Bottrop. Die Emschergenossenschaft eröffnet weltgrößte solarthermische Klärschlammtrocknung. Die Anlage produziert so viel Energie, wie sie verbraucht.
Seit 30 Jahren arbeitet die Emschergenossenschaft (EG) an der Herkulesaufgabe, das Emschersystem aus einer Ansammlung von „Köttelbecken“ wieder in natürliche Flusslandschaften zu verwandeln. 5,5 Milliarden Euro nimmt sie dafür in die Hand. Nicht ganz so alt ist der Slogan: „Das Klärwerk wird zum Kraftwerk.“ Aber beides wird in diesem Jahr Realität: Der Abwasserkanal Emscher (AKE) wird komplett in Betrieb genommen. Und in der Kläranlage in der Welheimer Mark wird die Energiewende geschafft. Mit einem Weltrekord.
Am Freitag hat die Emschergenossenschaft die weltweit größte solarthermische Klätschlammtrocknungsanlage in Betrieb genommen und darf sich jetzt Deutschlands erste energieautarke Großkläranlage nennen. Energieautark meint: Im Klärwerk wird ebenso viel Energie erzeugt wie verbraucht.
Abwasserbehandlung ist ein Stromfresser
Denn eine konventionelle Großkläranlage ist ein Stromfresser. Die Kläranlage in der Welheimer Mark, eine der größten in Deutschland, würde pro Tag soviel Strom verbrauchen wie ganz Kirchhellen an einem trüben Wintertag. Würde. Wenn der EG-Vorstand nicht schon vor 13 Jahren mit dem Gegensteuern begonnen hätte. „Hier beweisen wir, dass die Wasserwirtschaft einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leisten kann“, sagt Vorstandsvorsitzender Uli Paetzel.
Ein Mann hat aus Paetzels Sicht entscheidend dazu beigetragen, dass die EG 13 Jahre lang den Weg zur Energieautarkie eingeschlagen und beibehalten hat: der technische Vorstand Emanuel Grün. Paetzel: „Er hatte die Vision. Er hat uns getrieben, uns angefeuert, immer wieder mit Zuckerbrot und Peitsche.“
Einsparung von 70.000 Tonnen CO2 pro Jahr
Am Ende kann die EG jetzt nicht nur Energieautarkie melden, sondern auch die Einsparung von bis zu 70.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Vier weitere Bausteine neben der Klärschlammtrocknung haben seit 2016 dazu beigetragen: das Windrad am Sturmshof mit einer Leistung von 3,1 Megawatt, vier Blockheizkraftwerke, die aus Klärgas jeweils etwa 1,2 Megawatt Energie erzeugen, Fotovoltaik auf 500 Quadratmetern Dachfläche und eine Dampfturbine mit mindestens vier Megawatt Leistung.
Die Idee hinter der jetzt in Betrieb genommenen Anlage, die von außen einem großen Gewächshaus gleicht: Mit den bisherigen Trocknungsmethoden war der Schlamm mit 60 Prozent Wasseranteil zu nass, um ihn zu verbrennen. Also musste die EG die jährlich rund 200.000 Tonnen Klärschlamm aus der Emscher- und Lipperegion mit rund 20.000 Tonnen Steinkohle verschneiden. Zuletzt übrigens, man mag es gar nicht schreiben in der letzten deutschen Stadt des Steinkohlenbergbaus, importiert aus Kolumbien.
Das Trocknen schafft die Sonne nicht alleine
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Wenn es gelingt, den Wasseranteil unter 40 Prozent zu drücken, lässt sich der Schlamm ohne weitere Energieträger verbrennen. In der Trocknungsanlage wird der Schlamm erst wie ein Schwamm gepresst und dann auf 40.000 Quadratmetern zum Trocknen ausgelegt. Das schafft die Sonne nicht alleine, deshalb produziert die EG einen Fön-Effekt mit Abwärme aus der Verbrennung.
Ein Problem aber blieb noch zu lösen. „Wasser verdunstet nur an der Oberfläche“, sagt der Technische Vorstand Grün. „Also müssen wir den Schlamm immer wieder wenden, damit alles trocken wird.“ Hier kommen „Manfred“ und seine 39 Kollegen ins Spiel – die „elektrischen Schweine“. Wie King-Size-Mäh-Roboter rollen die automatischen Wendegeräte pausenlos in den 32 Trocknungshallen umher und wühlen wie ihre Namensgeber unermüdlich die 30 bis 50 Zentimeter hohe Schlammschicht auf.
„Ein ganz starkes Stück Innovation City“
79 Millionen Euro hat die EG für die Trocknungsanlage in die Hand genommen, spart dafür aber in den Folgejahren Millionen an Betriebskosten. Das Hybridkraftwerk Emscher könne Vorbild für zahlreiche weitere Großkraftwerke nicht nur in Deutschland sein, sagt Paetzel. In der Tat, sagt Staatssekretär Heinrich Bottermann vom NRW-Umweltministerium: Die Anlage „trägt erheblich zum Gelingen der Energiewende vor Ort bei und damit auch zum Klimaschutz in der Region. Das Projekt hat großartigen Vorbildcharakter.“ Oberbürgermeister Bernd Tischler kann es kürzer sagen: „Ein ganz starkes Stück Innovation City.
Die nächste Baustelle: Phosphor
Mission Hybridkraftwerk erfüllt, auf zur nächsten Baustelle. Auf der Frage, was ihm spontan beim Stichwort Klärschlamm einfalle, sagt der Technische Vorstand der Emschergenossenschaft Emanuel Grün: „Phosphor-Recycling“. Das ist sein nächstes großes Projekt.
Phosphat ist ein wichtiger Pflanzendünger, den die EU zu 94 Prozent importieren muss. Deshalb hat die Bundesregierung den Abwasserverbänden schon 2017 aufgegeben: In euren Klärschlämmen steckt reichlich Phosphor; seht zu, dass ihr ihn rausholt und zu Dünger verarbeitet. Schweizer Abwasserverbänden gelingt das schon seit 2016.
Eine Pilotanlage im Dinslakener Klärwerk Emschermündung schafft das inzwischen auch. Nach der Trocknung wird der Klärschlamm chemisch aufgespalten. Dabei bleibt ein Granulat übrig, das den gesamten Phosphor enthält und zu Düngemittel verarbeitet werden kann.
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