Bochum. . „Ich war so wütend. Ich hatte Angst, er macht mir alles kaputt“, sagte die Arztgattin im Herbst 2011 dem Psychologen Siegfried Binder. Der kommt in seinem Gutachten zu einem eindeutigen Ergebnis: Die 32-Jährige wäre im Falle einer Verurteilung voll schuldfähig.

Verzweifelt, innerlich zerrissen, hoch emotional, aber keinesfalls psychisch krank: Am zehnten Verhandlungstag attestierten Siegfried Binder und der Psychiater Miroslav Brkanovic der Angeklagten, in vollem Umfang für ihre Tat verantwortlich zu sein. Beide Sachverständigen zeichnen das Bild einer „geistig und körperlich gesunden Persönlichkeit“. Die einzige, gleichwohl verhängnisvolle Auffälligkeit: eine Sexualneurose, ein schier unstillbarer Drang nach Körperlichkeit, Nähe, Befriedigung. Die Tochter eines Schlossers, von Haus aus pflichtbewusst, moralisch gefestigt, wechsele „triebgesteuert“ immer wieder auf die „Schattenseite der Gesellschaft“ (Binder). Jahrelang funktioniert das Doppelleben. Hier die angesehene Ehefrau eines Hausarztes in Langendreer; dort die Geliebte, die in Affären einen „sexuellen Befreiungsakt“ zelebriert, ohne je ernsthaft daran zu denken, ihre Ehe, ihren sozialen Status aufzugeben. Von „sinnlichem Verfall“ spricht der Gutachter.

Beim Börsenmakler aus dem Ehrenfeld droht das Lügengebäude erstmals zusammenzustürzen. Der Junge, den sie im Sommer 2011 zur Welt bringt, ist von ihrem Geliebten. Der will die Vaterschaft öffentlich machen, ihren Mann informieren, für seinen Sohn da sein.

Wut und Angst

Als „gesteuerte Handlung“ wertet Binder die Geschehnisse des 2. September 2011. Die Krankenschwester, die ihr Examen im Fach Arzneimittelkunde mit der Note 2 bestanden hat, bringt dem arglosen Banker in dessen Wohnung einen Kakaotrunk mit Schmerz- und Beruhigungsmitteln mit. Zusätzlich spritzt sie Morphium in die Ellbeuge. Die Gesamtmenge an Betäubungsmitteln, so ein Gutachten, hätte mutmaßlich zum Tod geführt, bevor sie mit einem Küchenmesser 14 Mal zustach.

Ort, Zeit und Ablauf der Verabreichung der Medikamente seien von der Angeklagten bis hin zur Spurenbeseitigung „rational aggressiv geplant und intelligent organisiert worden“, so Siegfried Binder. War tatsächlich schon der Gift-Cocktail tödlich, wären die Kriterien für die Mordanklage wohl erfüllt. Bei den Messerstichen erkennt der Psychologe zwar eine „hochgradig affektbesetzte Handlung“. Ob die Schuldfähigkeit dadurch gemindert war, sie aus Wut und Angst quasi „kopflos“ zugestochen habe, zieht er aber in Zweifel.

Der Verteidiger schweigt

Komplett zerstört ist seit gestern die Strategie der Verteidigung, die Tat zehn Tage nach der Geburt des Kindes in Zusammenhang mit einer Wochenbett-Depression zu bringen. Die Arzt-Ehefrau habe seinerzeit unter einer „leichten, vielleicht mittleren Depression“ gelitten, konstatieren die Gutachter. Von einem – möglicherweise strafmildernden – Krankheitszustand könne nicht geredet werden.

Vor den Gutachten verlas Richter Mankel die SMS-Botschaften zwischen dem Banker und seiner Geliebten. Sie füllen über 150 Seiten. Die letzte Nachricht stammt vom 2. September, 17.33 Uhr. Der „Sonnenschein“ (wie er sie nannte) simst an „Schnute“: „Hab eine Überraschung für dich. Bin unterwegs.“

Wenig später war „Schnute“ tot.

Der Prozess steht vor dem Abschluss. Am 23. und 25. Mai, so die Planung des Landgerichts, sollen Staatsanwalt und Verteidigung ihre Plädoyers halten. Das Urteil könnte am 30. Mai ergehen.

Derweil übt sich der Verteidiger nach wie vor im Schweigen. Auch zum gestrigen, als mitentscheidend geltenden psychiatrischen Gutachten gab es „keine Frage“. Die 32-Jährige selbst schweigt seit Prozessbeginn.