Essen. Die Ausstellung über „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ in der Alten Synagoge Essen zeigt, was war. Sie wandert nach Dortmund und Wesel.

Selbstverständlich gibt es nicht erst seit 1700 Jahren Juden in Deutschland, auch wenn die römischen Provinzen nördlich der Alpen noch gar nicht so hießen. Der Exodus der Juden aus Palästina begann spätestens mit dem Jahr 70 unserer Zeitrechnung, als Jerusalem und der Tempel von den Römern zerstört wurde. Ein Drama, dessen Ende die Niederlage im letzten jüdisch-römischen Krieg markiert, der Bar-Kochba-Aufstand im Jahr 136 n.Chr. Juden strömten mit den allgegenwärtigen Militärtrossen in alle Provinzen des römischen Riesenreichs.

Als aber die Stadt Köln, damals noch Colonia Claudia Ara Agrippinensium oder kurz Colonia Agrippina geheißen, im Jahr 321 Kaiser Konstantin im fernen Rom bat, jüdische Bürger in die Stadtverwaltung und den Rat (Kurie, sagten die Römer) aufnehmen zu dürfen, kam ein Dokument zustande, das bis heute das älteste für jüdisches Leben auf deutschem Boden darstellt: Konstantin erließ ein Edikt, das die Aufnahme von Juden in die Räte der Provinzstädte regelte – und zwar für das gesamte römische Reich. Eine frühmittelalterliche Abschrift des Dekrets, die in der Apostolischen Bibliothek des Vatikan lagert, erwähnt gleich zu Beginn die Anfrage aus der Colonia am Rhein: „Die Kölner wollten vermögende Juden an der Finanzierung städtischer Aufgaben beteiligen“, weiß der Archäologe Thomas Otten, „das wiederum setzt voraus, dass schon vor 321 Generationen von Juden in Köln gelebt und gewirtschaftet haben müssen.“

„IUDAEA“-Fund im Essener Stadtteil Burgaltendorf

Ansonsten sind Belege für jüdisches Leben nördlich der Alpen aus der Spät-Antike sehr rar. Eine Lampe mit jüdischen Motiven aus Trier, eine weitere in Augsburg oder etwa ein Tellerstück, das 1992 im südlichen Essener Stadtteil Burgaltendorf gefunden wurde und die Graffito-Einritzung „IUDAEA“ aufweist, was letzten Silben vom Eigennamen einer jüdische Besitzerin gewesen sein könnten. „Wir können aber davon ausgehen“, sagt Thomas Otten, „dass es in in allen städtischen Zentren dieser Zeit jüdische Gemeinden gab.“

Eindeutige Hinweise auf jüdisches Leben hat man erst wieder aus dem hohen Mittelalter. In Köln etwa wird eine Synagoge errichtet, als Herz des jüdischen Viertels, dessen Grundmauern heute vor dem Kölner Rathaus freigelegt sind – 2025 soll dort das MiQua, das Jüdische Museum der Stadt eröffnet werden. Thomas Otten erarbeitet als dessen Leiter schon jetzt jüdische Geschichte in Deutschland. Er betont etwa, dass Kölns mittelalterliches Rathaus am Rand des jüdischen Viertels wie eine Verbindung zum christlichen errichtet wurde.

Tödliche Schatten – Juden werden zu Sündenböcken

Das spätere Mittelalter indes wirft erste tödliche Schatten auf das Leben von Juden in Deutschland – mit den Pest-Ausbrüchen beginnen Pogrome gegen Juden, sie werden zu Sündenböcken für die unerklärliche Epidemie, werden gerädert, verbrannt, gefoltert, ertränkt. In der Folge wird ihnen oft das Leben innerhalb von Stadtmauern verwehrt, das Landjudentum entsteht.

Solche weiten Blicke zurück wirft die Wander-Ausstellung „Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, die am Dienstagabend in der Alten Synagoge Essen eröffnet wurde und seit dem 9. März auch besichtigt werden kann – Anmeldungen sind telefonisch oder per E-Mail möglich.Telefon: 0201-8845218E-Mail:alte-synagoge@essen.de). Vier eher nüchtern anmutende Riesenwürfel bergen eine Menge Monitore und Touch-Screens, auf denen man sich mit Filmen und Grafiken auf die Reise in die Vergangenheit begeben kann – Magneten für jüngere Besucher.

„Meet a Jew“ wird hier ersetzt durch Interviews zum jüdischen Alltag

Die Ausstellung verschweigt nicht die Ungeheuerlichkeit des Völkermords an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland; aber sie macht den Holocaust nicht einmal zum Dreh- und Angelpunkt, sondern schildert hier und da die Fakten, die wie ein Schlag in der Magengrube landen.

Eigentlich geht es um das Leben der Juden hierzulande, das viele gar nicht kennen, weshalb ja der Zentralrat die Aktion „Meet a Jew“ organisiert hat: 300 Juden sind bereit, sich mit Nichtjuden zu treffen, damit die mal einen echten Juden kennenlernen können statt Klischees und Vorurteile zu hegen.

Jüdische Musik beginnt nicht erst bei Giora Feidman und hört mit Klezmer nicht auf

Man trifft aber auch in der Ausstellung junge, echte Juden von heute, die aus ihrem Alltag erzählen – in Video-Interviews, die klarstellen, dass nicht alle gläubigen Juden orthodox und nicht alle Juden gläubig sind, nicht alle nur koscher essen. Man erfährt, dass Klezmer bei weitem nicht die einzige jüdische Musik ist, die auch Hardrock- und Metal-Klänge kennt.

Es geht oft auch um Biografien, etwa die des jüdischen Bankiers und Mäzens Abraham von Oppenheim (1804-1878), der nicht nur den Neubau der Synagoge in der Glockengasse finanzierte, sondern bei der Fertigstellung des Kölner Doms auch dessen Fenster finanzierte – weshalb der Kölner Dombaumeister Zwirner auch die Pläne für die Synagoge lieferte.

Prächtige Synagogen im 19. Jahrhundert und später im Bauhaus-Stil

Auch der Synagogenbau ist ein sprechendes Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte. Nach der Vertreibung der Juden aus der Stadt von 1424 bauten die Kölner die Synagoge um, zur Rats-Kapelle „St. Maria in Jerusalem“. Im 19. Jahrhundert entstehen in Deutschland immer größere, schönere; mal im maurischen Stil, mal im romanischen, selten im neogotischen wie in Dortmund, später auch, wie Essen, im Jugendstil oder in Plauen in reinster, Bauhaus-Manier. 1400 von ihnen werden in der Pogromnacht vom 9. November 1938 zerstört. Heute gibt es wieder 101 in Deutschland.