Bottrop. Die langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Bottrop ein. Ein starkes Zeichen in brisanter Zeit.
Judith Neuwald-Tasbach, langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen-Gladbeck-Bottrop, hat seit Donnerstagabend ihren Platz im Goldenen Buch der Stadt Bottrop. Als Macherin, stets offene Dialogpartnerin und treibende Kraft auch für den Neubau der Gelsenkirchener Synagoge habe sie sich für Bewahrung, Erhalt und Fortführung der jüdischen Kultur nicht nur in dieser Stadt, sondern auch im Ruhrgebiet und darüber hinaus verdient gemacht. So würdigt Oberbürgermeister Bernd Tischler die Frau, die 16 Jahre Vorsitzende der Kultusgemeinde war und seit 2001 das Engagement ihres Vaters Kurt Neuwald für jüdisches Leben im Ruhrgebiet fortführt.
Die Neuwalds, eine Gelsenkirchener Familie, von der einzelne Mitglieder die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und den Holocaust überlebten, die sich bewusst für ein Bleiben im Nachkriegsdeutschland entschieden hat. „Obwohl wir, vor allem mein Vater, den früheren Nazis auch danach fast überall begegenete, in die Augen schaute“, so Judith Neuwald-Tasbach nach dem offiziellen Akt im großen Ratsaal.
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Eine Seite vorher im Goldenen Buch entdeckt man die Eintragungen der inzwischen zurückgetretenen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und früherer Präses der Westfälischen Landeskirche sowie von Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, die anlässlich der bundsweiten Eröffnung der Interkulturellen Woche im vergangenen Sommer in Bottrop waren.
Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Bottrop erfolgt in schwieriger Zeit für die jüdischen Gemeinden
Jetzt also die Vertreterin der jüdischen Gemeinde. Zufall? Gibt es nicht, würden Glaubende sagen. Ein Datum gibt es schon, den 27. Januar als internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocaust. Der steht in diesem Jahr angesichts des brutalen Überfalls islamistischer Terroristen auf Israel im Oktober, des darauf folgenden, andauernden Kriegs in den palästinensischen Gebieten und eines nie gekannten Aufflammen von Antisemitismus hier zu Lande unter schlimmen Vorzeichen.
Beruhigen da die jüngsten großen Demonstrationen gegen Gewalt und Antisemitismus und Rassismus und für Demokratie und Grundgesetz nicht? „Ich sehe das auf jeden Fall als Erfolg, als Anfang und freue mich, dass sich die Forderung nach einem ,Nie wieder‘ schon einmal zeigt“, sagt Judith Neuwald-Tasbach. „Wir brauchen die Änderung des Verhaltens, an jedem Ort, sonst sehe ich eine große Gefahr für die Demokratie und dieser Antisemitismus, der ja aus vielen Richtungen kommt und auch importiert wurde, zerstört am Ende unsere Gesellschaft.“ Wenn ein Zusammenleben schon hier nicht funktionieren sollte, wo dann?
Sie wisse von Kindern, die mittlerweile in der Schule nicht mehr sagen, sie seien jüdisch, sondern evangelisch, und zwar weil sie Angst hätten und fragten: „Was haben wir getan, warum hassen uns alle so?“ Sie selbst sei übrigens inzwischen eine der ganz wenigen jüdischen Gemeindemitglieder, die sich traue, die traditionelle Gebetskapsel an den Türpfosten zu hängen, die beim Betreten des Hauses jeweils berührt wird. „Andere hängen die aus Angst inzwischen nach innen, was aber keinen Sinn ergibt.“
Neuwald-Tasbach erinnert sich an ihre Eltern und die wenigen jüdischen Deutschen, die nach 1945 im Ruhrgebiet geblieben sind oder vorsichtig zurückkamen. „Die Überlebenden von damals haben darauf gebaut, dass so etwas nicht mehr passiert, sondern ein Zusammenleben möglich ist.“ Als sie erzählt, wie eine junge Frau hinter ihr her rannte und sie beschimpfte, als sie aus der Synagoge in Gelsenkirchen kam, spürte sie den Hass und das dumpfe, mulmige Gefühl habe sich wieder einmal eingestellt. Wenn Judith Neuwald-Tasbach so etwas erzählt, klingt das nie larmoyant, eher klug analysierend, aber auch durch viele Vorfälle, Bedrohungen, Hassmitteilungen gestählt und trotz allem zuversichtlich – noch.
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Und wieder zitiert sie die Kinder und Jugendlichen, die nach jedem neuen antisemitischen, antijüdischen Vorfall sagen: „Wir wollen nicht wissen, wie es angefangen hat, wir wollen einfach nur wissen, wann es aufhört.“ Nach 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland.
Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus in der Martinskirche
Am offiziellen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust, am Samstag, 27. Januar, findet um 12 Uhr eine Gedenkveranstaltung in der Martinskirche am Pferdemarkt statt, gestaltet von beiden Kirchen, Stadt und engagierten gesellschaftlichen Gruppen in Bottrop.