Bottrop/Essen. 30 Jahre hat es gedauert und 5,5 Milliarden Euro gekostet, um die Emscher aus einer Kloake wieder zu einer Art Fluss zu machen. Und was jetzt?
Rechtzeitig vor Silvester war es so weit. Der letzte Abwasserkanal in die Emscher wurde angeschlossen an den neuen Abwasserkanal (AKE); die Emschergenossenschaft konnte das Gewässer nach 170 Jahren als Kloake des Ruhrgebietes abwasserfrei melden. Sauber ist sie aber immer noch nicht. Und nach dem Countdown ist für den Wasserverband vor dem Countdown.
Einmal tief Luft holen und den Meilenstein feiern
Einmal tief Luft holen und den Meilenstein feiern: Soviel Zeit musste sein zum Jahreswechsel, zumal einige Kanalbaumaßnahmen in Bottrop fast bis zum letzten Tag des Jahres gedauert haben. Aber jetzt ist es geschafft.
„Vermutlich konnten es sich einige Menschen bis zuletzt nicht wirklich vorstellen. Wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, kennt die Emscher nur als Abwasser führendes, schmutziges Gewässer. Sie hat uns in dieser Form ein Leben lang begleitet, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Dass die Zeiten des stark riechenden Flusses nun endgültig der Vergangenheit angehören, bedeutet für uns alle ein riesiger Schritt in die neue blau-grüne Zukunft der Region“, sagt Prof. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.
Das Auswaschen des Flussbetts kann ein Jahr dauern
Die Jubelzeile „Zum ersten Mal seit rund 170 Jahren ist der Fluss wieder sauber!“ stimmt allerdings nicht ganz, sagt auch Ilias Abawi, Sprecher der Emschergenossenschaft. Noch sitzt im Flussbett der Schmodder von 170 Jahren Industriekloake: „Unsere Experten schätzen, dass das Auswaschen bis zum Herbst vielleicht sogar ein Jahr dauern wird. Aber Untersuchungen haben auch ergeben, dass die Emschersohle nicht ausgekoffert werden muss.“
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Quell-, Grund- geklärtes Wasser aus der Bottroper Kläranlage sowie Regen fließen jetzt durch die Emscher. Noch ist der Pegel niedriger als im letzten Jahr, weil das Abwasser fehlt. Aber schon mit bloßem Auge ist sichtbar, wie viel sauberer der Fluss jetzt ist, sagt Ilias Abawi: „Ich habe die Emscher noch nie so hell gesehen. Ich konnte bis auf den Grund schauen. Und gerochen habe ich auch nichts mehr.“
Auch ohne Abwassereinleitung wird sich die Emscher schon noch mal eintrüben können, wenn nach starken Regenfällen der Regenwasserüberlauf am Klärwerk teilweise ungeklärtes Wasser in den Fluss überläuft. Aber das ist an der Ruhr und an anderen Flüssen auch so.
Nächste große Baustelle: der Hochwasserschutz
Jetzt pusten die Ingenieure des Wasserverbandes verdientermaßen einmal ganz tief durch. Und dann wenden sie sich der nächsten großen Baustelle zu: dem Hochwasserschutz, der auch bei den Plänen zur Renaturierung des Emschersystems eine große Rolle spielen wird. Im Frühjahr will der Abwasserverband seinen Mitgliedern seine Pläne vorstellen.
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„Wir werden die Emscherdeiche ausbauen und erhöhen“, kündigt Ilias Abawi an. Dabei ist der Hochwasserschutz schon üppig ausgelegt. Von Rechts wegen müssen die Deiche ausgelegt sein auf ein Jahrhunderthochwasser. „Unsere Anlagen sind sogar ausgelegt auf ein Hochwasser, wie es statistisch nur alle 200 Jahre vorkommt.“
Die Flutkatastrophe im Ahrtal und die Überflutungen an der Ruhr haben allerdings gezeigt, was solche Statistiken in Zeiten des Klimawandels wert sind, sagt Abawi: „Deshalb werden wir die Deiche trotzdem noch einmal erhöhen.“ Zusätzliche Sensoren in den Bächen sollen dafür sorgen, dass der Wasserverband „deutlich mehr und schnellere Meldungen aus den Nebengewässern“ bekommt, wenn dort das Wasser steigt.
2027 soll die Renaturierung abgeschlossen ein
Dann richten die Experten ihren Blick auf die nächste Deadline: 2027, so will es die EU, soll die Renaturierung des Emschersystems abgeschlossen sein. Abawi: „Nun geht es in die Phase der naturnahen Umgestaltung: Die Betonsohlschalen werden entfernt, die Böschungen flacher und vielseitiger gestaltet. Dort, wo der Platz es zulässt, erhalten die einst technisch begradigten Flüsse wieder einen kurvenreicheren Verlauf.“ Auch das übrigens ist ein Beitrag zum Hochwasserschutz: So bekommen die Bäche Platz zum Überlaufen wie etwa am Boye-Oberlauf in Kirchhellen.
Wann die Emscher in Bottrop aus ihrem Betonbett befreit wird, hängt davon ab, nach welchem Plan die Ingenieure weitermachen: von Ost nach West, also von der Quelle zur Mündung, oder nach dem Prinzip „von außen nach innen“, also erst die Nebenflüsse, dann die Emscher selbst. Ein Stück Betonschale in Bottrop wird aber bleiben: Auf den letzten Metern vor der Mündung in die Emscher soll es an der Berne als Denkmal erinnern an die Zeit der „Köttelbecken“.
Der Emscher-Umbau
Die Emschergenossenschaft hat in den Umbau des Emschersystems seit 1992 rund 5,5 Milliarden Euro investiert. Verlegt wurden unterirdische Kanäle mit einer Gesamtlänge von 430 Kilometern, rund 150 Kilometer an Gewässern wurden bereits renaturiert.
Die Artenvielfalt an der Emscher hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten durch den Emscher-Umbau verdreifacht.
Heimisch geworden sind Eisvögel, Libellen, Stelzen und die Emschergroppe, die in Kirchhellen im Boye-Oberlauf die 170 Jahre „Köttelbecke“ überlebt hat. Dort haben inzwischen auch Kiebitze eine neue Heimat gefunden.