Oberhausen/Iserlohn. Erzieher in Kitas können sich kostenlos auf Corona testen lassen, ihre Kolleginnen in der Kinder- und Jugendhilfe nicht. Nun regt sich Protest.

Sie sorgen sich Tag und Nacht um Kinder, deren Eltern sich nicht kümmern können – doch in der Pandemie fühlen sich viele Beschäftigte der Kinder- und Jugendhilfe im Stich gelassen. In einer von mittlerweile mehr als 9.000 Menschen unterschriebenen Online-Petition fordern sie kostenfreie Schnelltests, praxistauglichere Quarantäneregeln und schnellere Impfungen für Beschäftigte, die intensiv mit krisengebeutelten Familien arbeiten und in Wohngruppen direkte Bezugspersonen für Kinder sind.

Initiatorin der Petition ist Diana Velling. Die 43-jährige Diplom-Sozialarbeiterin leitet den stationären und pädagogischen Bereich des „Gemeinschaftsdienst e.V.“ in Iserlohn, der Familien Krisenhilfe bietet und Kinder in stationären Wohngruppen betreut. „Ich hatte hier weinende Kolleginnen im Büro sitzen, die sich wegen ihrer Arbeit Sorgen um ihre Angehörigen machen“, sagt Velling.

Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege erhöhen Druck auf Stamp

Was sie umtreibt: Bis heute werden in der Kinder- und Jugendhilfe die Kosten für Schnelltests nicht übernommen. Während sich Erzieher und Lehrende kostenfrei testen lassen können, gilt das etwa für Kollegen in Mutter-Kind-Wohngruppen nicht - obwohl ihr Kontakt zu den Kindern vergleichsweise intensiver ist. „Wenn getestet wird, müssen die Träger die Kosten selbst übernehmen. Da viele wie wir gemeinnützig sind, können sich viele Einrichtungen systematische Testungen gar nicht leisten“, erklärt Velling.

Auch Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, darunter etwa Caritas, Paritätischer und Diakonie, erhöhen nun in den Druck auf den zuständigen NRW-Familienminister Joachim Stamp. Der FDP-Politiker hatte die Forderung nach freiwilligen und kostenlosen Tests bislang abgelehnt. Schnelltests aber seien „dringend erforderlich, um den betroffenen Menschen die nötige Sicherheit zu geben“, heißt es in einem offenen Brief der Wohlfahrt. Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern würden längst die Kosten übernehmen.

Betreuer in Oberhausen musste tagelang mit Kindern allein in die Isolation

Harald Schwab ist Geschäftsführer der evangelischen Jugendhilfe in Oberhausen.
Harald Schwab ist Geschäftsführer der evangelischen Jugendhilfe in Oberhausen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Viele Mitarbeiter fühlen sich in der Pandemie regelrecht im Stich gelassen. „Die Erziehungshilfe ist ein kleiner Bereich, der völlig vergessen wurde,“ sagt Harald Schwab, Geschäftsführer der Evangelischen Jugendhilfe Oberhausen. Er macht das nicht nur an fehlenden Schnelltests fest. Starre Quarantäneregeln etwa brächten Wohngruppen für Kinder schnell in schwierige Situationen.

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Schwab musste in der ersten Corona-Welle selbst erfahren, wie schnell nahezu ein komplettes Team von Fachkräften ausfallen und der sorgsam gestrickte Schichtplan für eine 24-Stunden-Betreuung ins Kippen geraten kann: Wegen einer Infektion in einer Wohngruppe mussten acht Kinder und vier von fünf Fachkräften in Quarantäne. Die Betreuerinnen durften aber nicht mit den Kindern in die Isolation. Sie mussten nach Hause fahren und durften selbst symptomfrei nicht in der Wohngruppe arbeiten.

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Es blieb nur ein einzelner Mitarbeiter, der gerade aus dem Urlaub gekommen war. Er sei regelrecht in die Wohngruppe eingezogen, so Schwab, und war damit trotz Unterstützung von außen praktisch tagelang im Dienst. „Das entspricht sicher nicht dem Arbeitsschutzgesetz, aber anders hätten wir die Betreuung nicht stemmen können“, erklärt sich Schwab.

„Personalpuffer hat uns finanziell an den Rand des Abgrunds gebracht“

Der Chef der Evangelischen Jugendhilfe hat nach dieser Erfahrung eilig zusätzliche Fachkräfte eingestellt, um künftig einen Puffer zu haben. Das habe sich zwar inzwischen bewährt, so Schwab. „Der Personalpuffer hat uns finanziell aber auch an den Rand des Abgrunds gebracht.“ Denn die Mehrkosten musste die Jugendhilfe bei aller guten Zusammenarbeit mit der Kommune aus eigenen Mitteln stemmen.

Fälle wie dieser zeigten, dass landesweit einheitliche Regeln zur Kostenübernahme fehlten. Schnelltest etwa würden in seinem Betrieb bislang nicht eingesetzt, so Schwab, „weil uns das an die Grenze der finanziellen Möglichkeiten bringt“.

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Allein der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ist als Landesjugendamt für rund 500 stationäre und teilstationäre Einrichtungen zuständig, in der rund 22.000 Kinder und Jugendliche von 24.000 Fachkräften betreut werden. Dennoch will NRW weiter „anlassbezogen“ in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe testen, so das Familienministerium heißt. Sprich: immer dann, wenn es zu größeren Corona-Ausbrüchen kommt.

Ob sich auch Pädagogen der Kinder- und Jugendhilfe früher impfen lassen können, ist unklar

Diana Velling, Diplom-Sozialarbeiterin und Geschäftsleiterin des Vereins Gemeinschaftsdienst in  Iserlohn.
Diana Velling, Diplom-Sozialarbeiterin und Geschäftsleiterin des Vereins Gemeinschaftsdienst in Iserlohn. © Velling | Privat

Aus Sicht der Pädagogin Diana Velling ist das grob fahrlässig: „Die Kinder und Jugendlichen, die wir sehr engmaschig betreuen, können sich ja frei bewegen, gehen jetzt teilweise wieder zur Schule. Deswegen würden regelmäßige Tests nicht nur unseren Mitarbeitenden mehr Sicherheit geben.“ Coronainfektionen habe es in den vergangenen Monaten in „nahezu allen Einrichtungen“ gegeben, die sie mitverantwortet. Das stelle die Personalplanung in den Wohngruppen vor große Herausforderungen.

„Dass speziell zur Kinder- und Jugendhilfe keine Regelungen in der Coronaschutzverordnung enthalten sind, liegt daran, dass diese Hilfen auch weiterhin ohne Einschränkung und unter Beachtung der einschlägigen Hygieneregelungen durchgeführt werden“, begründet das Familienministerium seine Zurückhaltung. Zudem könnten allgemeine und für alle Einrichtungen geltende Konzepte kontraproduktiv sein, da die jeweils spezifische Situation in den Einrichtungen zu beachten sei, heißt es zur Begründung weiter.

Wie sehr in der Pädagogik offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird, zeigt auch die neue Impfverordnung, wonach in NRW Lehrer und Erzieherinnen künftig früher geimpft werden können. „Derzeit ist noch nicht eindeutig klar, ob mit den Erzieherinnen und Erziehern auch Pädagoginnen und Pädagogen in der (teil-)stationären Kinder- und Jugendhilfe gemeint sind“, schreibt der LVR.

Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) kritisiert, dass Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe außen vorgelassen würden. LWL-Direktor Matthias Löb sagt dazu: „Der geplanten Einordnung von Erzieher und Grundschullehrerinnen in die Impfkategorie 2 kann man nur absolut zustimmen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass hier auch die Mitarbeitenden in der stationären Kinder- und Jugendhilfe angemessen berücksichtigt worden wären.“

Diana Velling bringt es so auf den Punkt: „Unser Bereich hatte leider noch nie eine große Lobby.“