Bottrop. Noch immer sind bestimmte Gemüsesorten im Umfeld der Kokerei mit Gift belastet. Seit vier Jahren kämpfen die Anwohner – das macht das mit ihnen.

Nicole und Andreas K. sitzen auf ihrer Terrasse, blicken auf ihren Garten. Eigentlich ein schöner Anblick, trotzdem macht er das Welheimer Ehepaar wütend. Der Grund? Sie können den Garten nicht so nutzen, wie sie es eigentlich vorhatten. Obst sollte hier wachsen – und Gemüse. Doch warum sollten sie etwas anbauen, was sie am Ende doch nicht verzehren dürfen? Weiterhin warnen Umweltbehörden davor, im Umfeld der Kokerei selbst angebautes Gemüse aus dem Garten zu essen.

Das Landesamt für Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv) hat erneut die Schadstoffwerte im eigens dafür angepflanzten Grünkohl gemessen. Sie sind immer noch zu hoch. Das Lanuv hat der Stadt deshalb dringend empfohlen, die Verzehrwarnung aufrecht zu erhalten.

Beim Verzehr bestimmter Gemüsesorten drohen gesundheitliche Schäden

Nicole und Andreas K. können es nicht verstehen. In ihren und den Augen vieler ihrer Nachbarn tut die Kokerei zu wenig – und die Behörden lassen sie damit durchkommen. „Wenn an meinem Auto die Werte nicht stimmen, legt der Tüv den Wagen still. Warum ist das hier anders?“, fragt Andreas K.. Zur Klarstellung: Es gehe ihm nicht darum, die Kokerei dauerhaft zu schließen, aber zumindest so lange, bis von dem Betrieb keine Gefahr mehr für die Anwohner ausgehe. „Wenn eine solche zeitweilige Stilllegung droht, würde Arcelor Mittal spuren“, ist sich Andreas K. sicher.

Die Staubausbeute von einem Tag. Anwohner sammeln ihre Putztücher, um die Belastungen zu dokumentieren.
Die Staubausbeute von einem Tag. Anwohner sammeln ihre Putztücher, um die Belastungen zu dokumentieren. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Gerade in Welheim ist die Belastung durch Benzo(a)pyren, aber auch durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) besonders hoch. Beide Stoffe gelten als krebserregend. Die höchste PAK-Belastung, die das Lanuv im Grünkohl gemessen hat, liegt bei 140 Mikrogramm pro Kilogramm und damit noch höher als im Vorjahr. Zwar gibt es in NRW eine Hintergrundbelastung an PAK, doch sei der Wert an diesem Messpunkt 23-fach erhöht. Allein in Batenbrock wurden niedrigere Werte in den Pflanzen gemessen. Die Anwohner führen das auf die herrschenden Windverhältnisse zurück. Das Lanuv kommt zu dem Schluss, dass beim Verzehr von bestimmtem Gemüsesorten „gesundheitliche Auswirkungen nicht mehr ausgeschlossen werden“.

Anwohner im Bottroper Süden haben viele Fragen

Ein Satz, der den Anwohnern große Sorgen bereitet und viele Fragen aufwirft. „Was ist denn mit den übrigen Pflanzen im Garten, was ist mit dem Rasen, da spielen unsere Enkelkinder drauf“, will Nicole K. wissen. Außerdem stellt sich aus Sicht der Anwohner die Frage, was mit dem Sand in den Sandkästen sei. Antworten darauf hätten sie bisher nicht erhalten – weder von der Stadtverwaltung noch von der Bezirksregierung, die für die Aufsicht der Kokerei zuständig ist. Immerhin hatte sich zuletzt der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Michael Hübner, an die Landesumweltministerin gewandt. Eine Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen die Landesregierung ergreifen will, um die Belastungen zu senken, steht noch aus. Mindestens bis Juli will die Bezirksregierung unangemeldete Kontrollen bei der Kokerei durchführen.

Martina Krüger hat gegen die Kokerei geklagt und in erster Instanz Recht bekommen. Arcelor Mittal ist in Revision gegangen, nun liegt der Fall beim Oberlandesgericht.
Martina Krüger hat gegen die Kokerei geklagt und in erster Instanz Recht bekommen. Arcelor Mittal ist in Revision gegangen, nun liegt der Fall beim Oberlandesgericht. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Trotzdem: „Wir fühlen uns hingehalten“, sagt Martina Krüger. Seit vier Jahren schon kämpfe man nun gegen die Kokerei. „Und wir haben das Gefühl, die 400 Arbeitsplätze dort zählen mehr als die Gesundheit von fast 16.000 Anwohnern.“ Auch sie sagt, dass niemand die Arbeitsplätze vernichten wolle. Im Gegenteil, sei es nicht auch im Interesse der Mitarbeiter, dass von der Kokerei keine Gefahr für die Gesundheit ausgehe? Schließlich seien die den Belastungen doch auch ausgesetzt, zumindest während der Arbeitszeit. Die Anwohner glauben, dass auch die Stadtverwaltung mehr tun könne für sie, gleiches gelte für den Oberbürgermeister.

In erster Instanz haben Anwohner vor Gericht gegen die Kokerei gewonnen

Martina Krüger hat die Kokerei verklagt. In erster Instanz hat sie gewonnen. Das Landgericht Essen hat Arcelor Mittal verurteilt, es künftig zu unterlassen, dem Grundstück der Krügers „koks- oder kohlehaltige Partikel in ein- oder mehrfacher Sandkorngröße zuzuführen“. Verstößt der Konzern dagegen, droht ihm ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Im August sieht man sich nun vor dem Oberlandesgericht, Arcelor Mittal hat Revision eingelegt. Die Staubbelastung gebe es nach wie vor, sagt Andrea K. Sie legt fein säuberlich mit Datum beschriftete Plastiktütchen vor. Darin: die verdreckten Putzlappen. Auch das Ehepaar K. klagt nun. Zwar seien sie erst vor zwei Jahren hierher gezogen und hätten sicher auch mit Belastungen durch die Kokerei gerechnet. Doch dass es so extrem sei, habe man nicht gewusst. „Wir hätten auch erwartet, dass es seitens der Verwaltung im Rahmen der Baugenehmigung dann zumindest einen Hinweis gegeben hätte. Dann hätten wir uns ja noch neu entscheiden können.“ Grundsätzlich sei Welheim ein toller Stadtteil mit Potenzial.

Ausschusssitzung

In der letzten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusse hatten sich die Anwohner Antworten erhofft. Doch der Tagesordnungspunkt Kokerei wurde von der Tagesordnung genommen. Von der Bezirksregierung und vom Lanuv war niemand gekommen.

Nun steht der Punkt bei der nächsten Sitzung am 23. April wieder auf der Tagesordnung. Die Anwohner werden da sein. Und sie hoffen ausnahmsweise auf ein Rederecht.

Dabei habe man im vergangenen Jahr den Zielwert für Benzo(a)pyren eingehalten, sagt das Unternehmen. Das stellt auch das Lanuv nicht in Abrede. Nur heißt es weiter in dessen Gutachten, dass das eben nicht zwangsläufig bedeute, dass Nahrungspflanzen keinen immissionsbedingten Einträgen ausgesetzt wären. Und weiter: „Dementsprechend kann auch bei zukünftiger Einhaltung des Zielwerts nicht davon ausgegangen werden, dass Blattgemüse grundsätzlich bedenkenlos verzehrt werden könnte.“

Verweis auf Investition seitens der Kokerei halten Anwohner für Augenwischerei

Dass die Kokerei auf Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe verweist, halten die Anwohner für Augenwischerei. Das sei Geld, das schon viel früher und kontinuierlich in den Erhalt der Anlage hätte investiert werden müssen, so Martina Krügers Auffassung. Dann wäre es gar nicht erst soweit gekommen. Auch dass allein die Ofentüren das Problem seien und mit deren Austausch alles wieder in Ordnung sei, glauben sie nicht. Sie verweisen auf die Kamine der Anlage, die immer wieder dichten schwarzen Qualm ausspuckten. Dazu komme regelmäßig ein intensiver Schwefelgestank. Für die Beteiligten jedenfalls steht fest: „Aufgeben kommt nicht infrage, die Bürgerinitiative wird weiter kämpfen.“