kollegen überprüfen, schickte schließlich alles an Medien und das Schulministerium. Für derartig geäußerte Kritik sei sie heute freier, "vor zehn Jahren hätte ich mich vermutlich nicht an die Öffentlichkeit gewandt", sagt Ritter.
Lehrerin fordert mehr Vertrauen in die Schulleiter
Die Entscheidung aus Düsseldorf, dass Solingen trotz der hohen Inzidenzwerte keinen Sonderweg gehen kann, sei eine "Machtdemonstration" gewesen, die manchen eingeschüchtert habe. In ihrer Zeit als Referendarin habe es noch den Maulkorberlass gegeben und Berufsverbot, wenn man auf Demos war - "dagegen haben wir demonstriert", erinnert sich Ritter.
Ist der Druck auf verbeamtete Lehrer groß?
Mit den Medien sprechen nur wenige Lehrer. Ritter kann es bei jüngeren Kollegen, die auf eine Karriere im Schuldienst setzen, verstehen. Andererseits sei gerade für diese Posten Rückgrat nötig, "und wenn man einmal Beamter ist, kann einem ja auch nicht mehr so viel passieren", findet sie. Mit dem Nachteil, dass mancher auch risikolos eine "sehr sehr ruhige Kugel" schieben kann.
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Schulministerin Gebauer möchte sie jedenfalls nicht begegnen, als Lehrer habe man sich nicht wertgeschätzt gefühlt in den vergangenen Monaten. Auch das Vertrauen gegenüber Schulleitern sei kaum spürbar gewesen. "Dabei gehen alle sehr sorgsam mit ihren Schulen um, das will doch keiner an die Wand fahren", ist Ritter sich sicher.
Bedingungen für die Schüler im Homeschooling höchst unterschiedlich
Schon beim ersten Lockdown im Frühling hielt sie engen Kontakt zu "ihren" Kindern, sie war Klassenlehrerin einer fünften Klasse und telefonierte alle ab. "Da merkte man schon, ob Lernen daheim überhaupt möglich ist, wenn die Hintergrundgeräusche lauter sind als in einer Klasse." Sprachhürden bei den Eltern, fehlende technische Ausstattung - all das habe die Schule im Nachhinein evaluiert, geguckt was gut und was schlecht lief, wer welche Unterstützung braucht oder besser aus dem homeschooling in die "study hall" genannte schulische Betreuung wechselt.
Aber auch die letzten Wochen 2020 hätten herausgefordert. "Unsere Schule war auf A- und B-Wochen eingestellt, nicht auf Distanzunterricht." Der Präsenzunterricht einerseits und die Versorgung der Schüler in Quarantäne andererseits habe sie zerrissen.
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Lernzielkontrollen zu entwerfen, passende Erklärvideos raussuchen, das sei nicht nur für die Älteren herausfordernd gewesen. Gut entwickelt habe sich der Austausch im Kollegium, das sich gegenseitig unter die Arme griff.
Die Maxime, dass nicht erbrachte Leistungen während des ersten Lockdowns nicht bewertet werden durften, sei für manche Schüler und deren Motivation "der Todesstoß" gewesen, "das sind ja auch nur Menschen", zeigt die 64-Jährige Verständnis. In diesem Schuljahr fließen nicht erbrachte Leistungen in die Noten ein. Und was tun mit einem Schüler, der keine Ahnung von Mathe hat, aber von daheim plötzlich fehlerfreie Aufgaben liefert?
Präsenzunterricht war furchtbar
An den Präsenzunterricht der letzten Wochen 2020 hat Ritter keine guten Erinnerungen. "Das war furchtbar, nur Frontalunterricht zu machen", erzählt sie. Der Timer schellte alle 20 Minuten, um zu lüften, die Kinder wurden ausdauernd zum Händewaschen animiert, Gruppenarbeit fiel komplett aus.
Ritter fühlte sich bedrängt, durch 30 Kinder im Raum, zwei Schüler an einem Ein-Meter-Tisch - "da mach ich ja draußen mit dem Hund größere Bögen um andere Menschen". Die FFP2-Maske blieb dauerhaft auf ihrem Gesicht - Trinken und Essen versagte sie sich.
Sie plädiert für eine Lösung mit A- und B-Wochen: Montags bis mittwochs die eine Hälfte, donnerstags und freitags die andere und in der nächsten Woche andersherum.
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Um den Schulbetrieb nach den Ferien optimal wieder anzufahren, wäre es außerdem gut, wenn es festinstallierte Beamer in allen Klassen geben würde, "dann könnte ich digitale Lösungen anschaulicher zeigen". Die Gesamtschule Süd könne aber auch punkten: "Wir haben ein Herz im Logo, das haben wir verinnerlicht, wir kümmern uns sehr."
Nach den Erfahrungen dieses Pandemie-Jahres: Gehen Sie nach den Weihnachtsferien wieder zur Schule? "Ja!", sagt Ritter und lacht, dass die Locken wippen. Ihre Schulleiterin sei flexibel genug, ihr wenn nötig Auszeiten zu ermöglichen. Und wenn sie nur noch vor der halben Klasse stehen würde, wäre das eine große Erleichterung.
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